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Kultur: Wilder Westen, ich komme

Robbie Williams präsentiert in Berlin sein neues Album „Escapology“, mit dem er Amerika erobern will

Die ersten Worte, die Robbie Williams am Montagnachmittag bei seiner Pressekonferenz in Berlin sagt, gelten dem Botschafter. „Ich muss Ihren Vorgesetzten kennen lernen. Ich möchte zum Ritter geschlagen werden.“ Die letzten Worte, die er vierzig Minuten später spricht, sind eine Antwort auf die Frage, was er denn machen wolle mit dem vielen Geld, den 127 Millionen Euro, die er von der EMI für vier Alben bekommen wird. „Keine Ahnung“, sagt er und fragt zurück: „Was würdet Ihr denn machen mit so viel Geld?“ Er grinst. „Ich bin ein Prominenter. Wir haben viele Scheidungen.“ Das Grinsen verschwindet aus seinem Gesicht. „Als Kind wollte ich Popstar werden. Jetzt bin ich einer. Das macht mich glücklich.“ Dann verbeugt er sich ins Blitzlichtgewitter, schneidet noch ein paar Fratzen für die Fotografen und verschwindet.

Schwer zu sagen, was man von Robbie Williams halten soll: Von der Ironie zum Ernst wechselt er im Sekundentakt, am liebsten innerhalb desselben Satzes. Das einzige Requisit, das er braucht, ist der Barhocker, auf dem er mit locker angewinkelten Beinen thront. Vielleicht verweist der Barhocker auf Williams’ Bewunderung für Sinatra und seine Liebe zum Swing. Vielleicht ist er aber auch bloß eine Sitzgelegenheit. Dreihundert Medienmenschen aus der ganzen Welt, sogar aus Hongkong und New York, sind in die Britische Botschaft nach Berlin gekommen, um sich anzuhören, was der Sänger zu seiner neuen Platte „Escapology“ zu sagen hat. Der Titel war Williams eingefallen, als er mit seinem Auto durch die Hollywood Hills fuhr und an den Magier Houdini dachte. Houdini war der Mann, der sich mit Bleigewichten an den Füßen in Glasbottichen versenken ließ und immer überlebte. Kein schlechtes Vorbild für einen Entertainer. Pop ist eine Entfesselungskunst. Niemand beherrscht sie derzeit so gut wie Robbie Williams.

„Hello, did you miss me? / I know I’m hard to resist”, singt Williams in „Handsome Man”, einem Bekentnissong mit lustig hüpfendem Punk-Gitarren-Beat. „It’s not very complicated / I’m just young and overrated.” Es ist diese Mischung aus Größenwahn und Selbstparodie, die Williams unwiderstehlich macht. Sein Rollenrepertoire beherrscht er glänzend, den Chameur kann er so gut heraushängen lassen wie den Kotzbrocken. Seinen Kritikern nimmt er den Wind aus den Segeln, indem er sich einfach selbst verspottet. „I’ve sung some songs that were lame / I’ve slept with girls on the game / I’m here to make money and get laid / Yeah I’m a star but I fade”, heißt es in der pathetisch aufbrausenden Midtemponummer „Monsoon“. Klar bin ich ein Star, aber auch das geht irgendwann vorbei. „Escapology“ ist, ähnlich wie das Vorvorgänger-Album „Sing When You’re Winning“ (2000), voll mit derlei Selbstbespiegelungen. Für die Aufnahmen zog Williams aus seinem englischen Landsitz nach Los Angeles, davon erzählen zwei Lieder. In „Song 3“ erweist er mit bissigen Alltagsbeobachtungen und dem Refrain „God I love LA“ Randy Newmans „I Love LA“ die Reverenz, „Hot Fudge“ ist eine sonnendurchflutete Soul- Hommage an den Californian Way Of Life wie von den Eagles: „Take me to the place where the sunshine flows“.

Ironie, die man ernst nehmen muss

Der Ortswechsel hatte auch strategische Gründe. Denn ein Weltstar ist Robbie Williams bislang nur in Europa. Schon mit seiner letzten CD „Swing When You’re Winning“ (2001), auf der er zu schwelgerischer Bigbandbegleitung Lounge-Klassiker von Dean Martin und Sammy Davis Jr. sang, hatte er vergeblich versucht, den amerikanischen Markt zu knacken. Mit „Escapology“ erhöht Williams nun den Einsatz: Amerikanischer hat er nie geklungen. Bei der wunderbar relaxten, von gospelartigen Backgroundvocals umspülten Ballade „Revolution“ nimmt er Anleihen beim Schmuse-R’n’B eines R. Kelly. Das Siebenminutenepos „Me And My Monkey“ ist ein Tex-Mex-Roadsong mit Mariachi-Trompeten. Und der Funkrockklopper „Cursed“ könnte auch von den Red Hot Chili Peppers stammen. Vom Britpop, an dem der ehemalige Take That-Star sich bei seinen ersten Soloplatten orientiert hatte, ist er los gekommen. Oasis, früher bewundert, tun ihm inzwischen Leid, „weil sich kein Mensch mehr für sie interessiert“.

Chauvischwein, das ist ein Lob

Williams will schaffen, was den Beatles und den Stones, nicht aber ihren Adepten von Oasis und Blur gelang: den Durchbruch jenseits des Atlantiks. Im Video zu der aktuellen Single „Feel“, einer schönen Breitwand-Ballade, sieht man ihn als Rodeo- Cowboy in den endlosen Weiten einer Prärie. Wilder Westen, ich komme. Britische Musikmagazine wie der NME nörgeln sogar schon, dass ihr geliebt-gehasster „Bad Boy Robbie“ inzwischen den tiefkehligen Akzent eines Westküsten-Amis imitiere.

Dabei bewegt sich Robbie Williams längst in einer eigenen Liga. Sein Pop ist massenkompatibel und trotzdem cool. Vielleicht ist gerade das sein Problem. Denn zwischen Amerika und Europa gibt es zur Zeit nicht bloß politische Verstimmungen, es klafft auch ein kultureller Abgrund. Mit englischer Pop-Ironie, die große Gefühle zu verspotten pflegt, konnten Amerikaner nie viel anfangen, erst recht nicht nach dem 11. September. In Krisenzeiten sind traditionelle Werte gefragt, auch im Pop: Authentizität statt Rollenspiel. Ein Bedürfnis nach Aufrichtigkeit, das von Veteranen wie Bruce Springsteen mit wackeren Gitarrenrock, aber auch von Hassfiguren wie Eminem und seinem Bekenntnis-Rap befriedigt wird. Williams aber ist vieles, bloß eines nicht: „authentisch“.

Das Sex & Drugs & Rock’n’Roll-Leben hatte er bereits mit Anfang 20 bis zum klinischen Entzug ausgekostet, seitdem ist Humor für ihn auch eine Überlebenstechnik. Williams kokettiert augenzwinkernd mit seinem Image des „Lads“, der Pub-Variante eines Prolls, und zeigt auf Fotos gerne seinen Bierbauch. Und Gerüchten über seine sexuelle Orientierung kommt er zuvor, indem er in Interviews lauthals gesteht, dass er gegen Erfahrungen mit Männern nichts einzuwenden habe. Auf „Escapology“ singt er nun „I’ve had more blondes than brunettes“ und fragt „Did you ever meet a sexier male chauvinist pig?“ „Chauvinistenschwein“: für Robbie ist das keine Schmähung, sondern Lob. Sein Grinsen ist so breit, dass jede Form von Kritik daran abprallen muss.

Mit „Escapology“, dem fünften Soloalbum, endet Williams Zusammenarbeit mit dem Produzenten Guy Chambers. Noch im Booklet von „Sing When You’re Winning“ hatte der Sänger geschrieben: „Guy ist genausoviel Robbie wie ich selber.“ Der ehemalige „World Party“-Keyboarder stieß 1997 nach Williams’ Entlassung aus der Drogen-Reha zu ihm und war seither sein musikalisches alter ego, als (Ko-)Komponist, Arrangeur, Sounddesigner. Williams/Chambers: die in Klammern gesetzten Credits hinter den CD-Titeln waren ein Gütesiegel, fast so klangvoll wie einst Lennon/McCartney. Verkracht haben die einstigen Freunde sich, weil Chambers nicht ausschließlich für Williams arbeiten mochte. Nun muss der Sänger auf eigenen Füßen stehen. Das letzte Stück von „Escapology“ hat er schon allein geschrieben. „Nan’s Song“ ist eine wunderbare Gitarrenballade über sein totes Kindermädchen. „And now she lives in heaven / But I know they let her out / To take care of me“, singt er mit schmachtender Stimme. Irony is over.

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