zum Hauptinhalt

Kultur: Wo die Toten wohnen

Das Filmfestival von Rom zeigt Neues von Larry Clark, Peter Greenaway und Paul Verhoeven.

Sieben Jahre geht das nun schon so. Roms neues Filmfest macht dem alten in Venedig Konkurrenz, mal mehr, mal weniger offen. Anfangs fuhr man Venedig mit Aplomb in die Parade, später eher verhalten. Denn schon im dritten Jahr wurde Roms „Cinemafest“ vom neuen Bürgermeister Gianni Alemanno aus politischer Ranküne fast ruiniert. Seither hat es zu kämpfen.Doch alles scheint offen, seit Marco Müller in diesem Jahr als Festivalleiter von Venedig nach Rom wechselte.

Er hatte nur vier Monate Zeit, zu wenig, um das Festival umzukrempeln. Müller hat es dennoch drastisch entschlackt – und Gewohnheiten aus Venedig mitgebracht. Die Überraschungsfilme etwa. In Rom waren es jetzt Johnny Tos „Drugwar“ und „Back to 1942“ von Feng Xiaogang, ein gewaltiges Epos über eine vergessene Hungersnot, die während des Zweiten Weltkriegs drei Millionen Menschen das Leben kostete. Xiaogang gelang der Film erst im vierten Anlauf, viele Jahre lang scheiterte er an Chinas Zensur. Nun wird „1942“ dort in 8000 Kinos starten. Doch die Geschichte zweier Familien, die auf der Flucht vor dem Hunger fast vollständig ausgelöscht werden, rührt erstaunlich wenig.

„1942“ ist typisch für diesen Jahrgang: wenig Feuer, viel Mittelmaß. Leuchtende Augen unter den Akkreditierten gab es nach „Bullet to the Head“ von Walter Hill – ein B-Movie mit Sylvester Stallone. Auch Festivalveteranen wie Larry Clark („Kids“) enttäuschten. Clark kann zwar nichts dafür, dass sein einst radikaler Stil tausendfach kopiert wurde. Aber es reicht dann eben nicht, wenn er sich für „Marfa Girl“ nur einen neuen Ort sucht, auch wenn dieser Ort, das Grenzland zwischen USA und Mexiko, eine interessante Wahl ist. Das Licht ist anders, ansonsten wie gehabt: Junge Menschen beim Reden, Vögeln und Skateboardfahren. „Marfa Girl“ wirkt halbherzig – und gewann trotzdem den Hauptpreis.

Es wurde überhaupt viel kopuliert. Wer sich nach „Marfa Girl“ noch Peter Greenaways „Goltzius and the Pelican Company“ und Alexey Fedorchenkos „Celestial Wivies Of Meadow Mari“ ansah, dürfte gut drei Dutzend nackte Menschen beobachtet haben bei körperlicher Betätigung zum Zwecke des Vergnügens. Greenaways Filme finden ja kaum noch außerhalb seiner Gemeinde statt; auch er wiederholt sich allzu oft. „Goltzius“ aber, über eine Theatergruppe im 16. Jahrhundert, deren Aufführung erotischer Bibel-Szenen am Hofe des Markgrafen von Elsass aus dem Ruder läuft, ist herrlich anspielungsreich, ironisch, schön anzusehen. Fedorchenko bezeichnet seinen Film als das Dekameron der Mari, eine finnisch-ugrische Volksgruppe, die einst in den Ural flüchtete, um der Christianisierung zu entgehen. In 22 erotischen Frauenporträts führt uns der russische Filmemacher ihre eigentümliche Welt vor Augen: ein mal schillerndes, mal geheimnisvolles, mal ausgelassenes Mosaik aus Liebe, Tod und heidnischer Magie.

„Goltzius“ und „Celestial Wives“ gehörten zu den wenigen Filmen, die einlösten, was man sich von Marco Müller verspricht: cineastisches Vergnügen. Müller hatte dafür im Maxxi, dem 2010 eröffneten Museum für Gegenwartskunst, die neue Nebenreihe „Cinemaxxi“ eingerichtet. Im Maxxi zeigte Paul Verhoeven seinen Film „Tricked“, dessen Handlung via Crowdsourcing bestimmt wurde. Eine angenehm amoralische Seifenoper kam dabei heraus. Die Pointe: Verhoevens Fans haben ihm einige hübsche Verweise auf sein eigenes Werk („Basic Instinct“) ins Drehbuch diktiert.

Auch zwei deutsche Filme feierten hier Premiere: Thomas Heises „Gegenwart“ und „Panihida“ von Ana-Felicia Scutelnicu. Die gebürtige Moldawierin studiert an der Berliner DFFB, für „Panihida“ reiste sie in ihre Heimat, die karg-schönen Hügel von Trebujeni, um in ruhigen, semi-dokumentarischen Bildern ein Dorfbegräbnis einzufangen. Während die kleine Trauergemeinde in brütender Hitze den Sarg zum heiligen Hügel schleppt, wird gesungen und getrunken, getrauert und philosophiert. Eine lebensbejahende Prozession: der Tod, ein natürlicher Teil des Lebens.

Der Dokumentarfilmer Thomas Heise („Die Lage“) hat sich desselben Themas angenommen – und ein krasses Gegenstück geschaffen. Heise verbrachte die Tage zwischen Weihnachten und Neujahr in einem Krematorium. Die industrielle Geschäftigkeit, mit der die vollen Särge angeliefert, registriert und verarbeitet werden, in einer eigens hergestellten Verbrennungsmaschinerie, irritiert, weil man sie sonst nicht sieht. So endet das Leben in einer Welt, die vom Ende nicht belästigt werden will. Sebastian Handke

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false