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Kultur: "Wer von Rotstift spricht, ist farbenblind"

Bei der Kultur wird nicht gespart! Mit diesem Schlachtruf ist der Kanzlerkandidat Gerhard Schröder im vergangenen Herbst in den Bundestagswahlkampf gezogen.

Bei der Kultur wird nicht gespart! Mit diesem Schlachtruf ist der Kanzlerkandidat Gerhard Schröder im vergangenen Herbst in den Bundestagswahlkampf gezogen. Und hat hinzugefügt: Daran können Sie mich gerne erinnern. Jetzt regiert auch in Ihrem Haushalt, Herr Naumann, der Rotstift. Konnten Sie dem Gedächtnis des Bundeskanzlers nicht auf die Sprünge helfen?

Nicht nötig. Bei der Kultur wird in der Tat weniger rigide gespart als in manchen anderen Bereichen. Unser Etat liegt im Jahr 2000 wieder auf der Höhe von 1998, nämlich bei 1,7 Milliarden Mark. Das ist ein politischer Erfolg, der allerdings nicht darüber hinwegtäuschen kann, daß es für einige der Zuwendungsempfänger schmerzhafte Einschnitte geben wird.

Sie wollen, so hört man, nicht alle Institutionen gleichermaßen belasten, sondern Akzente setzen. Die Deutsche Welle wird so, obwohl ihr Etat bereits einmal gekürzt wurde, zum Hauptlastenträger. Auch die Bayreuther Festspiele müssen von einem bereits reduzierten Betrag nochmals abgeben. Und doch werden auch die Mittel für Berlin, die Ihnen ja ein besonderes Anliegen waren, nicht im versprochenen Umfang fließen?

In der Tat trägt die Deutsche Welle die Hauptlast. Das hat aber nichts mit angeblichen parteipolitischen Antipathien meinerseits zu tun als vielmehr mit der Tatsache, daß ihr Budget einfach der größte Einzelposten in meinem Haushalt ist, nämlich fast ein Drittel. Die Bayreuther Festspiele sind - auch wenn Wolfgang Wagner das befürchtet - nicht gefährdet. Mein Kollege Zehetmair verfügt über einen "Feuerwehrtopf" von 20 Millionen. Vielleicht hat er eine Million für den "Ring" übrig? Was Berlin betrifft, so muß zunächst festgehalten werden, daß wir das Versprechen, den Zuschuß für die Berliner Kulturpolitik von 60 auf 120 Millionen Mark 1999 zu verdoppeln, gehalten haben . . .

um ab 2000 diese Summe auf 100 Millionen zusammenzustreichen.

Was heißt hier zusammenstreichen? Die Bundesregierung bezuschußt Berliner Kultur-Institutionen 1999 mit insgesamt rund 490 Millionen Mark. Dazu gehören neben den erwähnten 120 Millionen Mark beispielsweise 250 Millionen Mark für die Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Weitere Institute wie das Deutsche Historische Museum, die Topographie des Terrors und die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten erhalten ebenfalls Mittel. Die vorherige Bundesregierung hatte für diese Posten 430 Millionen Mark vorgesehen. Die neue Regierung erhöht diesen Betrag um 60 Millionen. Im übrigen steigt die Gesamtzuwendungssumme in den nächsten Jahren kräftig an. Für das Jahr 2003 sind 543 Millionen Mark geplant. Das sind im Vergleich zu diesem Jahr, dem Haushaltsjahr 1999, 55 Millionen Mark mehr. Wer da von Rotstift spricht, ist farbenblind oder schon tief im Wahlkampf.

Bleiben wir kurz beim Haushaltsjahr 1999. Wofür sollen die sechzig zusätzlichen Millionen verwendet werden?

Wir haben einen Vertragsentwurf ausgearbeitet, gemeinsam mit Berlin. Zu den geförderten Einrichtungen zählen neben anderen das Jüdische Museum, das acht Millionen Mark für seine Ersteinrichtung erhält, die Topographie des Terrors, die für die Ausstattung ihres neuen Baus zehn Millionen bekommt, die Stiftung Deutsche Kinemathek erhält für ihren Neubau am Potsdamer Platz zehn Millionen. Und so weiter.

Wird es eine Garantie bis 2003 für die 100 Millionen geben?

Zunächst muß festgehalten werden, daß der Bund nicht dazu da ist, die Kalamitäten des Berliner Haushaltes zu beheben. Der Hauptstadtkulturvertrag läuft in diesem Jahr aus. Auf Arbeitsebene ist zwischen meiner Behörde und dem Kultursenator ein Vertragsentwurf praktisch unterschriftsreif. Berlin muß darin versichern, daß das zusätzliche Geld in voller Höhe in den Kulturetat fließt. Sollte der Kulturetat der Hauptstadt um die Höhe der Bundeszuschüsse abgesenkt werden, wird der Bund diese Gelder sperren.

In der Zwischenzeit wird Sie der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen - wie schon einmal - als "Ankündiger" vorführen wollen?

Herr Diepgen hat die insulare Vergangenheit verinnerlicht. Die Selbstverständlichkeit, mit der er den Bund in Anspruch nimmt und zugleich kritisiert, wird der Stadt nicht helfen. Mein Ansprechpartner ist im übrigen der Kultursenator, zur Zeit also Peter Radunski. Er trägt die Verantwortung für die Gestaltung der Berliner Kulturpolitik.

Welche inhaltliche Verantwortung wird der Kulturstaatsminister übernehmen?

Ich will nicht zum heimlichen Intendanten irgendeiner Oper oder eines Theaters werden. Deshalb habe ich auch die Übernahme einer einzelnen Einrichtung durch den Bund abgelehnt. Es ist jedoch vereinbart, daß der Bund in Berlin die Staatsoper, die Deutsche Oper, das Deutsche Theater, das Schauspielhaus und das Berliner Philharmonische Orchester gezielt unterstützt, um diesen Institutionen bei der Aufgabe zu helfen, gesamtstaatliche Verpflichtungen wahrzunehmen. Sollte sich zeigen, daß diese Gelder durch Reduzierung der Berliner Subventionen quasi nur durchgereicht statt hinzuaddiert werden, wären sie zweckentfremdet. Das können wir nicht zulassen.

Im bisherigen Hauptstadtkulturvertrag war unter anderem geregelt, wer über die Verteilung der Bundesmittel befindet.

Ja, bisher war das ein hochkompetentes, aber entscheidungsunwilliges Kuratorium, das nach dem Abgang von Bundesminister Töpfer nach Afrika nicht mehr getagt hat.Wir wollen das ändern, damit die Dinge nicht, belastet von parteipolitischen Rankünen, totdiskutiert werden.

Wer soll entscheiden?

Was die grundsätzliche Linie betrifft, sind die Vorschläge des Berliner Kultursenators, die ja zwischen ihm und mir, aber auch zwischen unseren Behörden abgestimmt sind, maßgeblich. Und was die sogenannte Einzelprojektförderung betrifft, so planen wir, die Entscheidung einer kompetenten Berliner Person zu übertragen . . .

die Sie schon im Kopf haben . . .

aber noch nicht nenne. Ich persönlich jedenfalls werde mich nicht in inhaltliche Fragen einmischen.

Der stille Geldgeber und demütige Entscheidungsempfänger: eine ganz neue Rolle für Michael Naumann.

Natürlich werde ich weiterhin nicht verhehlen, wenn mir Inszenierungen persönlich gefallen oder eben nicht. Aber doch nicht als Kunst- und Theaterkritiker der Nation! In Entscheidungen über Mittelvergabe wird das nicht einfließen. Jüngst bin ich in der Deutschen Oper kurz vor einer "Parsifal"-Premiere im Aufzug steckengeblieben. Als ich beim Hausmeister klingelte, mich vorstellte und ihn bat, mich da mit der Feuerwehr rauszuholen, hat er zuerst in aller Seelenruhe gefragt: Wer soll das denn bezahlen? Liebliches Kostenbewußtsein! Als ich dann schließlich draußen war, war das "Parsifal"-Vorspiel schon vorüber. Solche Erlebnisse könnten aufbrausende Menschen in ihrem Urteil über gewisse Häuser beeinflussen. Ich halte mich ganz raus und überlasse das den Berliner Theaterkritikern - und den Hausmeistern.

Woher nehmen Sie, nach den Erfahrungen der letzten zehn Jahre, nur das offensichtlich grenzenlose Vertrauen in die Berliner Kulturpolitik?

Ich gebe zu, daß ich manchmal nicht in der Haut von Kultursenator Peter Radunski stecken möchte. Er agiert, besonders in letzter Zeit, offenbar in einer veritablen Schlangengrube. Die Illoyalitäten, die ihm dort widerfahren, schaden der Stadt. Betrachtet man die Berliner Kulturlandschaft als Ganzes, läßt sich feststellen: Das Ergebnis kann sich sehen lassen. Die angebliche Verbohrtheit, die meinem Kollegen bisweilen attestiert wird, sehe ich nicht. Berlins Bühnen leben. Die Off-Szene erst recht.

Und dennoch halten es alle Beteiligten für notwendig, die sogenannten repräsentativen Einrichtungen weiter zu stärken. Eine klassische Aufgabe des Bundes, der also nicht als Gönner agiert, sondern lediglich seinen Pflichten nachkommt.

Die Berliner Regierung muß zur Kenntnis nehmen, daß repräsentative Einrichtungen wie die Stiftung Preußischer Kulturbesitz, die vom Bund und den Ländern betrieben wird, in Berlin angesiedelt sind und so zunächst erstmal der Stadt und ihren Bewohnern zugute kommen. Wenn wir jetzt durch die Anhebung des Stiftungsetats dafür sorgen, daß die Bauzeit auf der Museumsinsel sich von 30 auf, sagen wir, zehn Jahre verkürzt, dann bedeutet dies auch 20 Jahre weniger Bauzaun in der City und damit einen ungeheuren Vorteil für die Stadt. Dies ist ganz und gar nicht selbstverständlich. Ich wünschte mir, einige Berliner Politiker würden das verstehen und könnten damit aus ihrem Jammertal heraustreten.

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