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Kultur: Wie klingt ein Aspirin?

Haroon Mirza in der Berliner Schering-Stiftung.

Es tanzen die Tabletten, es blinkt in der Schattenfuge. Rot, blau und grün sind die Leuchtdioden, die Haroon Mirza so diskret arrangiert hat, dass man den Ausstellungsraum erst einmal für nahezu leer hält. Bis die farbigen LED-Bänder aufleuchten und für Sekunden eine Skulptur aus Licht entstehen lassen. Genau dort, wo man im White Cube sonst nicht hinschaut: in einem umlaufenden Spalt in Bodennähe, der sich aus den vorgeblendeten Wänden ergibt.

Dahinter liegen die Kabel und alle Technik, die den Kunstgenuss trüben. Dass Mirza sich ausgerechnet mit diesen Details beschäftigt und im Showroom optisch hervorkehrt, was der Funktion dient, stellt die Bemühungen der Schering-Stiftung auf den Kopf: Wie Pfeile zeigen seine farbigen Akzente auf alles, was man lieber verbirgt. Der Brite tut dies einerseits feinsinnig, mit den zarten Mitteln des Lichts, das den Blick ebenso auf die Säule im Raum und eine Klappe im Fußboden lenkt. Doch dann setzt der Sound seiner Installation ein, fährt langsam hoch und scheint den Raum physisch immer mehr auszufüllen. Bis man sich von den Tönen derart eingekreist, überwältigt und angegangen fühlt, dass man den Raum verlassen möchte. Just in diesem Moment bricht die Komposition aus Versatzstücken von Techno- und Housemusik ab – und man genießt die Stille beim zarten Klang von Aspirin.

Mirza, der unter anderem am Londoner Goldsmiths College studiert hat und vergangenes Jahr in Venedig einen silbernen Biennale-Löwen als „most promising artist“ bekam, gewinnt selbst den weißen Pillen ein Geräusch ab: Er lässt sie auf einem vibrierenden Lautsprecher springen. Den Ton hält er fest und schickt ihn ebenfalls auf akustische Tour durch den Ausstellungsraum. Der Künstler, Jahrgang 1977, arbeitet mit minimalen visuellen Mitteln, um ein Maximum an Wirkung zu erzielen. Dabei ist der Aufbau seiner Licht- und Klanginstallation hochkomplex, doch das sieht man nicht. Man kann bloß ahnen, dass das rhythmische Aufleuchten der LED-Bänder Signale aussendet, die wiederum die Komposition beeinflussen. Man spürt Zusammenhänge, ohne Details zu kennen. Und man sieht auf dem Video, das die Installation „Acid Reign“ komplettiert, einer Frau beim Vortragen zu. Bloß verstehen lässt sie sich nicht.

Ihr Text entstammt Wikipedia und erzählt die Geschichte der Bayer AG. Seit 2006 ist Schering Teil des Unternehmens mit dem Bestseller Aspirin. Mirza greift auch diese Aspekte auf und stellt seinen Auftraggeber aus: Die Arbeit reagiert auf architektonische wie historische Details und konstruiert sich überhaupt erst daraus. Manche Anspielungen – so lassen sich die Tabletten auf der Membran mit den Technofragmenten aus den Lautsprechern als Sinnbilder jener chemischen Substanzen lesen, die im Clubleben für rauschhafte Zustände sorgen – weisen über den Ort hinaus. Sie zeigen, wie perfekt Mirza ein spezifisches Thema mit seinem persönlichen Interesse an der Koppelung visueller und akustischer Phänomenen verbinden kann. Dennoch wird aus der Einladung ein subversiver Akt, der sich bis in den Ausstellungstitel fortsetzt. Eine kryptische Montage aus typografischen Zeichen, die entschlüsselt eine klare Botschaft trägt: „Occupied Scheringstiftung.“ Christiane Meixner

Schering-Stiftung, Unter den Linden 32-34, bis 21.7., Mo - Sa 11 - 18 Uhr

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