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Kultur: Wir sind die Bösen

Wenn Intendanten inszenieren: „Mefisto forever“ im Gorki, „Fuck off, Amerika“ in der Volksbühne

„Der Dicke“ nervt. Nicht genug damit, dass er sein blondes Liebchen als Schauspielerin im ersten Theater am Platze installiert hat. Nein, er bleibt dem Intendanten Kurt Köpler und seiner Truppe auch nach dieser apodiktischen Arbeitsbeschaffungsmaßnahme erhalten, hockt ständig auf den Proben herum und beäugt das „Ferkelchen“, wie er das Liebchen nennt, kritisch bei der Arbeit. Der Zuschauer wartet schon lange darauf, dass „der Dicke“ sich in gewaltiger Verkennung seiner ästhetischen Möglichkeiten selbst zum Regisseur aufschwingt und dem etwas kopflahmen Schauspieler Niklas Weber erklärt, wie er den „Faust“ zu spielen hat. Nur Herr Köpler und die Seinen schauen, als es schließlich so weit ist, betroffen in die Runde.

Bei diesem Betroffenheitsgesicht handelt es sich um eines der meist strapazierten Ausdrucksmittel des Abends. Denn hinter „dem Dicken“ verbirgt sich Hermann Göring, das mittelmäßig begabte „Ferkelchen“ hat den Arbeitsplatz einer emigrierten jüdischen Schauspielerin übernommen; und Niklas Weber wird bald verhaftet und hingerichtet. Aber statt existenzieller Angst, statt Willkür- und Diktaturerfahrung sieht man hier tatsächlich nur: das Betroffenheitsgesicht. Könnte auch sein, der Kultusminister hätte nur mal eben den Etat gekürzt.

Dabei meint es Armin Petras, Intendant am Gorki-Theater, sehr ernst mit dem Verhältnis von Kunst, Macht und Politik, das bekanntlich ein ziemlich komplexes ist. Weitgehend ohne die ironischen Brüche und Stilwechsel, die seine Inszenierungen auszeichnen, setzt er aufs große Drama. Diese Redlichkeit ehrt ihn als Anti-Zyniker. Nur hätte er sich dafür besser einen anderen Text gesucht als Tom Lanoyes „Mefisto forever“!

Der belgische Dramatiker, hierzulande legendär durch seine Shakespeare-Bearbeitung „Schlachten!“ mit Luk Perceval, wollte Klaus Manns Schlüsselroman „Mephisto“ (1936) über die Karriere Gustaf Gründgens’ im Dritten Reich wohl zum dramatischen Modellfall abstrahieren. Dabei geriet ihm das Personal allerdings so holzschnittartig und der Tonfall so platt, dass man den Schauspielern ihre Betroffenheit, so gesehen, gar nicht verübeln kann – obwohl Petras die unterkomplexesten Sequenzen gestrichen hat.

Lanoye verlegt das Geschehen ganz in den Theaterprobenraum, wo die aktuelle politische Situation ständig zeigefingernd mit den zu spielenden Stücken überblendet wird – vom „Hamlet“ über den „Faust“ bis, natürlich, zu „Richard III.“. Petras parallelisiert mit großem Aufwand das Live-Spiel mit Videosequenzen, vervielfältigt und bündelt Ebenen, wo doch im Grunde nur schulmeisterliche Eindimensionalität zu bebildern ist.

Die Darsteller retten sich verständlicherweise in das, was sie am besten können: Fritzi Haberlandt leidet als jüdische Emigrantin unpathetisch, Peter Kurth holt aus „dem Dicken“ und Anja Schneider aus seinem Liebchen das Maximum an Differenziertheit, das das hölzerne Korsett zulässt; und der Gast Paul Herwig drückt sich als Köpler programmatisch blass auf der Bühne herum. So beobachtet man geschlagene drei Stunden, wie ein Theaterabend scheitert, der die ganz große Moral- und Sinnfrage auf riesigen Tabletts vor sich herträgt.

Dieses Problem haben der Autor Eduard Limonow und der Volksbühnen-Intendant Frank Castorf definitiv nicht, der bis vor kurzem eine intelligente und erfrischende Spielart des Zynismus pflegte. Dafür beweisen sie an der Volksbühne durchschlagend, dass ein Abend, der – im Gegensatz zu Petras’ redlichem Moraldiskurs – „Fuck off“ in seinem Titel trägt und das auch so meint, mit derselben Gründlichkeit schiefgehen kann. Eigentlich hatte sich Castorf ein „Faust“-Projekt vorgenommen, war dann aber kurz vor der Premiere steil zu Limonows Achtziger-Jahre-Provo-Roman „Fuck off, Amerika“ eingeschwenkt – und genauso sieht der Abend auch aus. Was bei Petras das Betroffenheitsgesicht, ist bei Castorf der Könnte-aber-muss-nicht-mir-doch-egal-Gestus. Eduard Limonow, 1943 als Sohn eines NKWD-Offiziers geboren und im ukrainischen Charkow aufgewachsen, war Gründer der 2005 verbotenen Nationalbolschewistischen Partei Russlands (NBP) und saß wegen Planung terroristischer Anschläge sowie illegalen Waffenbesitzes im Knast. Lange vorher hatte er es zu einer kleinen Schriftstellerkarriere mit Skandal-Appeal gebracht, wovon sein reichlich mit „Mösen“, „Negerschwänzen“ und knackigen Anarcho-Fantasien auftrumpfendes Werk „Fuck off, Amerika“ beredt Zeugnis ablegt. Der autobiografisch gefärbte Roman um den Underdog aus der russischen Kreativbranche, Editschka, spielt in New York, wohin Limonow Anfang der siebziger Jahre auf Druck der sowjetischen Regierung auswanderte.

Alles in allem guter Stoff für Castorfs Volksbühne – bloß bleibt unklar, was der Intendant eigentlich erzählen will. Zwar lassen sich fast alle Versatzstücke aus Buch und Biografie irgendwie auffinden, etwa in dem selbstmitleidig greinenden Gesicht von Max Hopp als Editschka oder in den von zwei Jungschauspielern gen Publikum abgefeuerten Maschinengewehrsalven. Auch kann man Volker Spengler in einem reizenden Häkelüberwurf bewundern, Sophie Rois mit ihrem wunderbaren Tremolo über Penisgrößen sinnieren hören sowie einem kurzen Abriss der Revolutions- und Terrorgeschichte lauschen, unterlegt mit einer weiblichen Massenkopulation. Jonathan Meese, der die Bühne – einen drehbaren weißen Multifunktionskasten mit schiefer Freitreppe und Fahnenstangen – gebaut hat, sorgt per Kurzauftritt immerhin für einen kurzen Vitalitätsschub an einem Abend, der ansonsten einmal mehr wie eine kraftlose Reanimation bewährter Castorf-Stilmittel wirkt.

Petras inszeniert Holzschnitte, Castorf schert sich in seinen Anrissen überhaupt nicht um Figuren und Ideen. Das Resultat fühlt sich verblüffend ähnlich an: Man ist noch nicht mal verärgert.

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