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Kultur: Wiedersehen auf Wolke 7

Das Theater am Ku’damm schreibt seine „Comedian-Harmonists“-Saga fort

Berlin 1938. Das Meistersextett probt. Die Stimmung ist mies. Vor drei Jahren haben sich Robert Biberti, den die Freunde „Kleiner Diktator“ nennen, Ari Leschnikoff und Erwin Bootz von ihren jüdischen Kollegen, der anderen Hälfte der berühmten Comedian Harmonists, getrennt. Man hat längst Ersatzsänger gefunden, sich im Stil dem zackigen Zeitgeist angepasst, doch die Geschäfte laufen schlecht. Biberti greift missmutig ins Piano, deutet Schuberts „Leiermann“ an: Der einst von Esprit beschwingte A-Capella-Sound hat sich zum Leerlauf entwickelt. Pianist Erwin Bootz kündigt seinen Ausstieg an. Aggressionen kochen hoch. Verratsvorwürfe, Betrugsverdacht. Nun steht das Sextett noch einmal zusammen auf der Bühne und schmettert verkniffen: „Ich muss heute singen, ich bin heut so froh...“ So geht Entertainment. Dann trennt man sich.

Für das Theater am Kurfürstendamm, dessen szenischer Liederabend „Veronika der Lenz ist da – Die Comedian Harmonists“ vor acht Jahren ein umjubelter Erfolg wurde, hat Gottfried Greiffenhagen den zweiten Teil der Story geschrieben: „Jetzt oder nie“, eine Revue über Trennungen, Freundschaft, Opportunismus, die Kunst der Unterhaltung und das Überleben in böser Zeit. Wo „Veronika“ und Josef Vilsmaiers „Comedian-Harmonists“-Spielfilm aufhörten, fängt dieses Stück an, das von sentimentalen, witzigen Liedern handelt und doch politisch sein will. Die drei Nichtjuden arrangieren sich in der Nazihauptstadt Berlin. Die drei Juden Harry Frommermann, Roman Cycowski und Erich Collin emigrieren, können mit immer wieder neuen Kollegen das Niveau der Ursprungstruppe zunächst halten, scheitern aber trotz grandioser Publikumserfolge – an den Umständen, an Kriegs-Katastrophen.

Auf den Spuren von Eberhard Fechners bewegender Dokumentarfilm-Recherche, mit der 1976 die Wiederentdeckung der Comedian Harmonists begann, verfolgt der von Martin Woelffer, dem Hausherrn, inszenierte Liederabend die auseinander driftenden Biografien: mit etwas schwerfälligen Dialogen und illustrativ eingesetzten Songs. Dass ausgerechnet Roman Cycowski, dessen gesamte Familie in Polen ermordet worden ist, den glücklichsten Lebensweg gefunden hat, wird in einem rührenden Synagogen-Auftritt vorgeführt. Aus Pietät gegenüber seinem ermordeten Vater hatte er die Entertainment-Karriere aufgegeben und war Kantor geworden. Nun singt er mit Solisten seiner Gemeinde „Leise flehen meine Lieder“ auf Jiddisch.

Die dramaturgische Herausforderung, aus so vielen werdenden und vergehenden Karriereträumen, dem grausamen 20. Jahrhundert und dem schönsten Liedrepertoire zwischen E und U eine beschwingte Evergreen-Parade zu basteln, haben Autor und Regisseur nur teilweise gemeistert. Dabei ist der theatralische Auftakt spannend: Jeweils drei der alten Sänger – die Emigranten und die Zurückgebliebenen – suchen sich neue, das Sextett immer wieder komplettierende Kollegen, die von den Darstellern der ehemaligen Kollegen verkörpert werden. Das dadurch mögliche Rollentauschspiel mit Charakteren und Masken wird jedoch bald aufgegeben. Die Rahmenhandlung erzählt rückblickend der alte Harry Frommermann, die Seele der Ur-Gruppe. Seine Bastler-Fantasie, Stimmen durch eine Tonbandmaschine zu einem Klangkörper zu formen und so ein Orchester vokal darzustellen, verleiht der Geschichte im Zeitalter digitaler Manipulationen den nachdenklichen Aspekt. Das Stück ist außerdem eine Hommage an den Dokumentarfilmer Fechner, auf dessen avisiertes Interview sich Frommermann während des Bühnenabends in seinem Tonstudio vorbereitet, dessen Besuch er aber nicht mehr erlebt.

In der schönsten Szene gibt er seinen Traum, die vermenschlichten Instrumente und die Verschmelzung vieler Stimmen technisch zusammenzufügen, auf – und schmeißt das Tonband wütend in die Ecke. Dachkammerregale fahren beiseite, der blaue Himmel öffnet sich. Im engelweißen Smoking tritt die alte Truppe der Triumphe an die Rampe. Charakterschweine und Ausgebootete treffen sich, jenseits von Gut und Böse, auf Wolke 7. „Creole Love Call“, die Vokal-Imitation eines Klassikers von Duke Ellington, erklingt zirpend und schmelzend wie ein paradiesischer Liebesruf aus der Vergangenheit. Der warme und zarte, selten schmetternde Gesang des Darsteller-Sextetts bewahrt diesen Hymnus der finalen Umarmung in vibrierender Schwebe. Aber man verkneift sich leider auch bei den letzten Takten das ekstatische, klirrende Fortissimo der Original-Aufnahme; wenigstens ein deftiger Blue-Note-Kommentar wäre hier passend gewesen. Triumph der Dissonanzen? Happy End in Harmony.

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