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Kultur: Wer wagt, verliert

Diese Woche tagt der Nationale Ethikrat zur Klon-Frage – und muss Antworten geben. Ein Plädoyer gegen den biotechnischen Wahn

Die Sekte der Raelianer, die behauptet, die ersten Menschen geklont zu haben, glauben in ihrem recht verworrenen Weltbild, alle Lebewesen auf der Erde seien vor 25000 Jahren dadurch entstanden, dass Außerirdische aus toter Materie Pflanzen, Tiere und Menschen klonten. Zudem meint die Sekte, Klonen mache unsterblich. Seriöse Wissenschaftler sind sich sicher, dass das nachweihnachtliche Klonbaby ein Betrug ist, da das Klonen von Menschen technisch noch so gut wie ausgeschlossen sei. Der Aufwand ist sehr groß, zahlreiche Eispenderinnen und Leihmütter wären nötig, Missbildungen der durch Klonen entstandenen Leibesfrucht die Regel. Auch das zunächst gesund erscheinende Klon-Schaf Dolly zeigt abnorme Merkmale und altert offenbar rascher als bei Schafen üblich. Das Klonen von Menschen sei schon von daher nicht zu verantworten.

Es gibt keinen Grund, an dieser Einschätzung zu zweifeln. Selbst, wenn ein gesundes Klon-Kind zur Welt kommen sollte, ist zu vermuten, dass dessen Entstehung mit Schmerzen und Leid vieler Frauen und zahlreichen Abtreibungen verbunden war. Wir wüssten nicht, wie sich ein solches Klon-Kind weiter entwickeln wird. Der weltanschauliche Wahn einer Sekte oder die Ruhm- und Gewinnsucht eines Frauenarztes, wie im Fall des Italieners Antinori, rechtfertigen es nicht, mit dem Schicksal eines Menschen zu spielen.

Wenn wir uns auf diese Einwände beschränkten, würden wir es uns allerdings zu einfach machen. Die weiter gehende und entscheidende Frage wäre noch nicht beantwortet: Gibt es grundsätzliche ethische Argumente gegen das Klonen von Menschen – Argumente, die nicht vom Stand der Gentechnik und Reproduktionsmedizin abhängen? Mit anderen Worten: Dürften Menschen geklont werden, wenn die technischen Probleme gelöst wären?

Um hier einer Antwort näher zu kommen, muss zunächst eine Konfusion, die die öffentliche Debatte immer wieder beeinflusst, behoben werden. Häufig hört und liest man, Klone seien „identische Kopien“. Dieser Sprachgebrauch ist in doppelter Hinsicht irreführend. Erstens kann zwischen zwei unterschiedlichen Lebewesen wohl Gleichheit hinsichtlich bestimmter Eigenschaften, aber nie Identität bestehen. Zwei Lebewesen können nicht identisch sein. Wenn Karl Marx identisch ist mit dem Autor des „Kapital“, dann gibt es nicht zwei Personen, den Autor von "Das Kapital" und Karl Marx, sondern nur eine, die Karl Marx heißt und Autor von „Das Kapital“ ist.

Zum Zweiten aber hat das geklonte Wesen lediglich die gleiche genetische Ausstattung. Viele Eigenschaften von menschlichen und nicht-menschlichen Individuen sind aber nicht genetisch festgelegt, sondern Folge von Umwelteinflüssen und – bei Menschen – bewussten Entscheidungen. Auch der Zufall spielt selbst bei gleicher genetischer Ausstattung und annähernd gleichen Umweltbedingungen eine größere Rolle, als man noch vor der Analyse so genannter chaotischer Prozesse annehmen mochte. Unterdessen weiß man, dass sich Klone stärker voneinander unterscheiden als eineiige Zwillinge, da die Mytochondrien (das sind die Energiequellen) der verschiedenen entkernten Eizellen unterschiedlich sind und diese einen größeren Einfluss haben, als früher angenommen. Eineiige Zwillinge sind sich daher ähnlicher als Klone.

Die Parallelen zu eineiigen Zwillingen sollten genügen, um die Fragwürdigkeit mancher gut gemeinten Argumente gegen Menschenklonen deutlich zu machen. Wenn etwa gesagt wird, jeder Mensch habe einen Anspruch auf seine eigene Identität, auf sein Besonderssein, dann folgt daraus, dass eineiigen Zwillingen dieser Anspruch auf Individualität durch einen Zufall der Natur (häufig durch Hormongaben befördert) vorenthalten wird. Eineiige Zwillinge bestätigen die besondere Beziehung untereinander, die Außenstehende kaum nachvollziehen könnten, aber sie werden doch immer betonen, dass sie sich als vollwertige Individuen empfinden. Und kaum jemand wird dem widersprechen wollen.

Kein Zwilling wird der Meinung sein, er brauche seinen Tod nicht zu fürchten, da sein Zwillingsbruder ja weiterlebe. Er weiß, dass sein individuelles Leben durch seinen eigenen Tod begrenzt ist, nicht etwa durch den Tod des länger lebenden Zwillingsbruders. Das widerlegt zugleich ein Argument, das Befürworter des Klonens gebrauchen, nämlich, dass Klonen eine Möglichkeit sei, über seinen eigenen Tod hinaus weiterzuleben. Es ist ein anderes Individuum, das weiterlebt, so ähnlich es auch sein mag. Die Raelianer sind hier einem schlichten, wenn auch offenbar populären Irrtum aufgesessen. Wir wissen also mehr über das Verhältnis fiktiver menschlicher Klone untereinander, als viele meinen.

Im günstigsten Fall, das heißt, wenn der Klon keine biologischen Nachteile gegenüber dem Geklonten hat, wird ihr Verhältnis dem eineiiger Zwillinge ähneln, allerdings mit dem wesentlichen Unterschied, dass die Geburtsdaten mehr oder weniger stark divergieren. Im Falle eines Kindes, das Klon seiner Mutter ist, würden sich Mutter und Kind in ihrer jeweiligen Altersdifferenz sehr ähnlich sehen. Wenn die Mutter bei Geburt 45 Jahre alt ist, sieht sie ihrer Tochter während ihrer ganzen gemeinsamen Lebensspanne auf 45 Jahre alten Fotos „zum Verwechseln ähnlich“.

Ich frage mich, welche Mutter oder welcher Vater an einer solchen extremen Ähnlichkeit Interesse haben könnte. Man kann sich ein solches Interesse nur bei narzisstisch gestörten Persönlichkeiten vorstellen. Schon diese Motivlage wäre eine psychische Belastung für das geklonte Kind. Es ist unter solchen Voraussetzungen zu erwarten, dass der immer mit Konflikten belastete Verselbständigungsprozess von Kindern zusätzlich erschwert würde. Wir wissen nicht, wie sich das auf die psychische Gesundheit des geklonten Kindes auswirken würde.

Manche Befürworter des Menschenklonens, besonders in den USA wenden ein, dass homosexuelle Paare ein Recht auf Kinder hätten, oder anders formuliert: ein Recht hätten, Eltern zu werden, und niemand könne ihnen die Elternschaft vorenthalten, auch der Gesetzgeber nicht. Ich halte die Rede vom „Recht auf Elternschaft“ ohnehin für verworren. Rechte korrespondieren in der Regel mit Pflichten derjenigen, die zu ihrer Verwirklichung beitragen können.

Ich wüsste niemanden, der unter solchen Pflichten steht, auch wenn die Fortpflanzungsmedizin eine solche vermeintliche Pflicht gelegentlich in Anspruch nimmt. Aber selbst, wenn man einen solchen Anspruch, etwa aus Gleichbehandlungsgründen, anerkennen würde, ergäbe sich daraus noch kein Anspruch auf ein Klonkind. Künstliche Befruchtung, Adoption, auch das problematische Institut der Leihmutterschaft, stehen in vielen Ländern als Alternativen bereit. Adoptierte Kinder haben in der Regel keine enge genetische Verwandtschaft mit ihren Adoptiveltern, das ist richtig. Klonkinder sind allerdings noch viel enger mit ihrem Klonspender verwandt, als leibliche Kinder. Darauf kann es a fortiori keinen Anspruch geben.

Manche schwadronieren von menschlichen Ersatzteillagern, die angesichts der dramatischen Knappheit von Spenderorganen und der nach wie vor bestehenden Probleme der Histokompatibilität (Gewebeverträglichkeit, Abstoßungsreaktionen) das Menschenklonen rechtfertige. Es genügt, dem entgegenzuhalten, was oben festgehalten wurde: dass es sich bei einem Klon um ein menschliches Individuum handeln würde, das mit den gleichen Individualrechten ausgestattet wäre wie ein nicht-geklonter Mensch. Diese Klonphantasie ist nichts anderes als der Vorschlag, die weitgehend überwundene Sklaverei in einer extrem inhumanen Form wieder einzuführen.

Natürlich sind ehrenhaftere Motive denkbar. Eine besondere genetisch bedingte Begabung zu duplizieren etwa, oder den Schmerz der Eltern über den Verlust ihrer Tochter dadurch zu lindern, dass eine Klonschwester zeitversetzt zur Welt kommt. Bei genauerer Betrachtung sind aber auch solche Motive inakzeptabel. Sie beinhalten jeweils die Instrumentalisierung eines menschlichen Individuums, was mit seiner Selbstachtung und seiner Individualität kollidiert. Die duplizierte Hochbegabung, wenn es denn eine solche genetische Prägung überhaupt geben sollte, weiß um das Motiv derjenigen, die sein Klonen veranlasst haben, und sieht sich dem Druck ausgesetzt, diesen Erwartungen zu entsprechen. Es ist zu vermuten, dass auch die Klonschwester kein unbelastetes Verhältnis zu ihren Eltern und zu ihrer verstorbenen Schwester entwickeln kann.

Schwerer als alle denkbaren Rechtfertigungen wiegen die immensen individuellen, sozialen und biologischen Risiken. Die besonderen Belastungen des geklonten Individuums können wir nur vermuten – aber was könnte dafür sprechen, das einem Menschen anzutun? Die sozialen Implikationen können wir ebenso wenig abschätzen, aber dass das gesellschaftliche Gefüge, die innerfamiliären Verhältnisse, das Verhältnis der Geschlechter zueinander tangiert wären, liegt auf der Hand. Was spräche dafür, die Gesellschaft solchen Risiken auszusetzen? Wir wissen zudem nicht, welche biologischen Auswirkungen Menschenklonen langfristig für die menschliche Spezies hätte.

Im Umgang mit neuen Technologien plädiere ich für ethische Prophylaxe. Wir sollten Risiken, die die gesamte Menschheit betreffen und die in hohem Maße unabsehbar sind, vermeiden. Risikoaversion ist jedenfalls dann rational, wenn nicht einmal die Wahrscheinlichkeiten unterschiedlicher Szenarien abgeschätzt werden können und zugleich die Gefahren unabsehbar groß sind. Ethische Prophylaxe verlangt deshalb nach einem weltweiten und wirksamen Verbot des Menschenklonens.

Der Autor lehrt Philosophie in Göttingen; er war bis zum Oktober Staatsminister für Kultur.

Julian Nida-Rümelin

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