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Kultur: Wo sich Jahrhunderte berühren

Ein Amerikaner in Paris: zum 80. Geburtstag des Malers und Bildhauers Ellsworth Kelly

Wenn man heute eine Liste der wichtigsten Zentren der Gegenwartskunst anlegen wollte, Paris käme wohl am ehesten in die Rubrik „Was-es-auch-noch-gibt“. Vor fünfzig Jahren sah das noch ganz anders aus. Damals war Paris die Stadt der Moderne, der Ort, der alle anzog, an dem Picasso und Matisse lebten – ein Traum für Künstler, Schriftsteller und Musiker. Einer, der ausführlich davon erzählen könnte, weil er selber sechs Jahre dort verbrachte, feiert heute seinen 80. Geburtstag: der Maler und Bildhauer Ellsworth Kelly.

Kelly, am 31. Mai 1923 in Newburgh im Staat New York geboren, ist ein typischer Künstler des Dazwischen. Zwar steht in den Lexika und Biografien, seine Karriere habe ihren Ausgang in der Stadt New York genommen, tatsächlich aber begann sie irgendwo zwischen den Epochen, den Kontinenten und Kunststilen. War er zu Anfang seiner Laufbahn noch von Malern wie Max Beckmann oder den russischen Konstruktivisten beeinflusst, so änderte sich das, als er nach Frankreich übersiedelte. Von 1948 bis zu seiner Rückkehr nach New York im Jahr 1954 arbeitete er in der französischen Hauptstadt, besuchte die École des Beaux-Arts, lernte Kollegen wie Hans Arp, Sophie Täuber und Sonja Delaunay kennen.

In Paris entwickelte er seine spezielle Form der Farbfeldmalerei, die manchmal an den späten Matisse erinnert, jedoch ebenso der seinerzeit gerade im Entstehen begriffenen spezifisch amerikanischen Kunst verpflichtet ist. Der Abstrakte Expressionismus des um zwanzig Jahre älteren Barnett Newman, der geometrische Minimalismus von Carl Andre oder Donald Judd waren mindestens genauso entscheidend für Kelly wie die von ihm bewunderten Europäer.

In der Folge widmete sich Kelly immer stärker dem fliegenden Wechsel zwischen den Gattungen. Oft wirken seine Gemälde blockartig und monolithisch wie Skulpturen und seine Skulpturen flächig und zweidimensional wie Malerei. Dass er sich dabei nie von den Erscheinungen der organischen Welt gelöst hat, zeigen seine Zeichnungen, die Kelly im Jahr 2000 (größtenteils zum ersten Mal überhaupt) im Kunstmuseum Bonn ausstellte. Die Blätter dort waren buchstäblich Blätter: von Melonenpflanzen und Ahornbäumen, von Magnolien und grünen Erbsen, allerdings alles nur in Umrissen, was die Verbindung zurück zu den Papiers Découpés von Henri Matisse herstellte. So berühren sich in Kellys Schaffen nicht die Jahre, nicht die Jahrzehnte, sondern die Jahrhunderte vom neunzehnten bis zum einundzwanzigsten.

Ulrich Clewing

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