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Kultur: Wiener Museumsquartier: Zum Erfolg verdammt

Wenn die Meister des Kulturmarketings in New York zu Hause sind, so leben in Wien ihre gelehrigsten Schüler. Seit Jahren wird die Errichtung des Museumsquartiers, jenes neuen Komplexes für Kunst und Kultur in unmittelbarer Nachbarschaft der beiden berühmten Großmuseen für Kunst- und für Naturgeschichte, intensiv beworben.

Wenn die Meister des Kulturmarketings in New York zu Hause sind, so leben in Wien ihre gelehrigsten Schüler. Seit Jahren wird die Errichtung des Museumsquartiers, jenes neuen Komplexes für Kunst und Kultur in unmittelbarer Nachbarschaft der beiden berühmten Großmuseen für Kunst- und für Naturgeschichte, intensiv beworben. Die Eröffnung des Areals erstreckt sich über das gesamte Jahr 2001 und wird von einer derartigen Werbeoffensive begleitet, dass jeder nicht in Rekordzahlen messbare Publikumserfolg als Fehlschlag verbucht werden müsste.

Nach der baulichen Fertigstellung des gut 300 Millionen Mark teuren Vorhabens im Januar (vgl. Tagesspiegel vom 24. 1.) haben jetzt im Abstand von einer Woche die beiden größten Institutionen ihre Pforten geöffnet, zunächst das Museum moderner Kunst / Stiftung Ludwig Wien (auf neudeutsch "Mumok") und am vergangenen Wochenende auch das Leopold-Museum. Die beiden großen Neubauten nach Entwurf des Wien-Berliner Architektenduos Ordner und Ordner innerhalb des von barocken Nutzbauten gefassten Areals können ihre Tauglichkeit endlich unter Beweis stellen. Die Vorliebe der Massen dürfte dem Leopold-Museum zufallen, das zu den Eröffnungsfeierlichkeiten regelrecht gestürmt wurde.

Rudolf Leopold, dessen Privatsammlung nunmehr in Gestalt einer Stiftung über ein eigenes Haus gebietet, zählt zu jener in der Geschichte des Sammelns nicht seltenen Spezies, die die Liebe zu einer anfangs gering geschätzten Kunst zu erstaunlichem Erfolg getrieben hat. Ohne finanziellen Hintergrund, stattdessen mit zäher Arbeit und geschickter Ankaufspolitik hat er in einem halben Jahrhundert die bei weitem umfangreichste Sammlung österreichischer Kunst des 19. und vor allem des frühen 20. Jahrhunderts zusammengetragen. Das Zentralgestirn heißt Egon Schiele. Von dem 1918 zu jung verstorbenen Genie zählt Leopold 220 Arbeiten unter den 5000 Positionen seiner Sammlung. Vor allem den Schiele-Kernbestand, daneben auch andere Teile seiner um die österreichischen Spielarten von Jugendstil und Expressionismus zentrierten Kollektion hat Leopold unermüdlich auf Ausstellungstourneen bekannt gemacht.

Direktor für die Ewigkeit

Als der 1925 geborene Augenarzt Anfang der neunziger Jahre eine dauerhafte Konstruktion für seine Sammlung suchte, wagte die Republik Österreich einen spektakulären Ankauf. Zwei Milliarden Schilling, umgerechnet 315 Millionen Mark, erhält der Sammler in Jahresraten für seine großzügig auf acht Milliarden Schilling taxierte Sammlung. Die wurde, nachdem zuvor noch die bis dahin gegebene Steuerschuld in einem eigens verabschiedeten Gesetz aus der Welt geschafft worden war, im Gegenzug in eine privatrechtliche Stiftung eingebracht. Zudem verpflichtete sich die Republik zur Errichtung eines Museums, eben jenes weißen Würfels, der jetzt das strahlende Zentrum des Wiener Museumsquartiers bildet. Und: Leopold darf lebenslang als Direktor seines eigenen Hauses amtieren.

Das tut er denn auch mit spürbarem Vergnügen. Zur Vorbesichtigung zog er einen Bienenschwarm von Kamerateams durch die Räume, hier ein Bild und da eine Jugendstilkommode erläuternd und immer wieder die aufdringlichen Fernsehleute aus dem Blickfeld scheuchend, deren Gegenwart er doch so sichtbar genießt. Auf 5400 Quadratmetern in drei über- und zwei unterirdischen Geschossen finden 1300 Arbeiten Platz.

Aus seiner "radikal subjektivistischen Herangehensweise" hat Leopold nie einen Hehl gemacht; er, der sich als "Künstler der Wahrnehmung" feiern lässt, liebt die lange Zeit verkannten Protagonisten einer figurativen, nervös gesteigerten Ausdruckskunst. In ihnen sieht er den spezifisch österreichischen Anteil am Aufbruch des frühen 20. Jahrhunderts. Neben Schiele sind das beispielsweise der Einzelgänger Richard Gerstl, der monumentale Albin Egger-Lienz und die für das Stilgemisch der zwanziger Jahre so typischen Herbert Boeckl und Anton Kolig. Unbekannte Namen? Genau dieser im internationalen Vergleich geringe Bekanntheitsgrad bildet die Triebfeder, aus der Leopold seine Sammlung aufgebaut hat.

Wenn er allerdings "der Republik ein übersehenes Kernstück ihrer Identität nachreichen zu können" meint, so sei daran erinnert, dass es bereits seit den zwanziger Jahren die "Österreichische Galerie" in Schloss Belvedere gibt - mit Schiele, aber auch dem von Leopold wenig beachteten Gustav Klimt, vor allem aber mit einer vorzüglichen Sammlung des 19. Jahrhunderts. Das ist bei Leopold zwar zahlreich, aber - von Ausnahmen abgesehen - in eher geringerer Qualität vorhanden.

Leopold behauptet "den blinden Fleck" in der Selbstwahrnehmung Österreichs zu "kurieren", tendiert indessen ungeachtet seiner immer mehr ausgeweiteten Sammelleidenschaft seinerseits zur Einäugigkeit. Es ist unabdingbar, zur Korrektur das Obere Belvedere aufzusuchen. Dabei stellt sich die Frage, warum beide, einander doch geradezu ideal ergänzende Kollektionen nicht vereint wurden - ganz abgesehen davon, dass der weiße Neubau für die überwiegend kleinformatigen Bilder gehörig überdimensioniert wirkt. Doch jeder sachliche Einwand geht an der politischen Dynamik vorbei. Denn im Sammler Leopold erkor die Republik einen Helden ihrer von Selbstzweifeln geschüttelten kulturellen Identität. Und niemand wagte mehr, dessen persönliche Kunstgeschichtsschreibung zu korrigieren.

Untergründig dürfte eine Rolle gespielt haben, dass in dem dem Leopold-Museum gegenüber gelegenen Neubau des Mumok ein anderer Stifter verewigt ist. Der indessen stammt aus dem hassgeliebten deutschen Nachbarland: Peter Ludwig. Der rheinische Großmogul verschaffte Wien mit einem bemerkenswert qualitätvollen Teil seines PopArt-Imperiums Ende der siebziger Jahre Anschluss an die Gegenwart. Das stets etwas stiefmütterlich behandelte, 1962 gegründete Wiener "Museum des 20. Jahrhunderts" bekam Rückenwind. In den vergangenen elf Jahren gelang es Lóránd Hegyi an der Spitze des in Mumok umbenannten Hauses, mit den Zuwendungen der Ludwig-Stiftung beeindruckende Werkkomplexe der italienischen Arte povera, der amerikanischen Abstraktion sowie des Wiener Aktionismus der sechziger Jahre hinzuzufügen. So gewann das Haus Profil als Museum für die Kunst der zweiten Jahrhunderthälfte, während die Zeitspanne vor 1930 mit nie mehr zu schließenden Lücken davon Zeugnis ablegt, wie wenig sich das offizielle Wien je der Moderne zuwenden mochte.

Diesem lokalen Antimodernismus sollte das seit zwanzig Jahren geplante Museumsquartier mit seiner Vielzahl zeitgenössisch orientierter Institutionen insgeamt entgegenwirken - und hat mit dem nachträglich ins Programm genommenen Leopold-Museums doch wieder einen nostalgischen Kern erhalten. Schieles Provokationen einer die Grenzen von Eros und Tod aufhebenden Sinnlichkeit sind heutzutage zum Postkartenmotiv eingefriedet. So setzt die Leopold-Stiftung, wie alle Betreiber im Museumsquartier zu wirtschaftlicher Selbstständigkeit und hohen Eigeneinnahmen verpflichtet, denn auch auf den Bustourismus als feste Größe ihrer Erfolgsrechnung: Nach einer Vereinbarung mit den Vereinigten Bühnen sollen jährlich mindestens 100 000 Besucher nachmittags ins Museum und abends ins Musical geschafft werden. Gut 40 Prozent des Jahresetats von 60 Millionen Schilling muss Leopold selbst erwirtschaften, nur knapp 60 Prozent kommen als staatliche Zuwendung herein. Da versteht es sich von selbst, dass der Museums-Shop besonders groß ausgefallen ist und das Café bis in die Nacht geöffnet bleibt.

Ein Szene-Restaurant beherbergt auch der düstere, in Basalt-Lava ausgekleidete Würfel des Mumok. Aber Direktor Hegyi hat frühzeitig vor dem Zwang zum Profitdenken gewarnt - und zieht zum Jahresende die Konsequenzen: Er gibt die Leitung des Museums ab. 60 Prozent seines Publikums, rechnet er vor, setzt sich aus jüngeren Besuchern mit freiem Eintritt zusammen, "die kaufen auch nicht die teuren Kataloge oder Produkte im Museums-Shop". Die "Vollrechtsfähigkeit" - wie das österreichische Zauberwort für die schrittweise eingeführte wirtschaftliche Eigenständigkeit sämtlicher Bundesmuseen lautet - sei für ein Museum moderner Kunst nicht angemessen: "Je mehr zeitgenössische Kunst wir zeigen, desto mehr Zuschüsse brauchen wir. Aktuelle Kunst braucht erst einmal Vermittlung, bevor sie ein breites Publikum erreicht".

Während das Leopold-Museum ungeniert auf Markterfolg setzt und bis in den opulenten Katalog der Sammlungspräsentation hinein die Sprache der Wirtschaft spricht, sieht sich das Mumok als Experiment mit ungewissem Ausgang. Dass Hegyis Stelle nicht mehr als die eines "Museumsdirektors" ausgeschrieben ist, sondern als "Geschäftsführer", ist ein deutliches Signal. Das Museumsquartier, das als Ganzes von einer eigenen Betriebsgesellschaft gemanagt und auf Wirtschaftlichkeit getrimmt wird, steht und fällt mit dem Erfolg seiner beiden musealen Eckpfeiler. Noch schwebt Wien in einer beispiellos inszenierten Eröffnungseuphorie. Ob aber ein hinreichend zahlungswilliges Publikum tatsächlich die Anstrengung honoriert, neben dem nostalgischen Blick auf das Wien des fin de siècle dauerhaft die kulturelle Gegenwart anzunehmen, ist für das Museumsquartier die entscheidende Frage.

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