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Kultur: Wir sind die Guten

Schluss mit Karajans Ostereiern: zum Wechsel der Philharmoniker von der Salzach an die Oos

Der Wiener „Kurier“ will es bereits spitzgekriegt haben: Am gestrigen Montag soll sich eine Delegation der ums Überleben ringenden Salzburger Osterfestspiele auf den kurzen Weg Richtung München gemacht haben, wo Christian Thielemann gerade eines seiner beiden letzten Programme mit den Münchner Philharmonikern vorbereitet (Mahler: Lieder mit Michael Volle, das Adagio aus der zehnten Symphonie). Peter Alward wird der Reisegesellschaft angehören, der amtierende Chef der Osterfestspiele und ehemalige EMI-Manager, und sicher auch der eine oder andere verantwortliche Politiker, Salzburgs Bürgermeister Heinz Schaden oder Landeshauptfrau Gabi Burgstaller. Ihr Ziel: Ersatz schaffen – und zwar schnell. Sonst ist es 2013 um die Festspiele geschehen. Schluss, aus, vorbei, versenkt. Wobei das Salzburger Interesse nicht den Münchner Philharmonikern gilt (die sich einmal mehr in den Allerwertesten beißen dürften), sondern der Dresdner Staatskapelle, Thielemanns neuem Orchester ab 2012.

Was war geschehen? In einer Nacht- und Nebelaktion haben die Berliner Philharmoniker, für die Herbert von Karajan die Osterfestspiele 1967 gegründet hatte, am Freitag ihr Salzburg-Engagement gekündigt – und holterdiepolter gegen Baden-Baden als zukünftigen Opernstandort eingetauscht (siehe Tagesspiegel vom 15.5.). Ob das juristisch alles so glatt geht, ist jetzt eine von vielen Fragen. Schließlich hörte man Philharmoniker-Intendant Martin Hoffmann noch Anfang März von der „großen Faszination“ der Osterfestspiele für Musiker und Publikum schwärmen. Davon scheint jetzt, etliche Strippenzüge und fette badische Köder später, kaum etwas übrig geblieben zu sein. Man sagt es durch die Blume, aber deutlich. „Wir brauchen (...) zu Ostern eine langfristig gesicherte Gesamtsituation, die uns das Festspielhaus Baden-Baden bieten kann. Auf dieser Grundlage wollen wir ein kreatives, lebendiges und für das Publikum erschwingliches Opernfestival entstehen lassen“, so Orchestervorstand Olaf Maninger.

Mit anderen Worten: In Salzburg sieht man keine Zukunft. Zu Recht? Von Treue spricht niemand, schon gar nicht von (der eigenen!) Tradition. 45 Jahre sind kein Pappenstiel, die sitzt man nicht mal eben auf einer Orchestervollversammlung ab. Etwas mehr innere Beteiligung als Hoffmanns dürrer Dank für eine „wundervolle Zeit“ wäre da schon zu erwarten gewesen. So entsteht der Eindruck, dass hier auf ziemlich rüpelhafte und nassforsche Weise eine der letzten Leinen in die ruhmreiche Karajan-Ära des Orchesters gekappt werden sollte. Hat Rattle, haben die Musiker das nötig?

Abgesehen davon, dass die Philharmoniker in 45 Jahren Salzburg ihren Reibach gemacht haben (für „Salome“ flossen erst Mitte April wieder 1,2 Millionen Euro in die Orchesterkasse), tat sich das Festival in den vergangenen Jahren schwer. Rattle wollte keine rechte Bindung dazu entwickeln, die künstlerischen Ergebnisse blieben mau (allem voran der mit Aix-en-Provence produzierte „Ring“), die Kosten explodierten. Als Anfang 2010 zudem herauskam, dass Alwards Vorgänger Michael Dewitte seit 1998 kräftig in die eigene Tasche gewirtschaftet hatte, galten keine sentimentalen Argumente mehr. Und man erinnerte sich an die hartnäckigen Avancen von Andreas Mölich-Zebhauser, dem Baden- Badener Intendanten, dessen Spezialität es ist, vom subventionierten Kulturbetrieb den Rahm abzuschöpfen. Vier Opernvorstellungen (statt zwei) werden die Philharmoniker ab 2013 nun bestreiten, außerdem deutlich mehr Kammermusik- und Education-Projekte. Und das Teatro Real in Madrid, unlängst als Koproduzent für Salzburg ausgerufen, das nehmen sie huckepack mit an die Oos.

Salzburg zu Ostern, das ist seit jeher das teuerste und snobistischste Festival der Welt. Ihre Abschiedssaison dort werden die Philharmoniker 2012 mit Bizets „Carmen“ bestreiten (zufällig mit Rattles Ehefrau Magdalena Kozena in der Titelpartie), zu Ticketpreisen zwischen 70 und 510 Euro im freien Verkauf. Man langt also noch einmal richtig schön hin – und gibt sich vorauseilend moralisch. Wir sind die Guten, lassen die Philharmoniker die Welt mit ihrem Coup wissen, denn wir spielen in Zukunft nicht nur vor Klunkerträgern und launischen Sponsoren im großen Baden-Badener Festspielhaus, sondern auch zu kleineren Preisen im Frieder-Burda-Museum oder im historischen Elektrizitätswerk. 45 bzw. neun Jahre lang (seit Rattles Antritt in Berlin) scheint das mit den Klunkern niemanden gestört zu haben. Aber das 21. Jahrhundert fordert offenbar seinen Preis.

Die Finanzen werden in Baden-Baden trotzdem stimmen, da sollte man sich keiner Illusion hingeben. Im Gegenteil. Und Salzburg? Muss fieberhaft mögliche Alternativen zu Thielemann durchspielen. 2013 ist gleich, und Ostern liegt mitten in der Saison, und die Disposition der Dresdner Semperoper leichterdings zu kippen, das funktioniert nicht. Die Wiener Philharmoniker mit Franz Welser- Möst haben ebenfalls leise den Finger gehoben, aber wohl mehr aus Reflex, weil sie im Sommer eh da sind. Und: Österreich den Österreichern? Dann können sie bei Freilassing gleich den alten Schlagbaum wieder einführen.

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