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Kultur: Wie filmt man einen Nachruf auf sich selbst? Miklós Jancsós hats versucht.

Ein Friedhof irgendwo in Budapest, wie ein sonnendurchfluteter Park im Frühsommer, wie die Liebe, wie der Tod. Hier treiben zwei verschlagene Totengräber ihr undurchsichtiges Unwesen, hier sitzen zwei alte Männer auf einer Bank, rauchen Pfeife, trinken Bier und immer zu süßen Champagner.

Ein Friedhof irgendwo in Budapest, wie ein sonnendurchfluteter Park im Frühsommer, wie die Liebe, wie der Tod. Hier treiben zwei verschlagene Totengräber ihr undurchsichtiges Unwesen, hier sitzen zwei alte Männer auf einer Bank, rauchen Pfeife, trinken Bier und immer zu süßen Champagner. Einer von ihnen ist Regisseur Miklós Jancsó (Jahrgang 1921), eine wahre Institution des ungarischen Nachkriegsfilms. Mit dem Film "Die Laterne des Herrn in Budapest", in dem er sich selbst spielt, hat Jancsó einen furios absurden Bilderbogen geschaffen, der die Gewalt ins Komische kippen läßt und umgekehrt. Jancsó hat sich damit zu Lebzeiten einen filmischen Nachruf geschaffen, seinen eigenen Tod inszeniert.

Dass die beiden alten Männer auf einer ominösen "Liste" stehen, zu sterben haben, kümmert sie nur wenig. Kaum sind sie erschossen, ihre Asche den Pferden unter das Futter gemischt, da tauchen sie auch schon wieder auf. So wie der verschrobene Totengräber Kapa und sein gutgläubiger Kollege Peti nach jedem Selbstmord oder Attentat wieder auferstehen. Eine Welt der stetes Wiedergeburt, in der die Geschichten ineinander laufen, sich überlagern und schließlich doch auseinanderfallen. Nur auf den Friedhof findet der ungewöhnliche Kamerablick in schweifenden Fahrten immer wieder wieder zurück. Hier, wo hinter Grabsteinen kopuliert und in dem luftigen Gartenlokal getrunken wird, hier schneidet die Kamera das Wesentliche aus angeschnittenen Gesichtern.

Irgendwann verliert man den Überblick, und das soll auch so sein. Wer wen erschossen hat, wessen Nichte welche Familie niedermetzelt, und wer nun wieder Kapa und Peti sind, die in verschiedenen Rollen schlüpfen - Jancsós Friedhof bleibt ein Verwirrspiel. Kapa, wird als Kopf einer finsteren Mafiaclique Herr über Leben und Tod - er trägt "Gottes Laterne". Doch auch dieses Bild wird zerbrochen.

Der Film ist ein surrealer Kosmos, Traum und Wirklichkeit zugleich, angelehnt an Buñuel und durchtränkt vom Werteverlust im postsozialistischen Ungarn. Jancsó glaubt nicht an Filmstories, sie würden das Publikum für einen schönen Abend belügen. Das Gespinst von Metaphern und Episoden des Films zu entwirren, würde bedeuten, Jancsós Leben zu entziffern. Doch der treibt tot in einem Wasserbecken - einer seiner vielen Tode. Es bleibt die Erinnerung an einen kryptischen Traum, über dessen Bedeutung man besser nicht nachdenkt. Das wäre vielleicht auch nicht im Sinne Jancsós? Denkt nicht über die Beschaffenheit der Welt nach, empfiehlt er listig, sondern genießt das Leben!In der Brotfabrik (OmU)

Jan Kixmüller

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