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Kultur: Wonach der Truthahn kräht

Einmal lebten sieben Truthähne in einer Installation von Wolf Vostell.Sie nisteten in den Gehäusen von 30 ausgeweideten Fernsehern, in denen noch heute Federn und Eier (wenn auch aus Plastik) ihre Spuren hinterlassen haben.

Einmal lebten sieben Truthähne in einer Installation von Wolf Vostell.Sie nisteten in den Gehäusen von 30 ausgeweideten Fernsehern, in denen noch heute Federn und Eier (wenn auch aus Plastik) ihre Spuren hinterlassen haben."Endogene Depression" heißt dieser Friedhof der Fernseher in einer Fassung von 1980.Da setzte sich Wolf Vostell schon seit über 20 Jahren mit den flimmernden Kisten und ihrer Rolle als Kommunikationsersatz auseinander.

Es geht gar nicht anders, etwas muß fehlen in der ersten großen Schau nach dem Tode des Fluxus-Aktionisten, der auf seine leibhaftige Präsenz setzte.Die Aufführungen zwischen den Dingen brachten das Material zum Klingen und Toben, wie das Video eines späten Fluxus-Konzertes 1993 in Palma de Mallorca ahnen läßt.Jetzt kann man nur noch Fußschalter drücken, damit ein Motorrad gegen eines der drei "Sara-Jevo-FluxusPianos" anbraust, Sirenen aufheulen, Motorsägen gegen den Klangkörper rasseln und Bowling-Kugeln über die Tasten poltern.Unheimlich ist diese mechanische Aufführung wie eine verlassene Fabrik, aus der die Menschen flüchten mußten.

"Alles ist Musik, alles ist Kunst!", zitiert Rafael Vostell seinen am 3.April 1998 verstorbenen Vater, dem er aus dem Familienbesitz zusammen mit der Friedrich Foundation in den großzügigen Räumen des Kunsthaus Berlin eine "Hommage" eingerichtet hat.In diesem "Alles" offenbart sich die Liebe zum Anhäufen tonnenschwerer Ausschnitte von Welt.In der Haltung zum Material - zwischen Fetischisierung und De-struktion - liegt das Spannende bei Vostell mehr als in seinem zeitkritischen Ansatz.

Er hat die falschen Versprechungen der Massenmedien und den individuellen Freiheitswahn der automobilisierten Gesellschaft vielfach kritisiert.Aber ebensosehr gleichen seine Skulpturen Denkmälern einer industriellen Epoche, für die PS-Zahlen und TV-Programme nicht nur Statussymbole, sondern die Basis wirtschaftlichen Erfolgs waren.Wer wie Vostell in dem Tableau "Rien oder vor aller Augen" (1989) Motorhauben, Autoradios und Lenkstangen mit sexuell aufgeladenen Videobildern zusammenbringt, liebt die Potenz der Motoren und weiß, wie das Herz des Autonarren schlägt.In seinen Environments kämpft die Lust am Abenteuerspielzeug für große Jungs gegen die Erkenntnis, daß dieser Traum bald ausgeträumt ist."Nimm alle Bestandteile bis zum kleinsten Stück eines Autounfalls und befestige sie auf der Strasse (...).Wiederhole das Unfall für Unfall bis Verkehr unmöglich ist", schrieb er in einer Spielanleitung schon 1958.

Die Farben des Krieges haben die Ästhetik des 1932 Geborenen geprägt, zu dessen frühesten Erfahrungen die Flucht durch Osteuropa vor den Verfolgungen durch die Nationalsozialisten gehörte.Er zeigte sein Judentum in den Schläfenlocken.Sein Leben zwischen dem Rheinland, Spanien und ab 1971 in Berlin bewies, daß er das Pendeln zwischen den Kulturen gelernt hatte.Erst spät griff er das Thema der Shoah auf, als ob er die Denkmalsdebatten der neunziger Jahre als Ermutigung gebraucht hätte.Sein monumentales Wandbild "Shoah 1492-1945" will einen Bogen schlagen von der Vertreibung der Juden aus Spanien 1492 bis zum Holocaust.Ein Balken zerschlägt unter sich Figuren, die teils zu kantigen Formen mutieren.In Zeichnungen läßt er Hämmer auf den Balken einschlagen oder bewehrt ihn mit Nägeln auf der Suche nach einer Chiffre für das Ausmaß der Gewalt.Berührender als das Historiengemälde ist die "Hebräische Suite für sieben Violinen" von 1997, die auf gemeinschaftliche Rituale eingeht.

Noch zu Lebzeiten hatte Vostell eine Retrospektive mit der Berlinischen Galerie verabredet, die inzwischen auf das Jahr 2001 verschoben wurde.Schon die Hommage aus Familienbesitz läßt ahnen, daß man dem Fluxus-Pionier kaum gerecht wird, wenn man seine kritischen Intentionen nur nacherzählt, ohne auf den Eigensinn des Materials einzugehen.Als medienbewußter Künstler war er nicht ganz unschuldig an der einseitigen Rezeption seiner Werke, die über das politisch Plakative selten hinauskam.

Kunsthaus Berlin Friedrich Foundation, Nicolaistr.14, 12247 Berlin, Eröffnung 8.Mai, 19 Uhr.Dienstag - Sonntag 13 - 20 Uhr, bis 4.Juli.

KATRIN BETTINA MÜLLER

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