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Kultur: Wohnen im Taubenturm

„Ideal City – Invisible Cities“: 41 internationale Künstler suchen in Potsdam Leben hinterm Reißbrett

Die These steht trotz aller Ausstellungsrekorde und allem Marktgebrause nach wie vor im Raum. Sie lautet: Die Krise der Kunst hat noch stets dazu geführt, dass sich ihre Macher zwecks neuer Impulse bei den Nachbardisziplinen bedienten – beim Film, der Bühne, der Literatur, der Architektur. Oder war es nicht vielmehr umgekehrt? Ein solch ungleiches Geschwisterpaar war immer schon das Duo Kunst und Architektur. Von dieser Kreuzung haben stets beide Seiten profitiert. Nur hilft vor allem die Kunst beim Nachdenken über Architektur, selten andersrum. Zwei Systeme mit ganzheitlichem Anspruch treffen hier aufeinander – das eine entstammt der Sphäre des Hypothetischen, das andere liefert Fakten.

„Ideal City – Invisible Cities“ ist deshalb die große Potsdamer Ausstellung überschrieben, in der 41 internationale Künstler das Thema Stadt umkreisen. Wirklich greifbar wird es nirgends, auch wenn sich ihre Skulpturen in Fassaden und auf Plätzen festzukrallen suchen, ihre Zeichnungen, Fotografien, Videos die Struktur von Straßen und Gebäuden gewaltsam auseinandernehmen. Die Vogelperspektive nimmt den Betrachter mit auf Abstand zum gelebten Raum. In ihren besten Momenten vermag die Kunst von dort aus mehr zu sagen als jede urbane Analyse und statistische Erhebung.

„Ideal City – Invisible Cities“ hat viele solcher gelungener Momente. Zum schönsten Erfolg des Berliner Kuratorenpaars Sabrina van der Ley und Markus Richter gehört wohl, dass sie sich am zweiten Ausstellungsort wiederholen lassen. Nach der Premiere im polnischen Zamosc, einem perfekt erhaltenen Renaissancestädtchen nahe der ukrainischen Grenze, das in seiner heutigen Verfallenheit den größtmöglichen Kontrast zum einstigen Ideal vom Reißbrett darstellt, bildet das barocke Potsdam auf deutscher Seite nun das perfekte Pendant (Tagesspiegel vom 24. 6.). Aber auch hier hat sich die Realität von den ursprünglichen Ideen der Erbauer weit entfernt: Krieg und Wiederaufbau zur DDR-Zeit hinterließen Narben, die vor dem Hintergrund einstiger Schönheit nur noch schmerzlicher spürbar werden.

Wie Seismografen reagieren Künstler auf solch subkutane Bezüge: Während der schottische Bildhauer Colin Ardley in Zamosc auf den quadratischen, zentralen Platz eine hölzerne Pyramide stellte, von der aus sich die Achsialität des Stadtgrundrisses noch besser goutieren ließ, erbaute er für Potsdam am Ende des rekonstruierten Stadtkanals eine verquere, stählerne Treppe, in der die Gebrochenheit der einstigen Sichtachsen nun kulminiert. Und wo Franka Hörnschemeyer in Zamosc aus beweglichen Türelementen ein leuchtend weißes, labyrinthisches Raumballett inszenierte, wuchtet sie nun in Potsdsam auf einen der wenigen erhaltenen Plätze, dem zwischen Kutschpferdestall und ehemaliger Ratswaage gelegenen Neuen Markt, einen Irrgarten aus finsternen, verdreckten Schalelementen. Auch Monika Sosnowskas „Schmutziger Brunnen“ plätschert wieder. Diesmal sprudelt das schwärzliche Gewässer in seinem Betonbecken im Staudenhof hinter dem FH-Gelände. Zwischen den blätternden Plattenbauten, inmitten der angejahrten Gartenanlage, wirkt diese böse kleine Fontäne, als habe sie schon immer hierher gehört. Auch Lucas Lenglets „Kolumbarium“ aus dunkel gebrannten Ziegeln liest sich vor dem Hintergrund der wabenförmigen DDR-Wohnklötze mit Blick auf die Nikolaikirche von Schinkel wie ein bissiger Kommentar. Dürfen sich also auch die benachbarten Bewohner fühlen wie in einer Mixtur aus Taubenturm und Grabstätte für Urnen?

Es liegt in der Natur der Sache, dass sich Künstler heute nicht für das Schöne, sondern das Schreckliche entscheiden, der heilen Welt den Horror vorziehen. In beide Städte passt gleichermaßen Miroslav Balkas Skulptur „Willkommen“, die die Silhouette der Küchenbaracke von Auschwitz zitiert und mit jeder Annäherung von Passanten plötzlich Marschmusik intoniert, wie sie vom Lagerorchester stammen könnte. Während die Skulptur in Zamosc an die nahe gelegenen Vernichtungslager erinnerte, spielt sie hier vor dem Marstall auf den „Tag von Potsdam“ am 21. März 1933 an, einer ersten Selbstinszenierung der Nazis nach der Wahl, an dem die Soldaten zur nahe gelegenen Garnisonskirche marschierten.

Die ideale Stadt, es gibt sie nicht, die unsichtbare Stadt, von ihr sind wir umgeben. Die von der Kulturstiftung des Bundes geförderte Ausstellung eröffnet nicht nur andere Blicke, sondern erschließt auch neue Räume für die Kunst wie das ehemalige Lazarett, in dem noch als Kaserne das Regiment Prinz Heinrichs logierte, später die Fachhochschule für Gestaltung unterkam. Ähnlich wie bei der Berlin-Biennale in der jüdischen Mädchenschule entfaltet auch in den historisch aufgeladenen Räumen des Lazaretts mit seinen ausgedienten Kachelöfen die Kunst eine besondere Poesie. Krzysztof Zieliskis Fotografien seiner polnischen Vaterstadt können noch so triste wirken, die gefilmten Schwenks des Schweden Jonas Dahlberg über graue Vorstädte und Dan Grahams Dia-Show „Houses for America“ noch so melancholisch stimmen, sie bringen in dieser nostalgischen Kulisse das Gefühl von Heimat zum Klingen. Stadt, wo und wie auch immer, besteht zunächst aus Menschen, dann erst aus Architektur.

Bis 29. Oktober. Ausstellungsorte unter www.idealcity-invisiblecities.org

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