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Kultur: Wo Literatur auf Naturwunder traf

Bereits 1933 gleichgeschaltet, wurde die Urania nach dem Zweiten Weltkrieg wiederbelebt – von einem politisch sehr gemischten Team.

Die 1888 gegründete Uraniagesellschaft überlebte alle politischen Systeme, vom Kaiserreich bis heute. Die Urania, bereits 1933 gleichgeschaltet, wurde während des Krieges vom Reichshauptstellenleiter der NSDAP Johannes Friedrich als Aufsichtsratsvorsitzendem und Herbert W. Boche als Vorstand geführt. Gezeigt wurden hauptsächlich unterhaltsame Filme. Am 23. April 1949 meldete sich Boche aus Saulgau/Württemberg beim Amtsgericht Berlin-Charlottenburg, um die Urania wiederbeleben und sich als Vorstand bestätigen zu lassen. Dabei hatte er die Unterstützung von Johannes Friedrich, den es nach Ebstorf bei Uelzen verschlagen hatte. Das Gericht beschied dieses Begehren wegen Fristversäumnis allerdings abschlägig.

Erfolgreicher war Otto Henning, der am 7. Oktober 1952 aus dem Gefängnis Waldheim nach Berlin entlassen worden war. Kaum angekommen, legte er den Entwurf einer Satzung für die Deutsche Kulturgemeinschaft vor. Es bildete sich ein Personenkreis, der ihn bei seinem Vorhaben unterstützte. Die wichtigsten Personen waren Paul Hövel, Paul Altenberg und Nicolas Kaufmann sowie Katharina Heinroth – politisch gesehen eine bunte Mischung.

Der Buchnarr Otto Henning hatte in Gießen schon als Student eine Goethegesellschaft mitgegründet, war 1929 nach Berlin gekommen und bei der liberalen „Gesellschaft für Volksbildung“ zum Geschäftsführer aufgestiegen. Diese wurde nach 1933 aufgelöst. Henning, der am 1. April 1933 die NSDAP-Mitgliedschaft beantragt hatte, war eine Zeit lang arbeitslos und trat dann in die Dienste des Propagandaministers Joseph Goebbels ein. Als Leiter des „Vortragsamts in der Reichsschrifttumsstelle für Volksaufklärung und Propaganda“ organisierte er 1940 Dichterfahrten in die eroberten Gebiete im Westen und 1941 eine Dichterreise ausländischer Autoren durch Deutschland. Ziel war es, eine Europäische Schriftstellervereinigung unter deutscher Führung zu gründen.

Paul Hövel war von 1927 bis 1933 Jugendfunktionär in der Bündischen Jugend der Weimarer Zeit. Gleichzeitig mit der Gründung der Hitlerjugend durch Baldur von Schirach wurden die bestehenden Jugendbünde aufgelöst. Der Wirtschaftsexperte Hövel – schon vor 1933 Parteimitglied – fand sich ebenfalls bald im Propagandaministerium ein, war als Oberregierungsrat Leiter der Wirtschaftsstelle des Deutschen Buchhandels und hier zuständig für die Papierzuteilung an die Verlage. Bevorzugt bediente er den jüdischen Julius-Springer-Verlag, in dem 1934 seine Dissertation erschienen war. Dort fand der einst so überzeugte Nazi nach dem Krieg sogleich eine Anstellung.

Paul Altenberg, schon in der Weimarer Zeit ein überzeugter Demokrat, war Studienrat in Berlin bis 1945. Nach Kriegsende wurde er wegen seiner tadelsfreien Vergangenheit sogleich Literaturprofessor an der Technischen Universität Berlin und war engagiert an der Gründung der Freien Universität Berlin beteiligt.

Der Schweizer Nicholas Kaufmann, ehemals Arzt in der Charité, war in den 20er- und 30er-Jahren Leiter der Kulturfilmabteilung der UFA. Er schuf Filme wie die „Reise durch den menschlichen Körper“, die in der Urania oft gezeigt wurden. Gegen harten Widerstand setzte er den Namen Urania durch. Otto Henning hätte lieber eine bundesweite Goethegesellschaft gegründet. Doch auf Kaufmann war man angewiesen, da er noch über eine Anzahl Filme verfügte, die den Start der Urania erleichterten.

Die Zoodirektorin Katharina Heinroth war eine der wenigen Frauen, die an der Urania-Gründung beteiligt waren. Politisch trat sie nicht groß in Erscheinung, hatte sogar einen vergeblichen Rettungsversuch für einen Verurteilten des Attentats vom 20. Juli unternommen.

Mit diesen und weiteren Personen schuf Otto Henning die Urania. Die Gründungsveranstaltung fand am 19. November 1953 im Senatssitzungssaal der Technischen Universität statt. Paul Altenberg wurde erster Vorsitzender, Otto Henning Direktor. Henning entwarf erste Programme mit dem Schwerpunkt „Dichter und Literatur“. Er frischte seine alten Kontakte auf und passte sich auch der neuen Zeit an. So war die Schar der Referenten des ersten Programms politisch ähnlich gemischt wie das Gründungsteam der Urania. Den Anfang machte am 12. März 1954 der Dichter Frank Thiess, einer der „inneren Emigranten“, die im Reich geblieben waren. Am 18. März folgte der Film des bereits genannten Nicholas Kaufmann „Wunder und Rätsel der Natur“. Thea von Harbou, einst immerhin NSDAP-Parteimitglied, zeigte den Filmvortrag „Mein geliebtes Indien“. Dann trat am 29. April der österreichische Nazi Heinrich Waggerl auf und erzählte aus „Eigenen Werken“. Den Schluss dieser ersten Programmreihe bildete Hans Helfritz mit seinem Filmvortrag „Die versunkene Welt der Mayas“. Goebbels hatte an Helfritz einst missfallen, dass er andere Kulturen als der nordischen gleichrangig darstellte. Als Homosexueller fürchtete er zudem Verfolgung und verließ Deutschland 1939.

Die ursprünglich naturwissenschaftlich ausgerichtete Urania entwickelte sich auch mit dem neuen Ansatz zügig weiter, bezog im Jahre 1962 ein eigenes Haus und bietet seither ein Programm von großer Vielfalt. Die Initiatoren von einst haben aus der Vergangenheit unterschiedlich gelernt. Henning klagte nach dem Krieg vornehmlich über sein persönliches Leid in den Jahren der Gefangenschaft, Hövel dagegen bedauerte seine Verstrickungen in der Nazizeit zutiefst. In der Tat war das Schicksal ungerecht gewesen. Paul Hövel, in jener Zeit ein Mann der starken Worte, war besser gefahren als der literaturversessene Otto Henning. Otto Lührs

Der Autor ist Physikprofessor, Vorsitzender von Science on Stage Deutschland e.V. und ehemaliger Leiter des Spectrum am Deutschen Technikmuseum. Bereits zum 100. Jubiläum der Urania beschäftigte er sich intensiv mit deren Geschichte von den Anfängen bis zur Gegenwart.

Otto Lührs

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