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Kultur: „Wie konnte das gerade mir passieren?“

Miriam Katin über ihre Graphic Novel „Allein unter allen“, in der sie ihre Flucht vor den Nationalsozialisten aufgearbeitet hat

Ihre Erzählung „Allein unter allen“ (Carlsen, 136 Seiten, 19,90 Euro) ist eine der bewegendsten Graphic Novels der vergangenen Jahre. Die Zeichnerin Miriam Katin beschreibt darin, wie sie und ihre Mutter 1944 aus dem von den Nazis besetzten Budapest flüchten. Derzeit sind Katins Zeichnungen in der Schau „Helden, Freaks und Superrabbis“ im Jüdischen Museum Berlin zu sehen. Lars von Törne traf die New Yorkerin bei der Eröffnung zum Interview.

Sie haben mehr als 50 Jahre gewartet, bevor Sie Ihre Erlebnisse im Zweiten Weltkrieg aufgearbeitet haben. Wieso?

Ich habe den Comic als Medium für mich erst sehr spät entdeckt. Bis vor zehn Jahren habe ich ausschließlich als Animationszeichnerin für Disney und MTV gearbeitet. Der wichtigste Auslöser war Art Spiegelmans „Maus“: Das Buch machte mir Mut, meine Geschichte zu erzählen.

Was sagte Ihre Mutter dazu, dass Sie Ihrer beider Geschichte öffentlich machen?

Sie war sehr kritisch und besorgt. Es ist ja alles andere als eine schöne Geschichte. Aber ich sagte: Es muss raus!

Wann zeigten Sie ihr das Ergebnis?

Als ich mit dem Rohentwurf fertig war, stellte ich ihr ein Glas Scotch auf den Tisch und zeigte ihr das Buch. Sie las es in einem Stück und weinte dabei viel. Als sie fertig war, schaute sie mich an und sagte: „Du hast etwas Wundervolles getan.“

Im Gegensatz zu Art Spiegelman, der die Holocaust-Erfahrung seiner Familie abstrakt umsetzt und die Personen als Tiere darstellt, zeigen Sie Ihre Mutter und sich in oft schmerzhaft realistischen Bildern …

Das liegt auch daran, dass Spiegelman einen Schritt weiter weg vom Geschehen ist als ich. Er wurde nach dem Krieg geboren und hat gegenüber den Erlebnissen seiner Eltern mehr Distanz. Ich habe zu den Geschehnissen keinen Abstand.

Sie schildern schonungslos, was Ihre Mutter tun muss, damit Sie beide überleben können. Gab es Erlebnisse, die zu schlimm waren, um so dargestellt zu werden?

Nein, ich konnte nichts auslassen, es musste einfach raus. Allerdings habe ich auch nicht von allem gewusst, was passiert ist. So erzählte mir meine Mutter erst nach Erscheinen des Buches, dass während unserer Flucht jemand eine Pistole an meinen Kopf gehalten hatte. Davon hatte ich keine Ahnung gehabt.

Was planen Sie als Nächstes?

Eigentlich wollte ich die Geschichte meines Vaters erzählen, der den Zweiten Weltkrieg als Fahrradsoldat in der ungarischen Armee erlebt hat. Aber dann passierte etwas, das meine Pläne änderte.

Und zwar?

Mein Sohn entschied sich vor zwei Jahren, die USA zu verlassen und nach Europa zu gehen, um hier zu arbeiten – ausgerechnet in Berlin! Das provozierte bei mir eine Welle ambivalenter Gefühle: Wie konnte es gerade mir passieren, dass mein Sohn in die deutsche Hauptstadt zieht? Davon will ich in meinem nächsten Buch erzählen.

Das komplette Interview finden Sie unter www.tagesspiegel.de/comics

MIRIAM KATIN wurde 1942 in Budapest geboren. 1956 ging ihre Familie nach Israel, 1963 zog sie in die USA. Mehr auf ihrer Website: www.miriamkatin.com.

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