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Wowereits Prestigeprojekt: Berliner Kunsthalle steht auf der Kippe

Steht die Berliner Kunsthalle vor dem Aus? Nach den Politikern erteilen die Künstler Wowereits Prestigeprojekt eine Absage.

Auf dem Schlossplatz werden gerade die letzten Teile der Temporären Kunsthalle abgetragen und nach Wien transportiert. Dort soll sie wiederaufgebaut werden und ein zweites Leben geschenkt bekommen. In Berlin demontiert sich derweil die dauerhafte Kunsthalle selbst, noch ehe sie überhaupt zustande gekommen ist. Berlin, die Stadt, die niemals ist, sondern immer wird.

Das Lieblingsprojekt des Regierenden Kulturmeisters Klaus Wowereit erlebt gegenwärtig seinen Sinkflug. In der vergangenen Woche wurde es im Abgeordnetenhaus von den kulturpolitischen Sprechern der Fraktionen bei einer Podiumsdiskussion zerpflückt. Geld geben wollte angesichts leerer Kassen keiner; nur die SPD-Sprecherin hielt wankend dagegen. Sie wusste sich bereits auf verlorenem Posten, denn Wowereit ist von seiner Idee längst abgerückt: Nicht alle Wünsche könnten erfüllt werden, verkündete er zuletzt. So beginnen Rückzugsgefechte in der Politik. Dafür wachsen wieder die Chancen für einen Neubau der Landesbibliothek auf dem Areal des Flughafens Tempelhof für 270 Millionen Euro. Die Entscheidung soll im Herbst nach der Wahl getroffen werden.

Wowereit geht damit auf Abstand zu einem Projekt, das ihm bis vor kurzem noch Glamour und internationales Flair zu versprechen schien. Schließlich gilt Berlin als Welthauptstadt der Kunst. Eine schicke neue Ausstellungslocation, am liebsten als signature architecture von einem angesagten Baumeister entworfen, das hätte perfekt ins Bild der hippen Kreativstadt gepasst. Doch nun erteilen auch noch die Künstler, von denen bislang nur wenig zu hören war, der letztlich ihnen gewidmeten Einrichtung eine Absage. Am Dienstag wird ein Offener Brief an Klaus Wowereit ins Netz gestellt, den die ersten 200 Kritiker, Kuratoren und Künstler bereits unterschrieben haben (www.habenundbrauchen.kuenstler-petition.de).

Unter dem Titel „Haben und Brauchen“ ergießt sich ihr Zorn zunächst über die für den Sommer geplante „Leistungsschau junger Kunst in Berlin“, hinter der sich ein Probelauf für die Kunsthalle verbirgt. Zumal die Ausstellung auf dem Brachgelände am Humboldthafen stattfinden wird, just dort, wo das von Wowereit erträumte Kunsthaus ursprünglich stehen sollte: nach der bewährten Methode der Aufwertung eines Quartiers durch Ateliers und Galerien. Profitabel wird es dann später. In einer ersten Phase der Planung war noch an einen Guggenheim-Bau à la Bilbao gedacht, in einer zweiten sollte der Investor Nicolas Berggruen mit seiner Sammlung einziehen dürfen.

Beides zerschlug sich durch die Kapriolen des Finanzmarktes. Geblieben ist das Filetstück am Hauptbahnhof, auf dem nach Sandburgen und Zirkuszelten ab Pfingsten mobile Ausstellungsmodule des Architekturbüros Raumlabor stehen sollen, um eine Bestandsaufnahme der Kunst in Berlin zu präsentieren. Gerade dies sorgt für Verdruss in der Szene. Wozu eine solche Erhebung, für die der Hauptausschuss 600 000 Euro gab, die Lottostiftung – übrigens unter ihrem Vorsitzenden Wowereit – eine Million Euro bereitstellte, wenn man sich allenthalben über den Stand der Dinge in Galerien, Kunstvereinen, freien Produktionsstätten informieren kann?

Empörung auch über den Begriff Leistungsschau und dessen „neoliberale Rhetorik von Effizienz und Leistungsfähigkeit“, mit der künstlerische Qualität nicht zu fassen sei. Für Ärger sorgt außerdem, dass im Open Call allein „junge Kunst“ sich bewerben durfte. Der Salon populaire, der den offenen Brief an Wowereit initiiert hat, und der Berufsverband Bildender Künstler, der ihn an seine 4000 Mitglieder weiterleitet, fordern deshalb eine Revision der Ausstellungspläne. Zum Boykottaufruf mochten sie sich nicht offen bekennen.

Bei der Kulturprojekte GmbH des Senats, der mit den fünf Jungkuratoren und den elder statesmen Klaus Biesenbach, Hans Ulrich Obrist und Christine Macel die rund achtzig Teilnehmer umfassende Ausstellung organisiert, lässt man sich vom Unwillen der Künstlerschaft nicht irritieren. Stattdessen versucht man im letzten Moment, all jene Institutionen einzubinden, die immer wieder darauf verwiesen haben, dass sie ersatzweise die Funktion einer Kunsthalle bislang ausgeübt haben und das für eine neue Einrichtung eingesetzte Geld sehr viel dringender benötigen. Noch ist nicht klar, ob Kunst-Werke, Hamburger Bahnhof, Neuer Berliner Kunstverein, Berlinische Galerie ab Pfingsten kurzfristig ihre Räume bereitstellen werden und der Senatsausstellung damit beispringen.

Eine breiter angelegte Schau, institutionell verankert, könnte jedoch zu einem Event wie die Berlin-Biennale werden, begleitet von Diskussionen über das richtige Kunsthallen-Konzept. Wenn dann auch noch die Sonne scheint, die benachbarte Strandbar lockt und die Touristen strömen, dann hat sich für den Kultursenat der Aufwand schon gelohnt. Den Schwung des „Gallery weekends“, das jetzt schon der Kunstmesse den Rang abgelaufen hat, würde die Ausstellung am Humboldthafen außerdem mitnehmen.

Das konkrete Projekt, ein permanenter Ort für die Berliner Künstler als Stufe zwischen Offspace, Galerie und Museum, dürfte sich dann allerdings endgültig verflüchtigt haben. Was vor vier Jahren auf breiter Front gefordert wurde, hat sich nicht nur zerredet. Durch Neubesetzungen in bestehenden Häusern haben sich die Türen für Künstler der Stadt weiter geöffnet. In Berlin lebende Stars wie Olafur Eliasson und Thomas Demand, von denen bisher kaum Notiz genommen wurde, haben ihre Auftritte mittlerweile bekommen. Hinter vorgehaltener Hand heißt es bereits beim Kultursenat, dass die Kunsthalle mausetot sei. Die Vorstellung aber, dass die in Neubau und Betrieb gesteckten Gelder stattdessen den existierenden Institutionen zugute kämen, wird sich nicht erfüllen. Politikprofis wissen allzu gut, dass frisches Geld nur für neue, aufregende Projekte bereitgestellt wird, nicht für bestehende. Die wirken nun einmal nicht sonderlich sexy.

Dabei führt der Kultursenat selbst vor, wo sich die Investition lohnt, wenn es um ernst gemeinte Förderung Berliner Künstler geht, damit die Stadt jenes Kreativpool bleibt, als das sie in aller Welt gerühmt wird. Die Neue Gesellschaft für Bildende Kunst zeigt gerade die Ergebnisse der letztes Jahr an 15 Künstler vergebenen Arbeitsstipendien. Das ist weniger öffentlichkeitswirksam, aber höchst effektiv.

„Selected Artists“, NGBK, Oranienstr. 25, bis 12. 2.; tägl. 12-19, Do-Sa bis 20 Uhr.

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