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Kultur: Wohnen im Raum

Peter Sloterdijk hat sein „Sphären“-Projekt beendet. Heute liest er daraus in der Berliner Volksbühne

Herr Sloterdijk, Sie lesen heute das erste Mal aus dem dritten und abschließenden Band Ihres Großwerkes „Sphären“, der im Herbst erscheint. Welche Quintessenz ziehen Sie darin?

Das SphärenProjekt ist eine umfassende Philosophie des Raumes. Das 20. Jahrhundert war aufs Ganze gesehen eine Epoche der Zeitverherrlichung in der Philosophie. Es war das Weltalter des Futurismus und der Flucht in die Zukunft. Ich glaube, es ist an der Zeit, den Menschen als ein Tier, das sich aufhält, ein Tier, das wohnt, das sich möbliert, neu in Betracht zu ziehen, und eine neue Deutung der menschlichen Existenz von ihren Wohn-Strategien her zu versuchen. Genau das unternimmt dieses Werk, das jetzt mit dem dritten Band „Schäume“ zum Abschluss gebracht wird. Es untersucht die menschlichen Raumkonstruktionen unter dem doppelten Aspekt von Isolation und Einbettung: connected isolations.

Heute Abend wird nach Ihrem Vortrag „Die Absolute Insel“ in der Berliner Volksbühne der 1995 entstandene Dokumentarfilm „Out of the Present“ von Andrei Ujica gezeigt: eine Art Tagebuch des Kosmonauten Sergei Krikalev, der 1991/92 in der Raumstation MIR den Zusammenbruch der Sowjetunion verpasste...

Andrei Ujica und ich wollen an diesem Abend eine Art philosophisch-cineastische Space-Night durchführen. Ujica ist auf seine Weise ein philosophierender Filmemacher, und ich bin ein Theoretiker auf der Suche nach dem Bild. Ujica gehört zu den wenigen Zeitgenossen, die den ontologischen Ernst der Raumfahrt begriffen haben. Er ist neben Kubrick, glaube ich, der einzige unter den wichtigen Cineasten der Gegenwart, der dieses Motiv abseits des Science-Fiction-Trashs behandelt hat. Sein Film ist eines der großen Dokumente der Filmkultur der Neunzigerjahre.

Was war das Ziel Ihrer Arbeit?

Ich will versuchen zu zeigen, dass man in der Raumstation am besten in Erfahrung bringt, wie es zugeht, wenn Menschen Wohnverhältnisse im Unwohnlichen herstellen wollen. Ich glaube, dass die Raumfahrt philosophisch wichtig ist, weil sie die radikalste technische Aufklärung liefert über den Sinn von Sich-Aufhalten. Ich trage eine philosophische Meditation über das Kernstück der Raumstationen vor, das so genannte Lebenserhaltungs-System, das life support system. Das ist, wenn Sie so wollen, eine technische Antwort auf das, was Husserl die Lebenswelt genannt hat. Ich spreche von einem In-der-Welt-Sein 2 – analog zu dem bekannten Treibhausexperiment, das in Arizona in den Neunzigerjahren unter dem Titel „Biosphäre 2“ auftrat. Das Sich-Aufhalten an Bord einer Raumstation bietet Aufschlüsse über die Minimalbedingungen von Lebensweltkonstruktionen.

Was fasziniert Sie daran besonders?

Es geht um die Einrichtung einer Art Atemkammer im Weltall. Das moralische Pathos meines ganzen Sphärenprojekts liegt im Nachdenken über die Klimaverantwortung von Menschen, das fängt schon beim Heizen des Wohnzimmers an. Hegel sagt: Nicht einmal die Luft können wir brauchen, so wie sie ist, sondern man muss sie sich warm machen, um sie zu bewohnen. Sphären III ist also eine ausführliche Meditation über Air-Conditioning, und zwar als Kultur-Air-Conditioning. Ich versuche zu zeigen, dass das Klima das eigentliche Schlachtfeld der Zukunft ist. Charakteristischerweise ist Terror eine Modifikation des moralischen oder informatischen Klimamilieus, in dem Menschen leben. Aller Terrorismus hat die Grundform von Atmo-Terrorismus, es geht ihm immer um Anschläge auf die Atmosphäre.

Und welches wäre nun die Conclusio Ihrer D Überlegungen?

Die Raumfahrer sind moralische Pioniere der Menschheit, denen wir bei ihren exzentrischen Aufenthaltsübungen zusehen. Während wir hier reden, geht die Arbeit an der Raumstation ISS weiter. Nachdem die MIR eine russische Kommunalwohnung im Weltall repräsentierte, wird die ISS schon ein New Yorker Künstler-Loft sein. Es lohnt sich, ontologisch und ethisch über dieses Abenteuer der Wiederholung von Wohnverhältnissen im Weltall nachzudenken. Neben den technischen Nebenprodukten der Raumfahrt wie Teflon-Pfannen ist es Zeit für reflexive Nebenprodukte.

Das Gespräch führte Marius Meller.

Sloterdijks Vortrag und die Filmvorführung heute, 20 Uhr, in der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz.

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