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Kultur: „Wir hatten ein wildes Tier in unserem Land“

Wie erleben Kinder den Krieg? Eine Gruppe von Berliner Künstlern und Studenten fuhr ins Kosovo und bat 8- bis 14-Jährige, ihren Alltag zu fotografieren. Daraus entstand ein beeindruckender Bildband

Der Krieg ist vorbei. Fatima Prebreza und ihre Eltern sind zurück in ihrer Heimat, im Kosovo. Es gibt keine brennenden Häuser mehr, die 14-Jährige geht zur Schule, spielt mit ihren Freunden. Ein ganz normales Kinderleben. Aber die Häuser ihrer Verwandten liegen in Trümmern. „Ich bin mit meiner Kamera in unser zerstörtes Dorf zurückgekehrt. Ich hätte mir vorher nie vorstellen können, dass uns so eine Tragödie passiert.“

Täglich sehen wir zur Zeit die Bilder des Irak-Kriegs: Bilder von Soldaten, getöteten Zivilisten, weinenden Kindern. Der Krieg im Kosovo ist vorbei, aber für die Kinder, die ihn erlebt haben, bleiben die Erinnerungen an ihn wach. „Ich denke oft an den Krieg“ heißt ein beeindruckender Bildband, der mit einer kurzen Ausstellung am Wochenende im Kunstamt Kreuzberg präsentiert wurde. Die 8- bis 14-Jährigen, deren Bilder und Fotos in diesem Buch zu sehen sind, haben den Kriegsausbruch meist noch zu Hause erlebt, sind dann mit ihren Eltern geflohen, haben Jahre in Flüchtlingslagern oder im Ausland verbracht. Nun sind viele von ihnen wieder zurückgekehrt. Von ihren Kriegs- und Nachkriegserfahrungen erzählen sie nur zögernd.

Auch Kinder schweigen zunächst, sagt die Journalistin Maren Niemeyer, Leiterin des Projekts „Maikäfer Flieg“. Doch die kleine Initiative, eine Gruppe von Berliner Studenten, Lehrern und Künstler, hat einen Weg gefunden, die Kinder erzählen zu lassen. Nach Kriegsende sind sie in den Kosovo gefahren und haben den Kindern Einwegkameras gegeben, mit nichts weiter als der Bitte, ihr tägliches Leben abzubilden und das zu fotografieren, worauf sie Lust haben.

Das Ergebnis ist erstaunlich. Die Kinder haben sich und ihre Freunde fotografiert, beim Spielen. Oder KFOR-Soldaten, die lachen oder einkaufen. Sie haben Autowracks fotografiert, zerbrochene Schaufenster, ausgebombte Schulzimmer.So entsteht ein intimer Blick in die Nachkriegswelt der Kinder: Zum einen ist das der Kinderalltag, wie überall. Erst diese „Normalität“ ermöglicht dem Betrachter den Zugang zu den anderen Geschichten. Aus den Spuren des Krieges – eingestürzte Dachstühle, die ständig präsenten Soldaten – lässt sich so die ganze Gewalt des Krieges erahnen, den die Kinder erlebt haben. „Erst als ich die Kinder nach ihren Fotos gefragt habe, fingen sie an zu erzählen, sehr persönlich und bildlich“, sagt Maren Niemeyer. Einige Interviews und viele Zitate aus den Gesprächen sind in dem Bildband abgedruckt. „Wir hatten ein wildes Tier in unserem Land“: So beschreibt eins der Kinder den Krieg. Und fast alle Kinder erzählen von ihrer Angst um Verwandte. Lebt der Großvater noch? Der Onkel? Die Cousine? Während die Kinder mit ihren Eltern auf der Flucht waren, hatten sie oft monatelang keinen Kontakt zu den Angehörigen, die im Kosovo zurückgeblieben waren. Diese Angst und die Ohnmacht, selbst nichts tun zu können, lässt die Kinder auch Jahre später nicht los.

Mit dem Buch will „Maikäfer Flieg“ den Kindern das Gefühl vermitteln, selbst am Wiederaufbau ihrer zerstörten Heimat mitzuhelfen. Aus den Erlösen des Buchs und der Ausstellung soll in Prizren ein Abenteuerspielplatz gebaut werden. Die meisten Besucher im Kunstamt Kreuzberg bedauerten, dass die Bilder der Kosovo-Kinder nur zwei Tage zu sehen waren. Deshalb soll die Ausstellung demnächst noch einmal länger in Berlin Station machen, ein genauer Termin steht noch nicht fest.

Wie kommt es, dass du so gut deutsch sprichst?

Ich habe fünf Jahre in Mönchengladbach gelebt und bin dort zur Schule gegangen. Erst vor drei Jahren bin ich mit meinen Eltern zurück in den Kosovo gekommen. Ich habe zwei Fotos gemacht, die mir selber besonders gut gefallen. Einen kleinen Jungen, in UCK-Uniform und eine Schaufensterpuppe, die in Trümmer n liegt.

Wie bist du auf die Idee zu diesen Motiven gekommen, die Schaufensterpuppe, zum Beispiel, wirkt so, als hättest du sie richtig in Szene gesetzt?

Ich bin an einem Nachkriegsnachmittag an einem brennenden Serbenhaus in der Stadt vorbeigekommen, und da habe ich diese Puppe zwischen all den runterfallenden Trümmern gesehen, ja und dann musste ich sie unbedingt fotografieren. Sie lag genau so da, wie sie auf meinem Foto zu sehen ist. Der Mann, dem sie gehörte, war ein Serbe, der hatte ein kleines Schneidergeschäft und handelte mit solchen Puppen. Eine einzige stand noch alleine in seinem Laden. Sie war übrig geblieben. Und dann kamen die Albaner und haben seinen Laden angezündet. Das habe ich zufällig gesehen und dann schnell diese Puppe fotografiert. Den kleinen Jungen in UCK-Uniform, den habe ich zufällig beim Spielen beobachtet, er bemerkte mich gar nicht, und dann habe ich ihn einfach mit der Kamera geknipst.

Und könntest du dir auch vorstellen, so eine Uniform zu tragen und darin zu spielen?

Nein, nein, auf keinen Fall, ich finde das total bescheuert und überhaupt nicht so lustig. Man spielt nicht mit Uniformen oder Waffen. Das ist zu ernst dazu.

Was hat dir während des Krieges besonders viel Kummer bereitet?

Als wir nach Albanien geflüchtet sind, muss ten wir meinen Großvater hier in Prizren mitten im Kriegsgebiet zurück lassen. Ich war sehr sehr oft ganz traurig in Albanien, weil ich dachte, er sei tot. Als wir dann nach dem Krieg zurückkehren konnten, war ich so froh, als ich ihn sah.

Hast du jetzt auch noch Angst?

Ja, ich habe immer noch viel Angst vor den Minen. Ich habe viele davon gesehen. Sie liegen überall. Ich habe viel Angst davor, wenn ich zum Beispiel meinen Onkel besuche, da ist ein Wald, und wenn wir dort spielen gehen, bin ich immer nervös.

Was möchtest du mit deinen Fotos ausdrücken?

Ich wollte vor allen Dingen die Kinder, wie sie spielen, und die KFOR-Soldaten zeigen. Ich wollte alles zeigen, was ich in meinem Leben jetzt nach dem Krieg besonders schön finde.

Hast du eine Botschaft an die Betrachter deiner Fotos?

Ich grüße alle Kinder in Deutschland, in Holland und in Österreich, überall in Europa bei unseren Nachbarn. Ich möchte, dass sie wissen, dass wir genauso wie andere Kinder sind. Ganz normal eben.

Wir entnehmen das Interview dem Bildband „Ich denke oft an den Krieg“ (176 Seiten, 15 Euro). Das Buch kann bestellt werden unter buch@maikaeferflieg.de .

Sibylle Salewski

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