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Kultur: Wer lächelt, lebt

Versöhnung zwischen den großen Religionen: Francois Dupeyron verfilmt den französischen Bestseller „Monsieur Ibrahim“ – mit Omar Sharif in der Hauptrolle

„Ich weiß, was in meinem Koran steht“, ist Monsieur Ibrahims Credo. Aber sein Rat an den kleinen Momo lautet: „Wenn du wirklich etwas lernen willst, darfst du keine Bücher lesen. Du musst den Menschen zuhören.“ Das ist eine Lektion, die Momo gut versteht: lebt sein Vater doch nur für seine Bibliothek, in ewig abgedunkelten Räumen, damit die Buchrücken nicht verblassen. Zuhören tut er nie, sprechen auch kaum – Vater und Sohn leben nebeneinander her. „Mein Vater hat vom Judentum höchstens Depressionen bekommen“, erklärt Momo seinem neuen Freund Ibrahim. Dass der Islam, vor allem in der Spielart des Sufismus, vor allem gute Laune macht, dass er Tanz und Musik bedeutet, wird Monsieur Ibrahim Momo erst nach und nach nahe bringen: „Lächeln macht glücklich“, ist seine Devise.

Momo wird die Lektion von den Büchern und den Menschen und dem Lächeln sehr schnell lernen und die Bibliothek seines Vaters zum Trödler tragen, um davon erste Besuche bei Frauen zu bezahlen. Es sind jene märchenhaften frühen Sechzigerjahre in Paris, in denen es immer Sommer ist, und die Prostituierten im Petticoat auf der Straße stehen und eigentlich nur die laue Luft genießen. In denen ein Junge in der Rue Bleue vor dem Spiegel steht und, in weißem Hemd und Hut, seine erste Anmache probiert: „Fürchterlich heiß heute. Wollen wir nicht nach oben gehen?“ In denen ein Gemüsehändler namens Ibrahim überleben kann, ohne jemals richtig viel zu verkaufen. Und in denen im Radio Rock’n’Roll läuft, und die Menschen tanzen dazu, am Ufer der Seine.

Regisseur Francois Dupeyron hat seinem Film „Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran“ bewusst den Märchenton gelassen, jenes Heile-Welt-Gefühl, in dem auch die dunklen Seiten des Lebens wie mit sanftem Abendsonnenschein überzogen sind. Denn immerhin geht es in Schmitts Roman um Themen wie Einsamkeit, Vernachlässigung, Armut, Depression und Selbstmord, und Momo, der kleine Schlawiner aus der Rue Bleue, wäre in anderen Filmen ein richtiger Krimineller geworden, der mitgehen lässt, was er gebrauchen kann. Aber dazu ist der junge Pierre Boulanger, der für „Monsieur Ibrahim...“ zum ersten Mal vor der Kamera steht, zu liebenswert: ein braungelocktes Großauge, ein Lebensseiltänzer, ein Träumer und Glückkind zugleich.

Schon die Vorlage, Eric-Emmanuel Schmitts seit Monaten auf der Bestsellerliste triumphierender Erfolgsroman „Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran“, ist kein Sozialpamphlet, sondern ein modernes Märchen vom Kaliber des „Kleinen Prinzen“: ein Lebenshilfe-Buch, das von Freundschaft und Liebe, Verantwortung und Erwachsenwerden erzählt. Und, ganz nebenbei, auch vom Miteinander der Religionen. Monsieur Ibrahim ist ein Meister darin, sich sein privates Lebens- und Glaubenskonzept zusammenzubasteln: Er sei kein Araber, sondern Türke, erklärt er dem Nachbarsjungen Momo, und fügt im nächsten Moment hinzu: „Araber sein, das heißt: geöffnet von acht Uhr morgens bis Mitternacht, und auch am Sonntag im Geschäft.“ So gesehen, ist Monsieur Ibrahim natürlich doch ein Araber. Einer, der den Koran liest und dennoch ganz gerne Alkohol trinkt, der seinen Schützling Moses Momo tauft – „das klingt nicht so einschüchternd“, und für den selbst der Tod nicht mehr ist als ein leichter Übergang hin zur Unendlichkeit.

Für diese Rolle hätte Dupeyron keinen besseren finden können als Omar Sharif. Der einzige arabische Schauspieler, der richtig Karriere in Hollywood machte, der Weltstar, der sich in den letzten Jahren verärgert aus dem Kino zurückzog, geht mit wunderbarer Lockerheit durch diesen Film. Einmal, es wird auf der Straße gerade eine Filmszene mit Brigitte Bardot gedreht, kommt die Filmdiva in den Laden, verlangt eine Flasche Wasser – und wird von Monsieur Ibrahim locker übers Ohr gehauen. Nicht, weil Wasser so etwas Seltenes wäre, sondern weil sich Filmdiven nicht so oft in die Rue Bleue verlaufen. Ob nicht auch er Schauspieler werden wolle, fragt er Momo: er Ibrahim selbst, wäre schon gern einer. Hört man dies aus dem Mund von Omar Sharif, von Doktor Shiwago und Sherif Ali ibn el Kharish, so klingt das komisch und rührend zugleich. Immerhin, am Schluss wird Ibrahim ein rotes Cabrio bekommen, so eins, wie Brigitte Bardot es gefahren hat in der Filmszene; und er wird auch noch fahren lernen, ein Auto, das nicht mehr von einem einzigen Esel, sondern von vielen Pferdestärken gezogen wird, und mit dem man sich einen Traum erfüllen kann – die Reise zurück in die Heimat Anatolien.

Da sieht man dann so wunderbare Szenen wie den alten Ibrahim und den jungen Momo zwischen griechischen Säulen: Momo erklärt großspurig, er wolle später in „Import/Export“ machen und turnt auf den antiken Trümmern herum, als wäre es Beton – und wenig später sitzt Ibrahim in Anatolien in einem Café, und man hört nur einen langen türkischen Redeschwall und zwischendrin mehrfach „Import/Export“. Reisen ist leicht in diesem Märchenkino, wo man nur sonnengoldene Wölkchen am Himmel sieht und in Gedanken durch die Länder reist, von Frankreich über die Schweiz und Albanien und Griechenland in die Türkei. Und wo man gerade ist, und ob das Land arm oder reich ist, erkennt man daran, ob es Mülltonnen gibt oder nicht, erklärt Monsieur Ibrahim. Dass man den Müll nie wirklich zu sehen bekommt – nun ja, so ist das eben in Märchen.

In Berlin im Cinemaxx Potsdamer Platz, Filmpalast, FT Friedrichshain, im Kino in der Kulturbrauerei und im Odeon (OmU)

Christina Tilmann

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