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Kultur: Werke und Werte

Reaktionen von Baring bis Wolffsohn

Arnulf Baring, 74, Historiker:

Die Selbstüberwindung von Grass verdient großen Respekt. Aber man fragt sich doch beklommen, warum er sich nicht früher zur Wahrheit aufgerafft hat. Grass hat immer betont, wie unvollkommen die Vergangenheitsbewältigung in Deutschland sei. Er muss sich dabei halb bewusst immer selbst im Auge gehabt haben. Sein Beispiel zeigt, wie tief seine Generation durch das in ihrer Jugend Erlebte traumatisiert worden ist. Tsp

Klaus Bölling, 77, Publizist und Regierungssprecher von 1974–1981:

Ein moralisches Urteil mag ich mir nicht anmaßen. Auch schmälert seine Enthüllung nicht sein literarisches Werk. Als Generationsgenosse frage ich mich nur: Warum hat ein so gescheiter Mann, der Praeceptor Germaniae, als der er sich sieht, das nicht längst erzählt? Tsp

Ralph Giordano, 83, Schriftsteller:

Schlimmer, als einen politischen Irrtum zu begehen, ist, sich mit ihm nicht auseinanderzusetzen. Innerlich hat Grass das schon lange getan und ist damit nun an die Öffentlichkeit gegangen. Für mich verliert er dadurch nicht an moralischer Glaubwürdigkeit – in keiner Weise. dpa

Walter Jens, 83, Literaturwissenschaftler

Grass’ Bekenntnis ist abgewogen, präzise und vernünftig. Ein Meister der Feder hält Einkehr und überlegt sich: Was hast du im langen Leben zu berichten vergessen? Das hat er getan und er verdient meinen Respekt. Es ist für mich bezeichnend, dass Grass gerade den richtigen Zeitpunkt gewählt hat. Vorher wäre manches Besserwisserisch erschienen. dpa

Hellmuth Karasek, 72, Literaturkritiker:

Mit einem früheren Bekenntnis seiner Waffen-SS-Mitgliedschaft hätte Grass möglicherweise den Nobelpreis riskiert. Grass hat den Nobelpreis wie kein anderer deutscher Autor verdient. Aber auf einmal kommt alles in ein neues Licht.NDR

Erich Loest, 80, Schriftsteller:

Was Grass sagt, ist ohne Vorwurf hinzunehmen. Er war sehr jung und stand unter keinem anderen Einfluss, der ihn abgehalten hätte. Ich habe mich auch zur Waffen-SS melden wollen, aber mein Schuldirektor hat das verhindert. Grass sollte uns sagen, warum er erst jetzt darüber schreibt. Tsp

Klaus Theweleit, 64, Schriftsteller:

Es handelt sich um die Reklameaktion eines Publicity-Süchtigen, der ein neues Buch geschrieben hat. Wenn Grass den Umfragen entnimmt, dass nicht 102 Prozent der Deutschen ihn kennen, dann fällt ihm so etwas ein. Tsp

Michael Wolffsohn, 59, Historiker:

Der Wahrheitströpfler Grass hätte im April 1985 eine goldene Gelegenheit gehabt, seine Waffen-SS-Mitgliedschaft einzuräumen. Damals diskutierten Deutschland und die Welt heftig über den Bitburg-Besuch von Bundeskanzler Helmut Kohl und US-Präsident Ronald Reagan (...) Durch sein beharrliches Schweigen wird GGs moralisierendes, nicht sein fabulierendes Lebenswerk entwertet. Bleiben werden GGs Worte, nicht seine Werte. Netzeitung

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