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Kultur: Wie Gott sie schuf

Anzüglich: Stephen Frears’ Kostümfilm „Lady Henderson präsentiert“

Gangsterfilm, Western, Schnurren, Literaturadaptionen und Kostümfilme – Stephen Frears hat kaum ein Genre ausgelassen. Seine Inszenierungen, immer handwerklich perfekt, amüsant und intelligent, zeugen von ausgezeichneter Kenntnis der jeweiligen Genreregeln. „Lady Henderson präsentiert“, Frears’ neuester Wurf, ist ein visueller und akustischer Genuss: schwungvoll und respektlos wie die Revuefilme der frühen dreißiger Jahre, farbenfroh und dekorfreudig wie die Musicals seines großen Kollegen Vincente Minelli aus den Fünfzigern. Entstanden ist eine Genre-Hommage, die alles enthält, was das Herz begehrt: ausgedehnte Auditions und launische Stars, eine auf Gedeih und Verderb zusammengeschweißte Theaterfamilie, Chorus Girls in erotischen Verstrickungen, Aufstieg und Fall, Probenkrach, Hysterie und am Ende die versöhnende Galapremiere.

Und nicht nur das: Wie nebenbei wirft Frears einen Blick auf die englischen Klassenverhältnisse, auf Ressentiments und Beziehungsgeflechte, die er mit milder Ironie beschreibt. Dass er zudem Krieg und Tod, melancholische Alters- und entsagungsvolle Jugendliebe en passant thematisiert, während er die nackten Puppen zwar nicht tanzen, aber posieren lässt, ist kein Verstoß gegen die Konventionen. In jedem Musical gibt es auch einen melodramatischen Handlungsstrang.

Schauplatz ist London im Jahr 1937. Die frisch verwitwete Mrs. Henderson, eine kluge, schnippische Dame um die 65, weigert sich, ihren Lebensrest mit den üblichen standesgemäßen Witwenbeschäftigungen wie Sticken und Wohltätigkeit zu füllen. Schließlich ist sie als Gattin eines Ex-Kolonialoffiziers in der Welt herumgekommen, was ihr hilft, noch die merkwürdigsten menschlichen Verhaltensweisen milde zu beurteilen. Aus Abenteuerlust kauft sie sich ein Theater und mietet sich den selbstherrlichen Direktor Vivian Van Damm, genannt VD, dazu. Dass diese Konstellation einiges an Zündstoff hergibt, lässt sich denken, die Hauptdarsteller Judi Dench und Bob Hoskins liefern sich entsprechend giftig-süffisante Wortgefechte.

Doch der Theaterdonner verzieht sich schnell, schließlich wird gearbeitet – zuerst mit Nonstop-Vorstellungen für die Londoner High Society. Die beiden ungleichen Theaterchefs sind damit so erfolgreich, dass sie jede Menge Nachahmer finden, mit denen sie allerdings auch das Publikum teilen müssen. Also muss ein neuer Plan her: Man spezialisiert sich auf ein männliches Publikum, dem es weniger um die Kunst als um deren spärlich bekleidete Interpretinnen geht. Lady Henderson nämlich findet, dass junge Frauen nicht unbedingt dick angezogen sein müssen, wenn sie lebende Bilder stellen. „Sie sabbern“, rügt sie ihren Impresario, während er die Aspirantinnen dieser Kunst begutachtet, und reicht ihm ihr Spitzentaschentuch. Klingt robuster und kratzbürstiger, als sie tatsächlich ist – und auch VD verbirgt eine zartere Seele. Doch erst der Krieg bringt ihre weichen, verletzlichen Seiten hervor. Ob sie einander auch in Krisenzeiten helfen können, muss sich herausstellen.

In neun Berliner Kinos, OV im Cinestar SonyCenter, OmU im Odeon

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