zum Hauptinhalt
Täuschend echt. Die gefälschten Bilder „Frauenportait mit Hut“, angeblich von Kees van Dongen, und „Frauenakt mit Katze“, angeblich von Max Pechstein.

© picture alliance / dpa

Wie erkennt man eine Kunstfälschung?: Ich sehe was, was du nicht siehst

Der Fälscherskandal um Wolfgang Beltracchi ist zum Menetekel des Experten und seines „unfehlbaren Auges“ geworden.

Zur Empörung über den Betrüger gehört die Schadenfreude über den Betrogenen. Oder auch, im Falle von Kunstfälscherei, das Erstaunen über die Fertigkeit des Fälschers. Heraus ragt der Holländer Han van Megeren, der Vermeer zu fälschen verstand und dabei auch Reichsmarschall Göring übertölpelte, nach 1945 aber um sein Leben pinseln musste: Der Kollaboration bezichtigt und mit Hinrichtung bedroht, musste er vor Zeugen nachweisen, dass er malen konnte wie weiland Vermeer. Und die Zeugen staunten.

Nicht lange – denn bald wunderte sich die Fachwelt, wie sie auf die süßlichen Bildchen van Megerens hatte hereinfallen können. Damit ist der entscheidende Punkt angesprochen, der beim jetzigen, weniger pittoresken, doch ungleich weiter reichenden Fälscherskandal am Ende die Hauptrolle spielt: die Frage nach der Kennerschaft, nach dem subjektiven Urteil über die Qualität eines Kunstwerks und dessen wahren Urheber.

Was dieser Tage im Kölner Landgericht ein überraschend vorzeitige Ende findet, ist von einer enormen Dimension. Ein begabter, jedoch seiner erträumten Berufung nach gescheiterter Kunstmaler namens Wolfgang Beltracchi, 1951 als Wolfgang Pfeifer in Geilenkirchen nördlich von Aachen geboren, hat den Kunstmarkt mit einer ganzen Serie von gefälschten Arbeiten in die Bredouille gebracht. Unter den 47 nachweislichen Fälschungen, von denen 13 Gegenstand des laufenden Verfahrens sind – die anderen Vorfälle sind ungeklärt oder bereits verjährt – dominieren fünf Arbeiten nach Art des Surrealisten Max Ernst. Das die Strafverfolgung unmittelbar auslösende Schwergewicht aber bildet ein für 2,88 Millionen Euro versteigertes Gemälde des rheinischen Expressionisten Heinrich Campendonk aus dessen bester Zeit kurz vor dem Ersten Weltkrieg. Die Bilder wurden Händlern und Auktionshäusern angeboten, von Experten begutachtet und für authentisch erachtet – und zum überwiegenden Teil eben auch veräußert. Da ist materieller Schaden entstanden, summiert in den rund 16 Millionen Euro, die Beltracchi im Laufe der Jahre einnahm und für seinen Lebenswandel samt Kauf eines südfranzösischen Anwesens und Bau einer Nobelvilla im badischen Freiburg aufwandte.

Wem ist der Schaden entstanden? Das ist keine Frage nur für die schadensrechtliche Nebenseite des Kriminalprozesses, der vor dem Kölner Landgericht verhandelt wird. Geschädigt sind alle Beteiligten – außer, so scheint es im Verlauf des Verfahrens, der Täter selbst. Und auch seine Gehilfen, voran die vermeintlich un- oder kaum wissende Ehefrau Helene, dazu deren jüngere Schwester sowie ein familienfremder Komplize, erscheinen eher als Geschädigte oder auch Marionetten einer Spielernatur, die sich im Aufbegehren gegen die Kränkung der professionellen Zurückweisung als Maler das Kunsthandelssystem zum Feind erkor und erfolgreich bloßgestellt hat. So ganz stimmt dieses Bild allerdings nicht. Ehefrau Helene trat stets als Enkelin eines Werner Jägers auf, der die angeblichen Originale direkt von den Künstler erworben und später vor den Nazis in der Eifel versteckt habe. Von da schleuste Helene sie in den Kunstmarktkreislauf ein, nicht ohne bisweilen auch tatsächliche Originale vorzulegen, die die Vertrauenswürdigkeit des Täterpaars spürbar untermauerten.

Geschädigt sind die Akteure des Kunstmarkts. Im Mittelpunkt eines zivilrechtlichen Verfahrens steht inzwischen auch der Inhaber des alteingesessenen Kölner Auktionshauses Lempertz, Henrik Hanstein, der den Campendonk zuschlug. Das Haus wies Vorwürfe zurück, man habe von Unregelmäßigkeiten gewusst, dies aber dem Käufer, einer Investmentgesellschaft mit Sitz auf Malta, vorenthalten. Nun ist Klage auf Rückabwicklung des Geschäfts anhängig. Dieser Nebenfall schwebt weiterhin, ist aber für die entscheidende Frage der Haftung eines Auktionshauses – dessen Versteigerung allein sichert gutgläubigen Erwerb! – und die vorauszusetzende Sorgfaltspflicht des Versteigerers von größter Bedeutung.

Schlimmer dran ist das Expertenwesen. Lesen Sie weiter auf Seite 2.

Täuschend echt. Angeblich malte Heinrich Campendonk „Die Katze in Berglandschaft“ 1914. Im Juli 2011 wurde das Werk für eine Million Euro an eine Stiftung verkauft. Tatsächlich ist das Bild eine geschickte Fälschung.
Täuschend echt. Angeblich malte Heinrich Campendonk „Die Katze in Berglandschaft“ 1914. Im Juli 2011 wurde das Werk für eine Million Euro an eine Stiftung verkauft. Tatsächlich ist das Bild eine geschickte Fälschung.

© dpa

Im Mittelpunkt des Expertenwesens steht eine nun schon tragisch zu nennende Figur, eine Persönlichkeit, der Doyen der Kunstgeschichtsschreibung des Surrealismus: Werner Spies. Der seit Jahrzehnten nahe Paris ansässige Kunsthistoriker, dessen Lebenswerk insbesondere der Bearbeitung der Werkverzeichnisse von Max Ernst unstrittig ist, der ein großer Vermittler der deutschen Moderne hinein nach Frankreich war und ist, der einige Jahre gar als Direktor des französischen Nationalmuseums moderner Kunst im Pariser Centre Pompidou amtierte, der in Düsseldorf lehrte und seit Jahrzehnten zum Autorenstamm der „FAZ“ zählt – dieser Werner Spies steht vor den Trümmern seines bis dahin tadellosen Rufes.

Und nicht einmal zu Unrecht. Dass sich ein Fachmann im persönlichen Urteil, in seinem angelernten und willig angenommenen Einfühlungsvermögen in die künstlerische Sprache eines Dritten vertun kann, mag noch angehen. Das Gestrüpp von Abhängigkeiten zumal finanzieller Art, das bei dieser Art professioneller Begutachtung jedoch entstehen kann und im Falle Spies geradezu unfasslich wild gewuchert ist, diskreditiert die gesamte Branche. Und mit ihr jede Vorstellung von „Kennerschaft“ als Basis eines Kunst-Urteils – bis hinein, das wird die Zukunft leider erweisen, in den geldfernen Bereich der kunstgeschichtlichen Forschung mit ihrer Kerntätigkeit der Zu- und Abschreibung ungesicherter Werke.

Beltracchi also malte, er besorgte sich alte Leinwände und kratzte auch mal die bereits vorhandene Farbe ab, um seinerseits à la 1913 zu arbeiten; freilich bisweilen unter Verwendung von Pigmenten, die es damals noch nicht gab und die ihn im Falle Campendonk dann auch unwiderlegbar überführten. Die Schwester vertrieb die „Fundstücke“ aus der großväterlichen „Sammlung Jägers“, nach deren Zustandekommen keiner so richtig fragen mochte, und half gegebenenfalls mit rotzfrech nachgestellten Fotografien aus dem Familienalbum von anno dunnemals nach, um den rechtmäßigen Besitz der angebotenen Ware zu unterstreichen. Die Arbeiten – geprüft und für echt befunden, wenn sie sich denn nicht auch ohne Zertifikat als marktgängig erwiesen – gingen per (französischem) Händler, Direktverkauf oder Auktion an Abnehmer, die ihrerseits die Stücke oft schnell weiterveräußerten. Da kamen denn zum Beispiel sieben Millionen Dollar für den von einer Pariser Galerie offerierten, leider grundfalschen Max Ernst zusammen, bezahlt aus der Schatulle eines New Yorker Sammlers.

Bleibt Werner Spies. Anfangs fühlte sich die „FAZ“ bemüßigt, ihren Starautor in Bausch und Bogen zu verteidigen. „Und er verbirgt sein Leiden daran nicht“, hieß es zu den Vorwürfen, noch vier Monate nach der spektakulären Verhaftung von Beltracchi und Co. im August 2010. Und auch, dass es „keinerlei Hinweise“ gebe, dass Spies „außer dem üblichen Honorar für seine Gutachten noch Provisionen erhalten haben sollte“. Das glatte Gegenteil ist der Fall. Die „FAZ“ selbst stellte klar, dass das „Glücksmoment“ des Experten mit fürstlichen Provisionen aufgewogen wurde, denen weitere Tantiemen bei der Veräußerung der nunmehr millionenschwer gewordenen Objekte folgten. Und im Einzelfall sogar eine weitere Zahlung, als ein derart zu kunsthistorischen Weihen befördertes Werk in einem Privatmuseum unterkam. Praktischerweise saß Spies im Beirat und empfahl den Ankauf des von ihm selbst nobilitierten Stücks.

Es gibt weitere Experten. Die Autorin des Campendonk-Werkverzeichnisses und also nach landläufiger Meinung zur Begutachtung von Werken dieses Künstlers prädestiniert, Andrea Firmenich, äußerte irgendwann doch Zweifel an der Echtheit der teuren „Roten Pferde“ – und wurde daraufhin nach eigener Aussage telefonisch „bedroht“. Sie gab klein bei. Der Durchbruch zur Entdeckung der Fälschung gelang einem Historiker, der über ein nicht etwa nachgeahmtes, sondern frei erfundenes Galeriesiegel auf der Rahmenrückseite stutzte – das konnte nicht die renommierte Düsseldorfer Galerie Alfred Flechtheim gewesen sein, aus der das Gemälde 1930 verkauft worden sein sollte! Später fand sich solche Flechtheim-Folklore serienmäßig auf weiteren Beltracchi-Schöpfungen.

Das ist der eindeutig betrügerische Teil des Falles: die mit hoher krimineller Energie in allen Einzelheiten ersonnene und ausgeführte Tat. Über sie wird zuvörderst in Köln verhandelt, auch wenn das Urteil nach Geständnissen und prozessualer Vereinbarung mit Strafen am unteren Limit – sechs Jahre für den Hauptangeklagten – alsbald zu Ende gehen dürfte.

Mit der Kennerschaft jedoch ist es vorbei. Das unfehlbare Auge – ach je, eine Schimäre. Kopien, Nachahmungen, Fälschungen von Kunst hat es zu allen Zeiten gegeben, und Europas Fürstenhäuser sind oder waren einst voller falscher Raffaels und Rembrandts. Doch der Kunstmarkt ist mittlerweile milliardenschwer an Umsatz, auch dient Kunst weltweit der Geldwäsche. Sie ist eine Anlageform hochspekulativer Art. Um das naive Erstaunen wie 1945 beim Holländer van Megeren geht es längst nicht mehr. Ohne Experten, gesuchte und selbst ernannte, funktioniert der verschwiegene Kreislauf nicht. Dieses sorgsam gehütete Halbdunkel taghell ins Licht zu setzen, könnte zum bleibenden Verdienst des Fälscherskandals Wolfgang Beltracchi werden.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false