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Foto: Barbara Braun

© DAVIDS

"Wir lieben und wissen nichts" am Renaissance-Theater: Weltkrieg im Wohnzimmer

Moritz Rinkes Beziehungskomödie „Wir lieben und wissen nichts“ läuft seit Monaten erfolgreich an deutschen Theatern - jetzt auch in Berlin. Im Renaissance-Theater rettet Judith Rosmair eine zerbrüllte Inszenierung.

Der Erfolg beginnt mit einem Malheur. Eigentlich könnte es zu einer Komödie ganz gut passen, wenn die Katastrophe am Anfang steht und die Fallhöhe ergibt für allerlei abgründige Komik, Witz und Wehmut. Aber im Renaissance-Theater, wo Moritz Rinkes „Wir lieben und wissen nichts“ nach etwa dreißig Inszenierungen zwischen Hamburg und Bern endlich auch die Berliner Premiere erlebt, geht zu Beginn leider ziemlich viel schief.

Zwei Paare, Männer und Frauen, ein Raum, ein scheinbar harmloses Aufeinandertreffen, das zur kreuz und quer explodierenden Beziehungskiste, zum Weltkrieg im Wohnzimmer wird – wie einst in Albees „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ oder zuletzt im „Gott des Gemetzels“ von Yasmina Reza. Zum Heulen, zum Lachen, zum feinen Lächeln allemal.

Diese Geschichte vom Lieben und Lassen (das unsterbliche Drama) hat einen guten Plot: Sebastian und Hannah sind mit Sack und Pack auf dem Sprung, ihre Wohnung in einer unbenannten deutschen Stadt an Roman und Magdalena zu übergeben, um in deren Apartment nach Zürich zu wechseln. Ein Wohnungstausch auf Zeit, aus beruflichen Gründen, man teilt sich für die Hin- und Rückfahrt auch den angemieteten Transporter.

Alles praktisch. Alles kompliziert. Denn Sebastian, der als Gelegenheitspublizist über „hochherzige Gesellschaften“, seien es sexuell permissive Affenhorden oder Menschensekten, forscht, will überhaupt nicht weg, nur weil seine lebenstüchtigere Partnerin Hannah Zen-Kurse für gestresste Bänker am Ufer des Zürichsees abhalten soll. Und Magdalena, eine Tiertherapeutin, folgt auch nur widerwillig ihrem IT-freakigen Roman, der gerade neue Kommunikationssysteme (ferngesteuert) via Kasachstan ins Weltall schicken möchte. Stoff für Überkreuzverbindungen.

Es beginnt damit, dass Sebastian zur Abreise – gleich klingeln die neuen Mieter aus Zürich – noch keinen Koffer gepackt hat, über fehlende Bücher lamentiert und seine terminenge Zen-Kämpferin, deren Entspannungskurse für die Zürcher Bankmanager schon am nächsten Morgen starten sollen, mit Vorträgen über sexuelle Ausschweifungen von Renaissance-Päpsten und die freizügige Kultur der Adamiten von annodazumal nervt. Während sie ihm mangelnde Realerotik, Heutigkeitsverlust und Pornos im Internet vorhält und sich gegen den Vorwurf verteidigt, gefährliche Kapitalisten auch noch in Zen-beschwerte Samurai verwandeln zu wollen. So ungefähr.

Diese Exposition dürfte nun nicht schon als Explosion gespielt werden. Rinke zündet ja erst die Lunte. In Torsten Fischers Berliner Inszenierung aber geht’s mit krachender Lautstärke los, Hans-Werner Meyer (als unheiliger Sebastian in Unterhosen) zerbrüllt das ganze erste Bild, hampelt, geifert, fuchtelt, und man möchte bei so viel Overacting den Ton abstellen können, das Ganze wenigstens auf Stummfilm drehen. Daneben Gesine Cukrowski, die alle als Ulrich Mühes charmant und ironisch intelligente Assistentin in den Gerichtsmedizinerkrimis der „Letzten Zeugen“ geliebt haben. Hier aber bleibt ihre Hannah entweder steif hocken oder stehen, wirkt maskenhaft starr oder muss, von jeder Regie verlassen, sinnlos agieren: etwa einen mächtigen Metallkoffer schleppen, statt ihn einfach auf seinen Rollen zu bewegen. Anstelle leichtfüßiger Wortgefechte und federndem Alltagston (piano, und mal eher: beiseite): zunächst sehr viel bleierne, kopflose Theaterei.

Rinkes "Modern Times".

Der Abend scheint verloren. Und gewinnt doch noch ungemein. Denn endlich kommt das zweite Paar und übernimmt den Laden. Tonio Arango (Roman) pocht darauf in exakt 51 Minuten seinen Kasachstan-Start aus dem Laptop an die Wand zu beamen, fragt nur, wie lautet in der Wohnung das Passwort? Sie kennen Ihr Passwort nicht? Bin ich hier „bei den Wilden?“ Schon entsteht eine funkelnde, zeitgemäße Komödie, Rinkes „Modern Times“. Auch sonst wechselt der Ton von laut mehr auf lauernd, auf leise Pointen (für viele laute Lacher). Und da ist eben noch: Judith Rosmair.

Diese wunderbare kleine große Schauspielerin als tiertherapeutische Brillenschlange ist fantastisch. Eine Bombe. Serviert fetzigste, fetteste Komik so schlank, so graziös, sie hat jeden Slapstick drauf, zeigt höchsten Witz mit tieferem Grund. Wenn sie mit aufgerissenen Augen und zum ewigen „O“ geöffnetem Kusslutschmund zu jener aufblasbaren Sexpuppe gefriert, die ihr Roman wohl im Geschäftsgepäck führt, erzählt sie in Sekunden ein ganzes Drama. Von ungeliebt Liebenden, wissend Unwissenden. Einmal mahnt Magdalena ihren (ihren?) Roman, sie müssten doch miteinander reden. Da antwortet er: „Wir haben immer gesagt, wenn wir nicht reden, dann trennen wir uns auch nicht.“ Ein toller Satz. Am Ende Premierenjubel.

Wieder am 13. und vom 15.-20. April

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