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Kultur: Wer mehr weiß, sieht mehr – oder doch nicht?

GENERATION 14plus Und nach dem Film das Publikumsgespräch: Hannah Ibnoulward (14) und Leo Bruckmann (17) über ihre Festivalerfahrungen

Obwohl ich schon seit meiner frühen Kindheit regelmäßig zur Berlinale gehe, ist ein Besuch bei den Internationalen Filmsfestspielen jedes Mal etwas sehr Schönes und Aufregendes. Diesmal geht es ins Haus der Kulturen der Welt, wo in diesem Jahr die „Generation 14 plus“-Filme gezeigt werden. Das ist ein großer Sprung für die Jugendberlinale. Im Gegensatz zum Babylon am Rosa-Luxemburg-Platz, wo die Filme bisher ihre Premiere hatten, hat man im großen Kinosaal der „schwangeren Auster“ einen sehr guten Blick auf die Leinwand. Zudem war im Babylon lediglich Platz für knapp 450 Zuschauer. In den großen Saal im Haus der Kulturen passen mehr als 1000 Zuschauer. Dass die meisten Filme trotzdem ausverkauft sind, ist eine große Anerkennung und zeigt den Stellenwert des Jugendfilms heutzutage.

Ich habe mir den englisch-pakistanischen Film „West is West“ angeguckt. Er handelt von einem Pakistani, der Mitte der siebziger Jahre in Nordengland lebt und zusammen mit seinem aufmüpfigen jüngsten Sohn Sajid nach Pakistan reist. Sajid, der sich als Engländer fühlt, ist von der Idee nicht sonderlich begeistert, fliegt aber mit. Im Punjab lernt der Junge seine pakistanischen Wurzeln kennen, und der Zuschauer erfährt viel über die Vergangenheit des Vaters, der vor mehr als 30 Jahren seine erste Familie in Pakistan verlassen hat, um in England ein besseres Leben zu finden. „West is West“ ist eine charmante Komödie über die Suche nach der eigenen Identität, sehr witzig, anrührend und emotional erzählt, leichte Unterhaltung mit dem nötigen Tiefgang und wunderschönen Landschaftsaufnahmen.

Es muss eben doch nicht immer gleich ein Selbstmorddrama sein, in dem ein Jugendlicher auf dem qualvollen Weg in den Tod begleitet wird, um einen genialen Jugendfilm zu schaffen.

Etwas Besonderes an der Berlinale sind die Publikumsgespräche im Anschluss. Gerade noch auf der Leinwand, steht Aqib Khan jetzt plötzlich auf der Bühne. Das Publikum ist begeistert und der Junge sichtlich gerührt: „Ich habe diesen Film sieben Mal gesehen, und jedes Mal kann ich hinterher kaum sprechen. Erstaunlich.“ Auch die Produzentin Leslie Udwin ist glücklich über die Reaktion des Publikums und fühlt sich „begeistert und geehrt!“. Die Begeisterung und Dankbarkeit für diesen Film ist ganz meinerseits! Ich freue mich über einen weiteren wunderschönen Berlinale-Abend. Leo Bruckmann, 17 Jahre

„Was ist die Aussage des Films?“, fragt eine Jugendliche beim Publikumsgespräch nach der Aufführung von „Apflickorna“. „Was denkst du?“, fragt die Regisseurin Lisa Aschan. „Ich weiß es nicht.“ „Ich schreib’ dir morgen eine E-Mail.“

Dies ist eine typische Szene aus einem Publikumsgespräch auf der Berlinale. Ich habe mir zwei Filme angesehen und die Publikumsgespräche angehört. Vor dem schwedischen Jugendfilm „Apflickorna“ war ich in „Sampaguita, National Flower“, der in der Kinderfilmreihe läuft und vom Leben der Straßenkinder auf den Philippinen handelt. Der Film ist beim Publikum (vorwiegend Schulklassen etwa ab der dritten Klasse) sehr gut angekommen, und es wurden viele Fragen zu den Kindern im Film gestellt.

Aber es gibt im Film eine Szene, in der ein kleiner Junge in ein großes schwarzes Auto einsteigt, das dann wegfährt. Nach dem Film hat ein Mädchen dem Regisseur die Frage gestellt, was denn im Auto passiert. Als Antwort bekam sie vom Regisseur Francis Xavier E. Pasion bloß zu hören: „Denk mal darüber nach.“ Woher sollen achtjährige Kinder (der Film wird ab acht Jahren empfohlen) wissen, dass der kleine philippinische Junge wahrscheinlich im Auto vergewaltigt wurde? Die Sektionsleiter von „Generation“ sagen, dass die Publikumsgespräche den Kindern Klarheit verschaffen. Doch ist das wirklich so?

In „Apflickorna“ (deutsch: Affenmädchen) geht es um die beiden Mädchen Emma und Cassandra. Sie lernen sich im Voltigierteam kennen und freunden sich an. Doch ihre Freundschaft wird stark von Eifersucht, Macht, Streit und Kontrolle beeinflusst. Macht und Kontrolle, besonders darum geht es in diesem Film.

Emmas Reitlehrerin beispielsweise sagt: „Es geht nicht immer nur um Stärke und Kontrolle. Es geht darum, an der eigenen Präsenz zu arbeiten.“ Kontrolle ist zugleich Emmas Stärke als auch ihre Schwäche. Sie richtet ihren Hund ab, zeigt beim Voltigieren kontrollierte Bewegungen und versucht, auch in der Beziehung zu ihrem Vater immer die Kontrolle zu behalten.

Im Film gab es ziemlich viele Parallelhandlungen und Handlungsstränge, die einfach nicht verfolgt wurden. Nach dem Film war ich sehr verwirrt und habe mich erst mal gefragt, worum es denn jetzt genau ging und was dieser Film uns eigentlich sagen will. Doch auch dieses Mal konnte mir das Publikumsgespräch nicht weiterhelfen. Die Frage nach der Aussage des Films wurde sogar zwei Mal gestellt, doch nach der oben erwähnten Gegenfrage gab es überhaupt keine Antwort mehr.

Der stellvertretende Sektionsleiter, Florian Weghorn, stellte der Regisseurin die rhetorische Frage, ob es sich um eine Art modernen Western handelt. Das wurde bejaht – das könne man an Musik und Kleidung sehen. Aber die zwei Mädchen haben im ganzen Film immer dasselbe an, und die Musik fiel auch nicht weiter auf. Die einzige Frage, zu der es eine klare Antwort gab, war, ob die Mädchen schon vor dem Film voltigiert haben oder das Voltigieren erst dort gelernt haben.

Bei diesen unklaren Antworten habe ich mich irgendwann gefragt: Was bringen diese Publikumsgespräche überhaupt? Hannah Ibnoulward, 14 Jahre

„Am Ende war ich verwirrt

und fragte mich: Was will mir der Film denn nun erzählen?“

Leo Bruckmann[17 Jahre]

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