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Kultur: Wo Asien an Europa grenzt

Zum 90. Geburtstag des japanischen Architekten Kenzo Tange

Die Sommerolympiade 1964 war nicht nur ein Symbol für die Wiederaufnahme Japans in die Völkerfamilie nach dem Zweiten Weltkrieg, sie wurde auch für eine umfassende Stadterneuerung genutzt. Tram-Schienen wurden aus den Straßen gerissen und stattdessen Trassen für aufgeständerte Stadtautobahnen durch die Stadt geschlagen. Aus einer flachen und kleinstädtisch wirkenden Ansammlung von Häusern schufen die Verkehrsplaner eine moderne Großstadt. Seither ziert auch ein Meilenstein der modernen Architektur die japanische Hauptstadt. Dem Architekten Kenzo Tange gelang mit den beiden großen Olympia-Sportstadien am Yoyogi-Park der Beginn einer eigenständigen asiatischen Moderne.

Heute vor neunzig Jahren wurde Tange in der japanischen Kleinstadt Imabari geboren. Er hat die Architektur der zweitgrößten Industrienation der Welt maßgeblich geprägt. Die beiden Olympiastadien gehören zu Tanges besten Werken: Sie verbinden Motive des traditionellen japanischen Flechthandwerks mit modernem Ingenieurbau. Die eleganten Formen der Stadiondächer machten Tange über Nacht weltberühmt. Von hohen Pfeilern laufen die Dächer spiralförmig und zeltartig in sanftem Schwung aus.

Schon der Beginn von Tanges Karriere war eng verbunden mit dem Neubeginn nach dem Zweiten Weltkrieg. Es hätte dafür keinen symbolischeren Auftrag geben können, als den Wiederaufbauplan für die von der Atombombe verwüstete Stadt Hiroshima. Tanges Frühwerk, der zentrale „Friedenspark“ von 1956, wurde zum Ausdruck eines neuen, friedlichen Japan. Zur weiteren Keimzelle einer eigenständigen japanischen Moderne wurde das 1946 von Tange an der Universität von Tokio gegründete „Stadtlabor“. Seine berühmtesten Studenten Arata Isozaki und Kisho Kurokawa, bekamen hier wichtige Impulse. Tange verstand es stets, in großen Dimensionen zu denken: „Architektur muss das menschliche Herz ansprechen, aber dennoch einfache Formen und logische Räume bieten“, erklärte er einmal.

Neben der Architektur war Stadtplanung sein Betätigungsfeld. Tanges epochaler „Plan für Tokio“ sah eine dichte Stadt vor, die entlang vorgegebener Service- und Transporttrassen wuchert. Er entwickelte eine Stadtstruktur, die schnelles Wachstum erlaubt. Weltweite Aufmerksamkeit erfuhr der Plan, weil er eine Megastruktur vorsah, die über Brücken, künstliche Inseln und Pontons über die gesamte Bucht von Tokio ungehemmt wachsen kann. Das Stadterweiterungsmodell hat eine zellartige Struktur, die von verästelten Versorgungswegen aus erschlossen wird.

Der Plan blieb zwar Papier, aber auf der Weltausstellung EXPO in Osaka 1970 und beim Yamanashi-Medienzentrum in Kofu verwirklichte Tange 1966 dennoch seine wichtigsten Ideen: Das wachstumsfähige Haus in Kofu etwa ist um 16 runde Treppenhaus- und Fahrstuhlschächte herum angeordnet. Die Büroflächen wurden entlang einer internen Erschließungsstraße zwischen den Türmen eingehängt. Die Leerflächen ermöglichen spätere Expansion. Auch die Terrassen und Dachgärten lassen sich bei Bedarf in weitere, flexible Innenräume verwandeln.

In den 70er Jahren veränderte sich Tanges Architektur: „Wegen der Ölkrise wandelten sich die Werte in Japan von materiell zu spirituell“, so Tange. „Information und Kommunikation wurden wichtiger als industrielle Produktion“. Seine Entwürfe für Museen, Kulturzentren, Bibliotheken, Rathäuser und Schulen wurden zunehmend eklektizistisch. Dem Erfolg daheim folgten Aufträge in Kuwait und Frankreich. Heute findet man Tanges Entwürfe in Minneapolis ebenso wie in Singapur. Sein Büro ist auf fünf Kontinenten aktiv und gilt als eines der produktivsten der Welt. Fast alle markanten Gebäude in Tokio hat Tange entworfen: die „Shinjuku Park Towers“ ebenso wie das Hanae-Mori-Bürogebäude oder das Akasaka Prince Hotel. Für den Entwurf der Marienkathedrale Tokio besuchte Tange gotische Kirchen in Europa. Für die Universität der Vereinten Nationen in Tokio zitierte er die Stufenfasssade des Mailänder Doms, und als er 1987 das neue Rathaus von Tokyo entwarf, wählte er einen riesigen Doppelturm, der an die Kathedrale von Notre-Dame in Paris erinnert. Es wurde zum neuen Wahrzeichen der Stadt.

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