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Valerie Fritsch beim Bachmann-Preis

© EPA/Gert Eggenberger

"Winters Garten" von Valerie Fritsch: Verlorenes Idyll

Valerie Fritsch wurde beim Bachmann-Wettbewerb mit zwei Preisen ausgezeichnet. In „Winters Garten“ beschreibt sie schwermütig-schön eine Welt vor dem Untergang.

Es ist ein ungewöhnlicher, verwunschener Roman, den die junge Grazer Schriftstellerin Valerie Fritsch mit „Winters Garten“ geschrieben hat; ein Roman über ein verlorenes Idyll in einem zerfallenden Weltgeschehen. Elegisch breitet das erste Kapitel den wunderschönen Garten „einer kaum überschaubaren Großfamilie“ aus. Dieser Garten bestimmt die gesamte Erlebniswelt des jungen Anton Winter; er fällt in seine großen Kinderaugen, drängt in all seine offenen Sinne. Auch das Gehöft, dessen Korridore „eine Mischung aus Röstaromen und Pfeifenrauch, Essig, Zimt, Schweiß, dem Dunst der Gelantine in heißer Marmelade und dem kühlen Zug der Speisekammer“ verströmen, schildert Valerie Fritsch als zeitlose Weleda-Welt.

Die Sprache der 1989 geborenen Autorin, die gerade beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt mit gleich zwei Preisen ausgezeichnet wurde, dem Kelag- und dem Publikumspreis, wirkt apart und angestaubt zugleich; als Vergleich bietet sich Adalbert Stifter an, der poetischste aller Realisten. Wie dessen Szenarien scheint die Handlung von „Winters Garten“ wie aus der Zeit gefallen, und zwar durch eine poetische Klarheit, die nicht offen unsere Vorstellungen von der Wirklichkeit durcheinanderbringt.

Erste Liebe und Endzeitstimmung

Schon bald finden wir den erwachsenen Anton Winter als Züchter zwischen „Volieren und Vogelbauern“ in dem Glaskubus eines Hochhauses wieder. Paradise lost. Warum er den Garten, der für ihn noch immer ein Sehnsuchtsort ist, verlassen hat, bleibt unausgesprochen. Klar scheint nur, dass gleichzeitig mit Kindheit und Garten die Welt verloren wurde. Eine Endzeitstimmung beherrscht die Stadt, die Menschen werden zunehmend wirr, die Natur spielt verrückt. „Es war, als wäre das Los des Einzelnen für unverfügbar erklärt worden. Jeder war abgenabelt von der Zukunft, die er sich ausgemalt hatte, von all ihren Verheißungen und Herausforderungen.“ Massenselbstmorde und Völkerwanderungen setzen ein, alles zerfällt und verwest, wilde Tiere ziehen durch die Großstadtruine.

Im Chaos dieser letzten Tage verliebt sich Anton erstmals in seinem Leben, in die rothaarige Frederike. Bei ihr hatte er immer den Eindruck, sie „würde noch immer ein wenig salzig von den Schiffbrüchen ihrer Vergangenheit schmecken“. Wie so oft in diesem Roman nimmt Fritsch dieses Ereignis zum Aufhänger, ihre Sprache kunstvoll der Handlung anzuschmiegen, sie ebenso zu biegen wie die liebenden Körper von Frederike und Anton, „als würden sie zusammenkleben zwischen all den Scherben“. Handlung ist für Fritsch zuvorderst ein sprachliches Phänomen, weswegen jede Zusammenfassung notwendig fehlerhafte Hilfskonstruktion bleiben muss.

Das Liebespaar tauscht jedenfalls die sterbende Stadt zurück gegen das einst gepflegte Gehöft mit dem wunderschönen Garten. Doch, das war zu erwarten, „die Spielplätze der Kindheit hatten sich zersetzt, waren unter der bloßen Last der Jahre zusammengebrochen“.

Am Ende bleibt die Verstörung

Die Allegorie des verlorenen Gartens, Fritsch strapaziert sie allzu oft. Doch moralische Appelle sind ihr fremd. Ihr steht nicht der Sinn nach einer literarischen Mahnwache zum Klimawandel, wie sie etwa Marlen Haushofer mit „Die Wand“ für das Atomzeitalter geschrieben hat.

Haushofers Roman aber nicht unähnlich kanalisiert „Winters Garten“ das Endzeitszenario zu einem literarischen Gedankenexperiment, in dem Sinnüberschüsse zuhauf wuchern. Das liest sich sehr langsam, ohne jemals zäh zu sein. Wer schöne, gedankenreiche Formulierungen in Büchern anstreicht, kann hier ganze Absätze einkringeln. Das Weltende, es ist unvermeidlich, wird aber von Valerie Fritsch glücklicherweise wenig explizit gestaltet – sie will schließlich nicht Roland Emmerich sein. Am Ende dieses schwermütig-schönen, sprachlich so reichen Romans bleibt: eine Verstörung.

Valerie Fritsch: Winters Garten. Roman. Suhrkamp Verlag, Berlin 2015. 154 Seiten, 16,95 €.

Moritz Scheper

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