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milkofsorrow

© Berlinale

Wettbewerb: Singen, wovon sich nicht sprechen lässt

Infektionen der Seele. In Claudia Llosas „La teta asustada“ geht es um Vergewaltigung und Tod, aber auch um Lebensmut.

Der nächste Wettbewerbsfilm, dessen allgegenwärtiger dunkler Hintergrund eine Vergewaltigung ist. Nur dass Faustas Mutter sich wohl nie wie jene Katalin Varga aus dem gleichnamigem Film aufgemacht hätte, ihren Peiniger zu suchen. Haben Vergewaltiger ein Gesicht? Es ist ohnehin zu spät. Faustas Mutter stirbt.

Es ist ein schöner Tod, mit dem Claudia Llosas zweiter Film beginnt, und es ist ein überaus lateinamerikanischer Tod. Die alte Frau singt ihr Leid von damals. Sie singt von toten Penissen und dass es denen nichts ausmachte, dass ein Kind sie anschaute – ganz von innen. Faustas Mutter singt alles, wovon sie niemals sprechen könnte. Singt es und stirbt.

Nun ist Fausta (von strenger Schönheit: Magaly Solier) allein, auch wenn sie beim Onkel lebt. Ihr Nasenbluten wird stärker, die Ohnmachten auch. Die Menschen um sie herum wundert das nicht. Kinder wie Fausta – Vergewaltigungskinder – haben an der Brust ihrer Mütter die „Milch des Leids“ getrunken, vergiftete Milch also.

Es geht nichts verloren, jede Untat wird aufbewahrt, wissen die alten Kulturen. Und nach derselben Ordnung der Dinge muss die Tochter ihre Mutter zurück in das Dorf bringen, aus dem sie einst kam. Nur dort kann ihr Grab sein. Die junge Regisseurin Claudia Llosa, entfernt verwandt mit Vargas Llosa, wird nachher auf der Pressekonferenz ein gutes Bild dafür finden: Leben und Tod gehören zusammen wie „ein Nest“. Und das muss bereitet werden. Am Ende soll die Tochter die tote Mutter auf dem Rücken tragen. Aber will Fausta denn überhaupt leben?

Menschliche Kultur beginnt, als eine höchst merkwürdige Affenart anfängt, ihre Toten zu begraben. Die Toten sind die eigentlichen Herrscher der Lebenden. Kein Nicht-Lateinamerikaner möge den Gehalt von „La teta asustada“ unterschätzen: Unser europäisches Denken über den Tod zeigt erst einmal nur, was Logik anrichten kann. Solange ich lebe, überlegte schon ein altgriechischer Philosoph, ist der Tod nicht da. Wenn der Tod da ist, bin ich nicht mehr da. Wo also ist das Problem? Woraus folgt: Nichts ist latent irrationaler als die Rationalität.

Nun hat „La teta asustada“ nicht die geringste Ähnlichkeit mit einem philosophischen Seminar. Es ist auch kein politischer Film, obwohl Vergewaltigungen zum Alltag des Terrors in Peru gehörten. Denn die Mitte dieses Films ist das streng-schöne, halb verlorene, meist schweigende, öfter singende, seltener sprechende Gesicht der Magaly Solier. Die Regisseurin hat sie 1996 auf dem Marktplatz in Huanta, der Hauptstadt der Region Ayacucho, entdeckt. Für Magaly Solier hat Claudia Llosa schon ihren ersten Film geschrieben, „Madeinusa“. Aber die Lieder der Fausta konnte sie ihr nicht schreiben. Das musste Magaly Solier selbst tun. Als auf der Pressekonferenz jemand fragt, ob sie nicht noch einmal singen könne, macht sie das sofort, ganz ohne ein Lächeln der Verlegenheit. Schon weil singen in gewisser Weise viel natürlicher ist als reden. Weil es ganz anders objektiv ist: viel nichtpersönlicher-persönlich. Wir haben das nur vergessen.

„La teta asustada“ begeht nie den Fehler, sich auf das Skurrile zu verlassen. Dass das Mädchen längst selbst begonnen hat, sich nach der Uransteckung ihres Wesens gegen alle feindlichen Eindringlinge zu schützen, erfahren wir fast nebenbei. Fausta trägt immer eine Kartoffel in der Vagina, Rundumschutz gegen Infektionen aller Art. Und natürlich gibt es dort, wo sie herkommt, Särge für jede Berufsgruppe und Geisteslage. Nicht schwarz wie der Tod, sondern bunt wie das Leben.

Aber was vermag schon die Kartoffel? Gegen die Grundinfektion ihrer Seele schützt die Knolle nicht, nicht gegen die Angst. Llosas Film zeigt mit der richtigen Behutsamkeit, wie Fausta zu sich selbst findet. Dass man sich „La teta asustada“ dennoch nicht ganz vorbehaltlos überlässt, liegt daran, dass er immer wieder ein wenig vorsätzlich wirkt, vor allem im Verhältnis Faustas zu Aida, einer Klaviervirtuosin mit Riesenhaus, Riesengarten und Hausmädchen wie Fausta. Oder muss man nur Lateinamerikaner genug sein, um die Existenz- und Reaktionsweise solcher Aiden ganz natürlich zu finden?

13. 2., 9.30 und 18 Uhr, (Friedrichstadtpalast) sowie 20 Uhr (Urania), 15. 2., 20.30 Uhr (Friedrichstadtpalast)

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