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Varga

© Berlinale

Wettbewerb: Gerettet? Gerichtet!

In Peter Stricklands Film begibt sich eine Frau auf die Reise ins Herz der Finsternis. "Katalin Varga" ist Kino als Religionsersatz.

Moral kann ganz schön gruselig sein. Peter Strickland, 35, britischer Regisseur mit Wohnsitz in Ungarn, verwandelt das Kino in eine Angsthöhle, wenn er das Publikum in seinem Debüt in die rumänischen Karpaten entführt. In „Katalin Varga“, dieser archaischen Ballade über Blutrache und den Teufelskreis der Gewalt, wird es niemals hell. Selbst wenn die Sonne scheint, ist alles Licht absorbiert: düstere Welt, Geisterstunde, Wolfszeit. Der Wald steht still und raunet, ein Raubvogel zieht seine Kreise, und das Schilfgras schillert im Bach wie in einem grausigen Märchen.

Die Bäuerin Katalin Varga (Hildá Peter) macht sich mit ihrem Sohn Orbán auf ins Gebirge. Weil ihr Mann erfahren hat, was ihr einst zustieß und wer Orbáns Vater ist, will sie ihre Vergewaltiger von damals finden, will sie stellen, sich rächen. Katalin sammelt Steine im Strumpf, eine stumpfe Mordwaffe.

Reise ins Herz der Finsternis: Mutter und Sohn begegnen unfreundlichen, misstrauischen Menschen. Beim Zigeunertanz am Lagerfeuer flackert die Vergangenheit auf den Gesichtern, bis der Hass zu lodern beginnt. Bleischwer liegt der Himmel über der majestätischen Bergkulisse, Nebelschwaden drücken auf die Hänge, der Wind brüllt, die Natur rattert und klirrt, aus der Raubvogelperspektive kriechen die Schafe wie Maden über die Weide. Licht und Schatten modellieren die Profile, die Kamera sitzt den Figuren im Nacken, tastet Schultern ab, Wangenknochen und Katalins löckchenumkräuselte Stirn. Weil die Welt so trübe ist und allzeit Gefahr zwischen den Baumstämmen lauert, würde es einen nicht wundern, wenn in diesem transsylvanischen Nachtmahr Dracula um die Ecke käme.

Es ist, als ob Rembrandt mit Caspar David Friedrich einen Independent-Vampirfilm gedreht hätte, mit Anleihen beim magischen Realismus des osteuropäischen Kinos: Man sieht, dass Peter Strickland von der Bildenden Kunst kommt und dass er seine Regiekarriere mit Super -8-Arbeiten begann. Aber so eigensinnig seine Ästhetik und vor allem die Soundcollage auch sein mag, so sehr Hildá Peters als Titelfigur beeindruckt – mit ihrem Kontrast zwischen groben Stiefeln und der Statur einer griechischen Tragödin –, so sehr wächst gleichzeitig der Unmut über die Botschaft von „Katalin Varga“. Ein Unmut, der dem Regisseur auch auf der Pressekonferenz deutlich entgegenschlägt.

Merke: Frauen sind Opfer. Wenn ihnen nicht Gewalt angetan wird, erhängen sie sich. Und Männer sind Monster. Oder, wie Antal, der Vergewaltiger, Erlöserfiguren mit Bart, schwarzen Locken und schneeweißem Hemd. Ja, Tibor Pálffy in der Rolle des Antal hat das Zeug zum nettesten Vergewaltiger in der Geschichte des Kinos. Nichts gegen Filme von biblischer Wucht, nichts gegen den Transfer antiker Tragödien in die Gegenwart. Der funktioniert allerdings nicht über einen plumpen Requisi ten -Mix mit Pferdekarren und antiquiert -armseligen Bauernkaten, in denen ab und zu ein Handy-Klingelton dudelt. 2007 lief im Forum „Shotgun Stories“ von Jeff Nichols, der eine alttestamentarische Bruderfehde in den Weiten der amerikanischen Südstaaten ansiedelte. Anders als Nichols, der eine Zerreißprobe zwischen der vermeintlichen Unentrinnbarkeit der Gewaltspirale und dem freien Willen des Menschen inszenierte, bescheidet sich Peter Strickland mit der Mechanik des Ressentiments. Menschen sind halt so. Kann man nichts machen, nur bangen und zagen. Solche Regie hat etwas Sadistisches.

Überhaupt gibt es viel Schuld und Sühne in diesem Jahr. Bei „Katalin Varga“ wird im Namen Gottes gemordet, auch in anderen Wettbewerbsfilmen häuft sich das Religiöse, Spirituelle, Übersinnliche. Wahlweise steht die Verdammung oder die Rettung der Welt auf dem Programm, vom tapferen Antikorruptionskämpfer in Tykwers „The International“ über das Kriegsschuldtrauma in „The Messenger“ und „Lille Soldat“, fliegende Engelskinder in „Ricky“, Schuld-Gespenster bei Bertrand Tavernier und die heilige Familie in Lukas Moodyssons „Mammoth“ bis zum Multikulti-Toleranzedikt von Rachid Boucharebs „London River“.

Lieber Kosslick, mach mich fromm, dass ich in den Himmel komm? Okay, ein Festival produziert seine Filme ja nicht, es zeigt nur, was da ist. Aber wenn das Kino Weltkirche spielt, wenn es zum Religionsersatz wird und Schicksal oder Sitte predigt statt Empathie zu vermitteln, ist das ein Grund zur Sorge. Ja, Moral kann gruselig sein, aber wieso ist sie in diesem Berlinale-Jahrgang so selten erhellend?

Zwei Tage vor der Bären-Vergabe biegt der Wettbewerb in die Zielgerade ein. Außer der Moral bietet er bislang ein breites, solides Mittelfeld, beachtliche, ernsthaft oder elegant mit ihrem Sujet ringende Filme wie „Gigante“, „Alle Anderen“, „The Messenger“ oder „Chéri“. Das ist viel, aber bei nur 18 Bären-Konkurrenten, die von wuchernden Außer-Konkurrenz- und Special-Programmen schier erdrückt werden, längst nicht genug.

Die Branchenblätter melden erste Anwärter für Cannes: Akin, Almodóvar, Haneke, Tarantino, Lars von Triers „Antichrist“, Todd Solondz mit „Forgiveness“ und Ron Howards „Angels & Demons“. Das nächste Festival, denkt man, ist immer das beste. Aber man ahnt auch, mit Blick auf Namen und Titel: Das Kino der Moralisten ist keine Berlinale-Spezialität.

12. 2., 9.30 und 18 Uhr (Friedrichstadtpalast), 20 Uhr (Urania), 15. 2., 17.30 Uhr (Urania)

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