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Wie wir Dinge von Wesen unterscheiden: Außer Kontrolle

Lassen sich Natur und Kultur wirklich klar voneinander trennen? Die Kunstausstellung „Animismus“ im Haus der Kulturen der Welt findet verstörende Antworten.

Ein Elefant mit Zigarette würde die Gerichte auch heute beschäftigen. Allerdings aus Tierschutzgründen und nicht, wie 1964, mit Blick auf das Urheberrecht. Damals ließ die Dompteurin Monika Holzmüller juristisch klären, ob ihrem Zirkustier die eigene Performance – Rauchen und Rechnen per Kopfnicken – gehört. Holzmüller ging es wohl mehr um die Tantiemen, weil im Fernsehen plötzlich Mitschnitte der Show auftauchten. Doch im Kern berührte sie eine Frage, die die Naturwissenschaften seit Jahrhunderten nur zu gerne überhören: Ist der vernunftbegabte Mensch der Moderne am Ende doch bloß ein Konstrukt? Dann wäre auch sein kühler, mechanistischer Blick auf die Welt nicht mehr als ein nützliches Ausschlussprinzip.

„Animismus“, die jüngste Ausstellung im Haus der Kulturen der Welt, hat sich die Antwort schon gegeben und forscht nach alternativen Mitteln der Erkenntnis. Sie befragt Zeitgenossen wie Diedrich Diederichsen, den französischen Soziologen Bruno Latour und Künstler – und versammelt Arbeiten von Rosemarie Trockel, Lars Laumann oder Kobe Matthys, dessen Installation „Versammlung (Animismus)“ auch den Prozess des Elefanten dokumentiert. Ihren provokanten Titel entlehnt die Schau dagegen der Historie: Er geht zurück auf den britischen Anthropologen Edward B. Tylor, der sein 19. Jahrhundert von jenen „anderen“ Zeiten und Kulturen unterscheiden wollte, in der Tiere oder Dinge subjektiviert und damit beseelt waren.

Heute ist es gerade noch Kindern gestattet, in ihren Kuscheltieren fühlende Wesen zu sehen. Und so verwundert es erst einmal nicht, wenn „Animismus“-Kurator Anselm Franke in seiner ausgreifenden Übersicht gleich zwei Zeichentrickfilme von Walt Disney laufen lässt. Bis man merkt, dass Franke ziemlich schräge Animationen des amerikanischen Produzenten zeigt: „The Skeleton Dance“ von 1929 und eine Parade von „Pink Elephants“, die der Phantasie eines derilierenden Vierbeiners mit Alkoholfüllung entspringen. Dass die beseelte Materie kein Thema fürs Kinderzimmer ist, kann Franke ausgerechnet mit diesen Streifen demonstrieren. Tanzende Tote und durch Drogen erzeugte Halluzinationen adressieren den Erwachsenen und befriedigen ein offenbar latentes Bedürfnis – das Unbelebte, von dem sich der Mensch seit der Aufklärung mit aller Vernunft abgrenzen möchte, zu reanimieren.

„Animismus“ findet für diese paradoxe Situation reichlich Belege. Es beginnt mit dem „Museum of Stones“ (2011/2012) von Jimmie Durham, dessen Fundstücke daran erinnern, wie unauslöschbar sich der Glaube an steinerne Stabilität und Monumentalität bis in die aktuelle Architektur gehalten hat. Die pumpenden Maschinen aus dem „Mechanischen Ballett“ von Fernand Léger (1923/1924) erinnern an die große Versuchung, den Körper als physische Apparatur zu sehen, während die amerikanische Künstlerin Daria Martin in ihrem Film „Soft Materials“ (2004) zwei Tänzer mit Roboterelementen agieren lässt, die während der Interaktion aus den menschlichen Gesten lernen. Nebenan zerschneidet Daniel Spoerri in dem Video „Resurrection“ (1969) ein Stück Fleisch auf dem Teller und lässt die Szene dann rückwärts laufen, bis die Filmkuh am Ende erneut auf der Wiese steht. Wiederbeleben aber kann er sie nicht. Ein böses Ende nimmt es auch mit jenem Vladimir, der auf den Gouachen von Roee Rosen (2011/2012) erst mit den Gegenständen in seinem russischen Sommerhaus feiert – bevor er von ihnen gefoltert und ermordet wird.

{Ein neuer Kuratur führt sich ein.}

Wütende Gläser markieren ebenso wie rachsüchtige Schubladen die unheimliche, überzeichnete Seite dieser Weltsicht. Sie mündet innerhalb der Ausstellung in den historischen Karikaturen eines J. J. Grandville und lässt ahnen, weshalb sie der Rationalismus nicht akzeptieren kann: Sie entzieht sich jeder Kontrolle. So wird auch die Kunst zu einem Refugium animistischer Experimente. Sie führen erstaunlich häufig vor, wie absurd und widersprüchlich die Wirklichkeit ist. Wenn wie im Fall der von Kobe Matthys archivierten Prozesse um geistiges Eigentum gerungen wird. Mensch gegen Tierpräparat, Mensch gegen Elefant: Dass ein Gericht darüber verhandeln muss, verweist auf die Willkür solcher Unterscheidungen. Und vor der Angst, in vormoderne Zeiten zurückzufallen, wenn man die Grenzen zum animistischen Denken auch nur minimal verrückt.

Weshalb zum Beispiel sitzen die Restauratoren auf der Fotografie „Ethnologisches Museum Berlin III 2003“ von Candida Höfer in weißen Schutzanzügen zwischen all den exotischen Masken? Um die Artefakte zu schützen oder sich selbst vor der Gefahr, in den musealen Stücken den ursprünglichen Fetisch zu erkennen? Etwas „Virales“ gehe von den ethnologischen Exponaten aus, meint Franke, der im Sommer die Abteilung Bildende Kunst im Haus der Kulturen der Welt übernimmt. „Animismus“ vermittelt eine Ahnung von den künftigen Projekten des Kurators. Die Ausstellung in der Halle ist perfekt inszeniert, der gedankliche Einstieg anhand der überfrachteten Stellwände im Foyer etwas mühsam.

Viel größer aber war eine Gefahr, der Franke von Anfang an zu entgehen trachtete: Sein Thema verhandelt die Belebung der Materie, die als Exponat allerdings still verharren muss. Aus diesem Widerspruch resultiert der aufgespießte Schmetterling als Sinnbild der Schau. Man kann ihn anschauen, seine Schönheit bewundern, ihn systematisieren. Der Schmetterling bezahlt es mit seinem Leben.

Franke will die Ausstellung im Fluss halten. Mit ihr mäandert der Besucher durch den Raum, fühlt sich angezogen oder abgestoßen. Dieses offene Prinzip macht den Kurzführer als Begleiter unbedingt notwendig, allein wegen der vielen Archivmaterialien in den Vitrinen, die zugeordnet werden wollen. Um zu verstehen, müsste man wohl auch ständig an der großen Konferenz teilnehmen, die die Romanistin Irene Albers für dieses Wochenende zum Thema zusammengestellt hat. Der Blick jedenfalls wird nicht geschärft, sondern muss diffundieren – aber vielleicht ist das ein erster Schritt zum anderen Denken und hätte auch den Richtern von 1964 gutgetan: Der rauchende Elefant von Monika Holzmüller wurde abgewiesen.

Haus der Kulturen der Welt, John-Foster-Dulles-Allee 10, bis 6. Mai, Mi–Mo 11–19 Uhr

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