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Kultur: Wo bleibt der Geschmacksdiktator?

Stellen wir uns einen Fremden vor, der aus dem alten Griechenland nach Berlin kommt. Auf der Suche nach dem Fortwirken klassischer Vorbilder tritt er durchs Brandenburger Tor und steht staunend auf dem Pariser Platz.

Stellen wir uns einen Fremden vor, der aus dem alten Griechenland nach Berlin kommt. Auf der Suche nach dem Fortwirken klassischer Vorbilder tritt er durchs Brandenburger Tor und steht staunend auf dem Pariser Platz. Selbst den müden Augen des Zeitreisenden fällt auf, dass das, was in Orientierung an den ursprünglichen Maßen auf dem Platz entstand, unterschiedlicher nicht sein könnte. Und deshalb zur Reflexion über das, was Umgang mit Tradition und Geschichte sein kann, geradezu einlädt.

Die Architektin Gesine Weinmiller, die als Schlussreferentin der "Kulturverschwörung" geladen war, erzählt ihren "Traum von der Klassik" in Form eines Märchens - und verbirgt im feinen Bardenton eine herbe Kritik am architektonischen Stil des Neuen Berlin (Abdruck folgt). Sie, die mit dem Umbau der Dienstvillen von Bundeskanzler und Bundestagspräsident wie mit ihrem Vorschlag zum Holocaust-Mahnmal in jungen Jahren in die Nähe von Macht und Staat gerückt ist, bemerkt besonders, dass das Thema Klassik in Verbindung mit der Hauptstadt an Interesse gewonnen hat.

Dass die Diskussionen, die das Deutschlandradio Berlin gemeinsam mit dem Tagesspiegel anlässlich der großen "Klassik"-Ausstellung im Gropius-Bau veranstaltete, mit einer Architektin beschloss, erwies sich als gute Wahl: Nirgendwo geht es so sehr um Schönheit, Maß und Proportion wie in der Architektur. Weinmiller hätte nicht Adolf Loos zitieren müssen, um ihren Standpunkt klarzumachen: Die Philippika, die sie gegen das "Feuerwerk von Verzierungen", gegen "schicke, karierte Natursteinmüsterchen" und "billige Ornamentierer" losließ, kam aus tiefster Überzeugung. Die Schülerin von Hans Kollhoff ging so weit, provokant nach einem "Geschmacksdiktator" zu rufen, der gegenüber dem Primat der Bauherren über Einhaltung von Maß und Proportion wacht.

Dass es im Bereich der Architektur das "Richtige" (Stimmige) und das "Falsche" (Verlogene) gebe, darüber waren sich Weinmiller und Moderator Peter von Becker einig. Kontrovers wurde es jedoch, als es um das Thema Ornament ging: Während von Becker eine Sehnsucht nach geschmackvoller Dekoration diagnostizierte, erwies sich Weinmiller als radikale Puristin. Ihr Ideal von Schönheit verkörpert Walter de Marias "Lightning field" in der Wüste Neu-Mexikos: Die Edelstahl-Stelen, die das Licht des untergehenden Tages einfangen, schaffen einen Raum aus Stille, Weite und Kraft. Davon ist das so gern auftrumpfende Berlin weit entfernt.

Christina Tilmann

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