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Kultur: Wirklich ist allein der Tod

Wolfgang Sofskys Buch über „Bilder der Gewalt“.

Gerhard Richters Zyklus über die Gefangenschaft und den Tod der im Hochsicherheitsgefängnis Stammheim inhaftierten Terroristen wirkt über den Verstand. Über das Wissen des Betrachters, der die undeutlichen, verwischten, sich auflösenden Bilder buchstäblich erkennt. Die Gewalt findet im Kopf statt.

Nun sind Bilder immer eine Sache des Betrachters. Sie stellen ihm eine Aufgabe. Die Ikonografie eines Kunstwerks, ob Gemälde, Skulptur oder seit dem 19. Jahrhundert auch Fotografie, erschließt sich dem Wissenden. Der Nichtwissende sieht auf Richters RAF-Bildern nur Nebulöses.

Aber Kunstwerke können auch sehr direkt sein. Dass der Gekreuzigte Christus ist, der Welterlöser, muss der Betrachter nicht wissen, um die Gewalt zu sehen, die dem ans Holz genagelten Menschen angetan wird. Dass dem kopfüber an einen Baum gehängten Mann bei lebendigem Leib die Haut abgezogen wird, übersteigt schon das Vorstellungsvermögen, und nur wenige wissen den antiken Mythos der „Schindung des Marsyas“ durch den vermeintlich vornehmen Apoll herbeizurufen. Als Ausweis ihrer Bildung, zugleich als Abwehr gegen das nackte Grauen.

Wolfgang Sofsky lässt solche Abwehr nicht zu. Der beste Kenner jener Gewalt, die der Mensch dem Menschen antun kann – sein Buch „Die Ordnung des Terrors. Das Konzentrationslager“ erschien 1993 –, nimmt sich bildliche Darstellungen vor. Von der Höhlenmalerei von Lascaux bis zur Reportagefotografien jüngster Bürgerkriege legt Sofsky die Darstellung der Gewalt, des Tötens als anthropologische Konstante bloß. Doch Vorsicht: „Bilder der Gewalt sind niemals die Gewalt selbst“. Sofskys neues Buch „Todesarten. Über Bilder der Gewalt“ ist eine einzige Aufzählung menschlicher Grausamkeit. Zu ihr jedoch stehen die untersuchten Bilder in einem eigenartigen Kontrast, nicht nur bei Goya und Grünewald. Neben dem Schrecklichen steht das Schöne.

Davon spricht der als Privatgelehrter arbeitende Soziologe Sofsky durchaus. „Bilder sind nur Objekte des Auges“, schwächt er den Schrecken ab, der den Leser schon beim ersten Durchblättern des Buches befällt: „Noch das schlimmste Unheil vermag daher schön dargestellt zu werden.“ Seine klare Sprache lässt erkennen, dass es Sofsky nicht um eine bloße Anhäufung exzessiver Gewaltdarstellungen geht. Im Gegenteil, selten hat man so präzise und einfühlsame Bildbeschreibungen gelesen. Von Meisterwerken der abendländischen Kunstgeschichte wie Rembrandts „Lucretia“, Rubens’ „Judith“ oder der Apostelmartyrien von Stefan Lochner. Die Darstellung der Gewalt, bei der altrömischen Tugendheldin Lucretia gegen sich selbst, bedarf keiner naturalistischen Genauigkeit: „In der abendländischen Bildtradition ist man mit Blut meist sparsam umgegangen. Auch wenn die Qualen eines Märtyrers oder die Enthauptung der Medusa ins Bild gesetzt wurden, zähmte stets ein höherer Sinn den verlockenden Sinnenreiz“, lenkt Sofsky den Blick auf die moralisch-pädagogische Aufgabe der Kunst.

Trotzdem: Caravaggio etwa geht 1608 bei der „Enthauptung des Johannes“ nicht eben zimperlich zu Werke. Das Blut spritzt nur so aus dem Hals, der Kopf ist noch nicht vollends abgetrennt. „Nun geht die Hinrichtung in einen Akt des Schlachtens über“, schreibt Sofsky. Das Anschauen solcher Bilder allein verlangt schon Überwindung, kann aber auch in Empathie übergehen: „Rembrandts Lucretia ist ein Bild hoffnungsloser Verlassenheit. Verzweifelt nimmt sie Abschied. Kurz vor dem Ende überflutet letzte Trauer Körper und Seele.“ Darum letztlich geht es Sofsky: Die Darstellung von Gewalt und Tod ist immer eine Mahnung, ein Memento der eigenen Endlichkeit. „Dem Verhängnis der Sterblichkeit vermag kein Individuum zu entkommen.“

„Wahr und wirklich ist das Leid, das Vergnügen ist nur Illusion“, hat Théodore Géricault gesagt, dessen anatomische Studien an abgetrennten Gliedmaßen in der Einleitung behandelt werden. Sofsky zitiert den erschütternden Satz als Motto seines Buches – das Werk eines großen, zutiefst mitfühlenden Humanisten.

Wolfgang Sofsky

Todesarten. Über

Bilder der Gewalt.

Matthes & Seitz,

Berlin 2011.

271 S., 29, 90 €.

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