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Kultur: Wir wollen Probleme machen

Laut, schmutzig, intelligent: Die Berliner Band NM Farner und ihr neues Album „Das Gesicht“

Das Magnet ist ein kleiner Berliner Club an einer lärmenden Ausfallstraße. Plakate und Zettel hängen an der Tür, der Eingansbereich ist gepflastert mit selbstkopierten Ankündigungen, die den Club mit einer zweiten Hülle umgeben, einer sich abpellenden, schrundigen und zerfetzten Haut, auf der das Nachtleben seine Botschaften hinterlässt. Eine lautet: „Ausverkauft“. Drinnen erklimmen drei Musiker die flache Bühne, stöpseln ihre Instrumente ein und rufen in die brachial-verzerrten ersten Takte hinein: „Wir – wir sind hier!“

Auf der Bühne toben NM Farner, die derzeit interessanteste Berliner Rockband, durch das Repertoire ihrer gerade erschienenen großartigen Platte „Das Gesicht“ (Labels). Den Auftakt macht ein holpernder Up-Tempo-Kracher, eine Art Protestsong. „Wir“, heißt es da, „dass sind die, die dich duzen, das dreckige Dutzend.“ Man hört aus den aufgedrehten Verstärkern die „Du bist Deutschland“- Kampagne herandonnern und deren patriotenfreien Nationalismus. Aber Bassist Norman Nitzsche, seine Freundin, die Gitarristin Masha Qrella, sowie Christian „Chriegel“ Farner am Schlagzeug zermalmen jede Vereinnahmungsstrategie. „Wiiir, wir sind hiiiiier“ rufen sie immer wieder, bis vom Pathos der neuen deutschen Selbstfindung nicht mehr übrig bleibt als Wortstaub.

NM Farner sind laut und dreckig. Ihr Sound ist eine Kriegserklärung. Ein schneidend-metallischer Ton liegt in der Luft. Es spratzt und rummst, scheppert und kracht, dass selbst das schönste, eingängigste Riff seine hässliche Seite zeigt. In diesem Inferno finden sich auch die Musiker oft nicht zurecht. Erst, wenn sie ein Stück aufnehmen, erklären sie ein paar Tage vor ihrem Auftritt, würden sie begreifen, wie es funktioniert. Dabei bedienen sie sich eines simplen Diktiergeräts. Der Sound wird regelrecht umgestülpt, weil der Mini-Komressor den Anprall der Schallwellen nicht verarbeiten kann. Diesen Effekt haben NM Farner auch auf Platte gebannt.

Trotz des Wall of Punk sind NMFarner tief im Erbe der Hamburger Schule verwurzelt. Nitzsche frasiert seine Melodien wie einst Kristoph Schreuf von Kolossale Jugend. „Wir könnten eins sein/ Wir könnten zwei sein/ dabei sein/ Eine Familie sein.“ Da klingt jener hohe, kühle Ton des Diskurspop an, mit dem Bands wie Cpt. Kirk, Tocotronic, Ostzonenwürfelmachenkrebs und Blumfeld Anfang der neunziger Jahre den Versuch unternahmen, Gitarrenrock mit intelligenten deutschsprachigen Texten zu versehen. Wichtiger als das, was sie sagten, war, wie sie es sagten. Sie suchten ständig neue Anschlüsse, zitierten und lasen die „Spex“. Diskurspop war das Wort der Stunde. Musiker sangen über das Singen und droschen verbale Matchbälle ins slogandurstige Jugendhirn. „Jungs, hier kommt der Masterplan“ war ein solcher Satz. Freundschaftlich, aber nicht vereinnahmend; locker dahingesagt, aber nicht gleichgültig. Es ging um Gedanken, die auf einem T-Shirt Platz hatten; um die Ironie von Posen, wie ein Sterne-Album 1996 hellsichtig hieß, an die man gar nicht glaubte.

„Schade, schon wieder nur eine Phrase geworden“, singen NM Farner nun im Vorprogramm der Sterne. Von der Zuversicht eines diffus-linken Lebensgefühls ist nichts mehr zu spüren, obwohl die Band eine Reihe mitreißender Popperlen herunterschrammelt. Sie sattelt noch einmal das müde Pferd Diskurspop – um es vollends zu Schanden zu reiten.Statt kluge Gedanken an entsprechend hohe ästhetische Ansprüche zu knüpfen, wird das Diskursgerede selbst parodiert: „Es ist irgendwie/ Doch nicht, wie es sein soll“, sinnierten sie auf ihrem Debütalbum „Die Stadt“ (2004), „Komisch komisch/ Und so symbolisch für alles.“ Raffinierter wirft sich derzeit keine andere Popband auf das Ungefähre ungeklärter Lebenslagen. Sie liefern den Soundtrack für die Generation der „urbanen Penner“ (Mercedes Bunz). Also jener kreativen „Elite“, die durch ihren niedrigen Lebensstandard die Stadtkultur prägt, aber weder beruflich noch privat weiterkommt. Und die zunehmend verärgert auf ihre „Risikobiografien“ reagiert. Wir, wir sind hier!

„Du sagst, du hast die Nase voll“, lassen sich NM Farner in „10. Stock“ über den Frust ihrer Altersgenossen aus, „und du hast mich auf deiner Seite dabei.“ Aber dann, wenn es losgehen sollte, geht wieder gar nichts los. Der Song spielt auf den Witz von dem Mann an, der sich von einem Hochhaus stürzt und, beinahe unten, auf die Frage, „wie geht’s?“, antwortet: „Bis jetzt ist alles gut gegangen.“ So wenig, wie der Mann in dieser Geschichte je ankommt, findet der Song zur Vollendung. Sätze fliegen durcheinander, man hört Kommunikationsruinen beim Zerbröseln zu. Es gebe eine Erzähltradition in der deutschen Popmusik, die ihnen unbehaglich sei, sagt Nitzsche. Denn die Logik einer Story greife meist auf den Song über, dominiert ihn, macht ihn durchschaubar. Ihre Musik funktioniere hingegen wie ein Comic: Sprechblasen, statt Langgedicht. Um den Song nicht zum „Vehikel eines Textes“ zu machen, saufen ihre Stimmen beinahe in dem Schallkessel ab.

Obwohl der Band, wenn man sie trifft, nichts Widerborstiges anhaftet, arbeitet sie mit starken Verweigerungsgesten. Das neue Album wird mit Fotos beworben, auf denen die Gesichter der Akteure ausgekrazt sind. Leere Flächen. Zerstörte Individualität. „Popmusik ist hierzulande etwas“, sagt Nitzsche, „das keine Probleme mehr macht. Wir sind umgeben von Tausend Titeln deutschsprachiger Bands, ohne dass die uns was abverlangen.“ NM Farner wollen das ändern.

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