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Kultur: Wie gut ist Kolonialismus, Senhor Agualusa?

José Eduardo Agualusa wurde 1960 in Huambo / Angola geboren. Seit 1989 schreibt er Romane, Erzählungen und Lyrik und lebt als Schriftsteller und Journalist meist in Rio de Janeiro.

José Eduardo Agualusa wurde 1960 in Huambo / Angola geboren. Seit 1989 schreibt er Romane, Erzählungen und Lyrik und lebt als Schriftsteller und Journalist meist in Rio de Janeiro. Mehrere Monate verbrachte er als Stipendiat in Berlin und veröffentlichte im Deutschen Taschenbuch Verlag den Roman "Ein Stein unter Wasser".

Senhor Agualusa, Sie leben als Schriftsteller abwechselnd in Rio de Janeiro und Lissabon sowie in der angolanischen Hauptstadt Luanda - in drei Metropolen des portugiesischen Sprachraums.

JOSÉ EDUARDO AGUALUSA: Meine Eltern stammen aus Portugal und Brasilien, und ich wurde in Angola geboren. Also bin ich auf drei Kontinenten zu Hause.

In Berlin sind Sie in der Universität der Künste aufgetreten: bei einer Mischung aus Kongress und Konzert, die den, wie es heißt "lusophonen" Kulturen und Ländern in Afrika, Europa, Südamerika und Asien gewidmet war - unter dem Motto: "Wer frisst wen?"

Für mich ist das ein fröhlicher, positiver Titel. In Brasilien klingt das wie eine ironische Anspielung auf das Verhältnis unserer sprachverwandten Länder. Andererseits sind in Lissabon inzwischen 17 Prozent der Bevölkerung afrikanischen Ursprungs, und die Menschen aus Angola und Mosambik beeinflussen die portugiesische Lebenskultur, die Musik und Literatur. Also könnte man auch sagen, jeder frisst jeden!

Stephan Stroux, das Motto stammt eigentlich von Ihnen als Initiator des Projekts.

STEPHAN STROUX: Es war ursprünglich der Titel einer Theaterproduktion, die ich vor zwei Jahren in Portugal inszeniert habe: mit Künstlern aus Angola, Brasilien, Guinea-Bissau, Kap Verde, Mosambik, Sao Tomé und Príncipe sowie Portugal. Vertreter aus diesen Ländern zusammenzubringen, war nach dem 11. September ein Exempel für den immer geforderten "Dialog der Kulturen".

Lässt das Motto statt des Verbindenden nicht das kannibalistisch Koloniale anklingen?

STROUX: Wer frisst wen - Quem come quem? - hat in Portugal und Brasilien auch eine starke sexuelle Konnotation. Derjenige, der glaubt, er frisst den anderen auf, ist am Ende vielleicht der, der selber aufgefressen wird. Es fängt mit der Sprache an: Das Portugiesische gehört zum Beispiel längst nicht mehr den Portugiesen.

AGUALUSA: Die portugiesische Sprache ist inzwischen eine Komposition, die aus sieben Ländern in vier Kontinenten entstanden ist. Hinzu kommt, dass die Araber fünf Jahrhunderte in Portugal waren, das Portugiesische also nicht nur lateinische Wurzeln hat. Auch der Fado, die traditionelle Musik Lissabons, geht zurück auf den Gesang afrikanischer Sklaven in Brasilien im 19. Jahrhundert. Und bereits im 17. Jahrhundert kam jeder fünfte Bewohner Lissabons aus Afrika.

Nicht freiwillig. Das waren die Sklaven.

AGUALUSA: Auch die Sklaven hatten ihre eigene Kultur, und sie hatte Einfluss. Im 17. und 18. Jahrhundert waren viele Lissaboner Intellektuelle afrikanischen Ursprungs.

Also hat der Kolonialismus auch die kulturelle Identität der Kolonisatoren verändert. Ist die weiße Mehrheitsgesellschaft in Europa und Amerika sich dessen wirklich bewusst?

AGUALUSA: Es ist ein komplexer Prozess. Natürlich hat der Kolonialismus Kulturen zerstört, etwa die der Azteken und Inkas in Mittel- und Südamerika. Aber er baut auch andere, neue Kulturen auf. Schlechte Samen können gute Früchte bringen. Heute ist Portugiesisch die Muttersprache von etwa 40 Prozent aller Angolaner. Der angolanische Präsident spricht nur portugiesisch. Das Portugiesisch in Afrika ist inzwischen viel lebendiger als die Sprache der europäischen Portugiesen; und der meistverkaufte Gegenwartsautor in Portugal, abgesehen von Nobelpreisträger José Sarramago, ist Mia Couto aus Mosambik. Portugiesisch ist heute genauso eine afrikanische wie in Brasilien eine lateinamerikanische Sprache.

Das gleiche Phänomen kennt die englische Literatur, die heute von karibischen oder indisch-pakistanischen Autoren geprägt ist, vom Nobelpreisträger Naipaul, von Salman Rushdie, Hanif Kureishi oder Arundhati Roy. Für diese umgekehrte "Kolonialisierung" gibt es das Bonmot: The Empire writes back.

AGUALUSA: (lacht) Ich habe jetzt einige Monate in Berlin verbracht. Hier leben Menschen vieler verschiedener Kulturen, mit wechselseitigem Einfluss. Das gefällt mir. Ich denke, die Deutschen sollten als Chance begreifen, dass nun auch das Türkische eine deutsche Sprache geworden ist.

Was Sie über die Welt Portugals und seiner ehemaligen Kolonien erzählen, klingt wie eine schöne kosmopolitische Utopie. Aber die Unabhängigkeitskriege in Angola und Mosambik waren grausam, und erst Mitte der siebziger Jahre hat Portugal, selbst ausgeblutet, Frieden geschlossen und ist sehr spät eine Demokratie geworden.

AGUALUSA: Das stimmt. Trotzdem gab es einen Unterschied etwa zur französischen oder englischen Kolonialherrschaft: Portugal selbst war schon lange ein kleines, armes Land geworden. Die Portugiesen haben sich in Afrika mit den Einheimischen vermischt und waren sozial nicht unbedingt besser gestellt. In der Lagune von Luanda wurde zum Beispiel eine Göttin verehrt. Als Opfer brachten ihr die Einheimischen Speisen, die sie auf Wegkreuzungen legten. Worauf es in den sechziger Jahren hieß, die Göttin lebe auf Diät, weil die armen Portugiesen immer heimlich die Opfer-Speisen aufgegessen haben. Ein alter Portugiese in Luanda, der seit 50 Jahren nicht mehr in Portugal war, sagte mir: Warum soll ich in ein armes Land zurückkehren? Er sei als Soldat nach Angola gekommen und habe hier zum ersten Mal elektrisches Licht gehabt!

Effekt einer positiven Globalisierung?

AGUALUSA: Globalisierung ist nichts Neues. Das Nationalgericht Angolas beruht auf dem brasilianischen Maniok. Die angolanische Volksmusik Rebita kommt vom europäischen Walzer - im 19. Jahrhundert tanzten die reichen Leute in Luanda Walzer, das wurde anverwandelt und Rhythmen hinzugefügt: Auch das ist Globalisierung.

STROUX: Aber das ergibt jetzt ein allzu positives Bild vom Kolonialismus und seinen Folgen. Tatsächlich sind die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den lusophonen Ländern und Portugal voller Konflikte. Und die Idee unseres Projektes "Wer frisst wen?" war, zu den kulturellen Wurzeln zu finden, die es braucht, bevor man sich souverän mit anderen austauscht. Nicht alle Angolaner sind so weltläufig wie José Agualusa. Die afrikanischen Länder haben fürchterliche Vorurteile. Bei dem Kongress in der Berliner Akademie der Künste kam es erstmals zu einer Zusammenarbeit zwischen den Botschaften von Angola und Mosambik oder Kap Verde und Sao Tomé. Menschen aus diesen Ländern, die in Berlin leben, waren sich vorher nie begegnet. Sie trafen sich hier, nicht etwa in Lissabon!

Gibt es nicht auch noch immer Spannungen zwischen Weiß, Braun und Schwarz? Die multikulturelle Idylle trübt doch selbst in Brasilien ein sublimer Rassismus.

AGUALUSA: Oh, dieser Rassismus ist ganz manifest! Mein neuester Roman handelt von der Situation der Schwarzen in Brasilien. Für mich ist es ein Skandal, dass es in einem Land, in dem die Mehrheit afrikanischen Ursprungs ist, bis heute keinen einzigen schwarzen Minister gibt. In Brasilien existiert eine informelle Apartheid. Auch in Angola sind die Mehrheit der bekannteren Schriftsteller Weiße.

Warum?

AGUALUSA: Weil die Autoren fast alle portugiesisch schreiben. Portugiesisch ist die Literatursprache, aber die Muttersprache der meisten Schwarzen sind afrikanische Regionalsprachen. Portugiesisch ist die Amtssprache, das funktioniert; aber als Schriftsteller muss ich die Sprache viel tiefer durchdringen als in einer reinen Funktionssprache.

Spielte eigentlich der 11. September in Afrika eine Rolle? Interessiert die Menschen in Angola oder Mosambik, wenn beispielsweise eine amerikanische Intervention in Somalia diskutiert wird?

AGUALUSA: Erstens: Afrika gibt es nicht. Es gibt ganz viele Afrikas. Es gibt dort auch stabile und reiche Länder, beispielsweise Botswana und Kap Verde. Von ihnen spricht nur niemand, weil dort nichts passiert. Aber es gibt in Afrika auch das: viele 11. September, jedes Jahr. Gewalt, Katastrophen, Bürgerkriege. Die Leute in Europa und in den USA fragen sich: Was ist ein Terrorist? Wir wissen, was ein Terrorist ist. Und viele Jahre lang wurden Terroristen in Angola durch die USA finanziert ...

Ist Europa, verglichen mit Afrika, ein homogenerer Kontinent?

AGUALUSA: Überhaupt nicht. Was haben ein Ukrainer, ein Däne und ein Portugiese miteinander gemein? Europa ist viel größer als die EU. Europa ist auch türkisch. Türken sind Moslems, Portugiesen sind Katholiken, die haben kulturell zunächst nichts miteinander gemein.

Aber Sie haben vorhin für die globalen kulturellen Vermischungen plädiert.

AGUALUSA: Natürlich, wir sind eine Menschheit. Aber für eine gegenseitige Bereicherung muss ich erst mal den Reichtum der Unterschiede erkennen. Das kann man wunderbar in Berlin studieren. Hier sind Menschen aus der ganzen Welt, es gibt Essen aus Arabien und Jazz aus Litauen. Das Interessanteste war für mich, einen Schwarzen deutsch rappen zu hören. Dieser "Dialog der Kulturen" wirkt für mich auch sehr brasilianisch. Darum bin ich sicher, dass Berlin der Welt in Zukunft noch viel zu bieten hat.

Senhor Agualusa[Sie leben als Schriftsteller abwe]

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