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Seelenwinter, Morgensonne. Der Schriftsteller Tomas (James Franco) wird in einen tragischen Unfall verwickelt.

© dpa/Warner Bros

Wim Wenders Film "Every Thing Will Be Fine": Still ruht der Fluss

Weiterleben nach der Katastrophe: Wim Wenders’ 3-D-Seelendrama „Every Thing Will Be Fine“.

Die Welt an diesem Morgen ist nicht von dieser Welt. Der Hudson River zugefroren, der Lärm der Stadt Montréal in der Kälte erstickt, der Atem steht in der Luft. Ein paar Männer sitzen auf dem Eis, sie angeln Barsche, die Fische beißen nicht an.

Die Stille filmen, Orte, Landschaften und ihre Ausstrahlung einfangen, Wim Wenders kann das wie kein anderer deutscher Filmemacher. Dieses Einsiedlergefühl im Auto, in dem Tomas (James Franco) beim Fahren die Scheibe freiwischt, um auf der verschneiten Landstraße vorwärtszukommen, nachdem er in seinem Bauwagen auf dem vereisten Fluss – seinem provisorischen Schriftsteller-Domizil – aufgewacht ist und mit den Fischern kurze Sätze gewechselt hatte. Diese alleinstehende Mutter, Kate (Charlotte Gainsbourg), die mit ihren Söhnen im Holzhaus lebt, einem abgelegen Haus auf dem Hügel mit Baum und Feld und Tal dahinter, der Ort als Inbegriff der Weltenferne. Diese Aura von Schock und Schuld, Trauma und Trauer: Oft schaut die Kamera (Benoît Debie) von außen in Gebäude und Räume, betrachtet die Menschen durch Fensterscheiben hindurch, hinter Türen und Glasfassaden. Sie wechseln das Zimmer, ihre Behausung, aber aus ihrer Haut können sie nicht.

Ein totes Kind - es ist nicht zum Aushalten

Every Thing Will Be Fine“ ist ein Film über die Erstarrung, die eine Katastrophe auslösen kann, über die Unwirklichkeit und den Seelenwinter danach. Tomas fährt Schritttempo, die Sicht ist schlecht, ein Schlitten saust seitlich unters Auto. Christopher, der kleine Junge, bleibt unversehrt, was ein Glück. Dennoch, die Welt steht still, jetzt erst recht, als Tomas mit dem Jungen den Pfad zum Haus hochstapft und Kate an der Tür nur diesen einen Satz sagt: „Wo ist Nicholas?“ Der kleine Bruder, ein totes Kind, Tomas kann nichts dafür, niemand kann etwas dafür, aber es ist nicht zum Aushalten, nicht für Kate und Christopher, auch nicht für Tomas, selbst viele Jahre danach.

Das ist die Ausgangslage. Leider bleibt es mehr oder weniger dabei, beim Porträt von schmerzbetäubten Menschen, von Existenzen auf Autopilot. „Every Thing Will Be Fine“ ist eher eine Installation, mehr Stillleben und Ritual als Spielfilm. Was an der Integrität und Sanftheit von Wim Wenders liegen mag: Bloß nicht indiskret werden.

Aber kann man so einer Tragödie beikommen? Indem James Franco mit immer gleichem mildem Lächeln erst zum Eremiten wird und verwahrlost, um dann doch Bestseller zu schreiben (mit Bleistift in Kladden, Computer gibt’s keine!), was der Zuschauer jedoch nur über Requisiten und simple Dialoge erfährt? Indem Kate in sich selbst hinein verschwindet, um sich einmal in der Kirche hinzuknien und mit betenden Händen „Ich brauche Hilfe?“ zu flüstern? Indem Christopher zehn, zwölf Jahre später als Teenie in stummer Anklage vor Tomas’ Bungalow steht, in dem der Erfolgsschriftsteller mit neuer Frau (Marie-Josée Croze) und Stieftöchterchen lebt? Bei der Begegnung zuvor im Café hatte Christopher gesagt: „Ihre Bücher vor dem Unfall waren nicht gut.“

Alle Wenders-Helden sind Einzelgänger

Rüdiger Vogler in „Alice in den Städten“, Harry Dean Stanton in „Paris, Texas“, Sam Shepard in „Don’t Come Knocking“, jetzt James Franco als Tomas: Alle Wenders-Helden sind Einzelgänger, Schweiger, die zunächst bestenfalls Selbstgespräche führen. Die Einsamkeit, die Scheu vor anderen, das Schicksalhafte der Existenz, die Spiritualität, daran ist Wenders gelegen. Er rahmt seine Figuren ein, hier die Fahrstuhlkabine, da der Türsturz, auf seine ruhige Art sucht er fast manisch nach visuellen Chiffren für den Kokon, in den Menschen sich einspinnen. „Nicht ich habe die Geschichte ausgesucht, sie hat mich ausgesucht“, sagt der 69-Jährige zum Drehbuch des Norwegers Bjørn Olaf Johannessen. Wenders’ extreme Behutsamkeit, sein Bemühen um Konzentration, um verbindliche Bilder mitten in den Bilderfluten des 21. Jahrhunderts, all das kippt aber auch in die Banalität.

Er will die Dinge, die Menschen, die Worte mit Bedeutung aufladen. Man hält also beim Zuschauen inne, ist gebannt – und belustigt. Klar, Tomas’ Beziehung zu Sara geht nach dem Unglück in die Brüche, aber wieso bitte verlässt ein Mann eine derart hinreißende, kluge und auch noch geduldige Frau, wie Rahel McAdams sie verkörpert? Nicht dass man Trennungsdramen vermisst, aber auch die Haarrisse, die eine Liebe aufsprengen, möchten ins Bild gesetzt sein. So bleibt die Erzählung bloße Behauptung, mechanische Aneinanderreihung von Geschehnissen. Als Kittmasse fungiert die Filmmusik (Alexandre Desplat), die mit hohen Streicherklängen und orchestralem Sound die Zurückhaltung der Bilder Lügen straft.

3-D macht den Innneraum zur Puppenstube

Wenders hat sich wieder für 3-D entschieden, wie in seiner gefeierten Tanztheater-Hommage „Pina“. Er versteht nicht, warum 3-D nur für Action und Spektakel gut sein soll. Der Mensch, greifbar nah, was gibt es Aufregenderes? Dummerweise sorgt nicht nur Wenders’ künstlerisches Naturell, sondern auch die Technik für den gegenteiligen Effekt.

3-D verkleinert das Cinemascope-Bild, verniedlicht jeden Innenraum zur Puppenstube und entrückt die Bilder. Wenders kadriert erneut mit hohem ästhetischem Feingefühl, fast wähnt man sich beim Durchblättern eines seiner schönen Fotobücher. Auch verleiht er den Bewegungen der schwerfälligen 3-D-Kamera durchaus Eleganz. Aber die Stereoskopie verhindert zugleich jede differenzierte Tiefenschärfe. Außerdem schluckt sie das Licht, was die ohnehin sparsame Erzählung gerade dann zusätzlich schwächt, wenn das Überirdische ins Spiel kommt – Wenders ist ein gläubiger Mensch. Der Sonnenstrahl am Morgen, als es Tomas am Ende gelingt, sich selbst zu verzeihen, diese himmlische Gnade bleibt trüb.

Aber den Ort des Unglücks, die kleine verschneite Kreuzung, wo der Weg zum Holzhaus abzweigt, den vergisst man nicht mehr.

Cinemaxx Potsdamer Platz, Titania
Palast, FT am Friedrichshain, Kant Kino,
Colosseum, Zoo Palast, OmU: Kino in der Kulturbrauerei, OV: Cinestar Sony-Center

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