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Kultur: Wie in einem dunklen Spiegel

Katholizismus als Subkultur: Martin Mosebachs Essays erkunden die „Schöne Literatur“

Warum schreibt Martin Mosebach seine Texte nicht gleich auf Latein? Nüchtern konstatiert er, in der deutschen Hochsprache seien viele einst starke, betonte Silben zu schwachen, beinahe tonlosen verflacht. Wer nicht künstlich hochartikuliert spreche, neige in der deutschen Sprache dazu, Klangloses zu nuscheln. Die Klangreize dieser Sprache „müssen aus der unmelodiösen, tonlosen Sprechweise der gebildeten Deutschen gleichsam ausgegraben werden“. Mosebach bedauert die mangelhafte Romanisierung Germaniens. Dennoch macht er sich ganz gut gelaunt mit seiner Aufsatzsammlung „Schöne Literatur“ ans deutschsprachige Werk: „Wie in der Malerei der Vergangenheit, als man die Modelle zunächst nackt zeichnete und dann erst mit Farbe anzog, lohnt sich auch bei der Sprache zu entdecken, welch lieblicher Leib in ihr verborgen ist.“

Zum Thema Tagesspiegel Online: Leipziger Buchmesse  Service Online bestellen: "Schöne Literatur" Martin Mosebach, Jahrgang 1951, bekennender Frankfurter Katholik und erfolgreicher Autor mehrerer Romane, hat im Bestiarium der deutschen Literatenszene die Planstelle eines ganz außergewöhnlichen Schuppentiers besetzt: die des Reaktionärs. Wenn Mosebach erzählt, wie sein denkerisches Idol, der auch von Erst Jünger und Botho Strauss hochverehrte kolumbianische Aphoristiker Nicolás Gómez Davila, den „höchsten Ehrentitel“ des „Reaktionärs“ zu vergeben hat, dann kann der Leser sich sicher sein, dass Mosebach diesen Titel auch für sich reklamiert.

Mosebach – das liest man zwischen allen Zeilen seines Essaybuchs – will ein Reaktionär sein. Aber was ist das, ein Reaktionär? Jedenfalls, das ist sicher, kein Demokrat. Er könnte ein Royalist sein, wie Mosebach in seinem luziden Peter-Hacks-Nachruf andeutet. Aber damit den Mosebach-Lesern nicht gleich die politisch-korrekten Taschenmesser in den Hosen aufgehen müssen, hat Mosebach eine konziliante, fast liberale Definition des Reaktionärs eingefügt, die in ein Zitat des geliebten Dávila mündet: „Die höchste Weisheit des Reaktionärs bestünde darin, selbst für den Demokraten noch einen Platz zu finden.“

Der geneigte demokratische Leser ist ausgesprochen froh, dass für ihn noch ein Platz zu finden sein wird und liest ebenso gefesselt wie amüsiert die 230 Seiten kürzerer Gelegenheitsarbeiten und Zeitschriftenessays des Autors. Schon in den ersten Texten liest man literaturwissenschaftlich brillante Kommentare zu Werken der Weltliteratur, trotz teilweise verblüffendem Inhalt stilistisch heruntergestimmt auf einen zwar präzisen, aber vom Duktus her beiläufig kommentierenden Stil. Man erfährt von einer phatischen Sprachgeste bei Shakespeare und Kleist, von der poetischen Funktion des (Sprach-)Exils, Rudolf Borchardt und Heimito von Doderer werden ansprechend porträtiert. In sechs Texten widmet sich Mosebach sehr subtil der französischen Literatur von Choderlos de Laclos bis Julien Green.

Bisher unveröffentlicht und für diese Sammlung geschrieben ist der Aufsatz „Was ist katholische Literatur?“, auf den der Mosebach-Kenner gespannt sein durfte. Die Erwartung findet jedoch kaum Resonanz in Mosebachs Ausführungen: Die Antwort, katholische Literatur sei eben von Schriftstellern geschrieben, die von katholischem Bekenntnis sind, differenziert Mosebach. Er zeichnet mit wenigen, schnellen Strichen ein Bild der katholischen Einflusszone, die für ihn vom Mittelalter bis zu Joyce und Proust reicht. Die Darstellung von Heiligkeit könne keine literarische Kategorie sein, da der Mensch in einem grundsätzlich anderen, einem sündigen Status lebe, von dem der Roman nicht sprechen könne: „Und so ist es auch mit dem Dogma von der Heiligkeit: heilig kann der Mensch mit seiner gefallenen, erbsündlich geschädigten Natur nicht werden, einerseits – andererseits kann er aber irgendwie doch, man verzeihe mir die saloppe Formulierung, die ganz die argumentativen Brücken zwischen diesen Polen vermeidet.“

Das Heilige gehe nur in der Kunstform der Ikone auf. Jedoch sei der ganze, abendländisch-literarische Horizont ein genuin katholischer gewesen. Dennoch gibt er einem Rezensenten seiner Romane Recht, der ihm schließlich absprach, ein katholischer Autor zu sein. Er sei kein katholischer Schriftsteller, insofern er im Horizont der Moderne eine Gegenwart beschreibe, in der „die Fühlung mit der katholischen Welt beinahe vollständig verloren gegangen“ sei. Die bürgerliche Welt habe „die metaphysischen Antennen eingezogen“. Seine Heimat ist der Katholizismus, das ja. Seine Ontologie ist die der katholischen Dogmatik mit dem Kernsatz: „Die Welt, wie sie sein soll und wie sie gedacht ist, wird sich erst nach dem jüngsten Tag zeigen. Bis dahin sehen wir in einen ,dunklen Spiegel‘ – und wir dürfen nicht so tun, als sei dieser Spiegel gar nicht so dunkel oder als sei er kein Spiegel.“

Wie die heilige katholische Kirche und der Papst denkt Mosebach in Jahrtausenden. Bei Mosebach zählt der ganze westliche Kanon zum katholischen Einflussraum. Dass er die subversive, antidogmatische Dimension der Literatur nicht wahrnimmt, macht sich angesichts der üblichen Mosebachschen denkerischen Sorgfalt merkwürdig aus.

Man lernt Mosebachs Kosmos schnell kennen. Im Durchgang durch den Essayband muss man ihm eine große stilistische Konsequenz und literaturwissenschaftliche Intuition bescheinigen. Aber das Gefühl, einen originellen Autor kennen zu lernen stellt sich dennoch nicht ein. Warum? Bei diesem Schriftsteller ist die geistespolitische Positionierung heute so extravagant, wie sie literarhistorisch allzu genau lokalisierbar ist. Zu vordergründig bei allen esoterisch daherkommenden literarischen Gesten, zu berechenbar ist sein essayistischer Duktus. Seine gemessen an der literarischen Moderne anarchokatholische Position ist heutzutage so grell, dass sie etwas vom schlichten Reiz des Exotischen hat.

Mosebach bleibt ein Retrophänomen. Wenn er mit Dávila bekennt, dass seine „Heimat der Katholizismus“ sei, dann klingt das nach Erbauungsbuch – Nonkonformismus hin oder her. Mosebach hat kein Sensorium dafür und keinen Respekt davor, dass bereits Dante aus der Häresie seine stärksten Energien zog. Was ist wohl der Grund dafür, dass die überwiegende Zahl der Autoren – auch der katholischen – gemessen an orthodoxen Ansprüchen Häretiker waren? Mosebach stellt diese Frage nicht.

Wie könnte ein katholischer Künstler heute Kunst machen, ohne das subkulturell Schrullige von Martin Mosebachs Literatur und Essayistik auszubilden? Die Antwort müsste wohl lauten: Den Kulturkatholizismus von heute repräsentiert der bekennende Katholik Harald Schmidt. Und dessen Sendung, dessen zeitlose Gegenwärtigkeit ist es, nach der man sich bei der Mosebach-Lektüre bisweilen sehnt.

Martin Mosebach: Schöne Literatur.

Essays. Carl Hanser Verlag, München 2006. 232 S., 19,90 €.

Marius Meller

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