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Kultur: Wozu braucht Bagdad Bühnen?

Theater auf Trümmern: Irakische Theaterkünstler sprechen in Berlin über den Wiederaufbau

Von Rüdiger Schaper

Da sitzen sie wie ein antiker Chor. Acht Männer mit grauem Haar, die meisten von ihnen weit über sechzig. Strahlen eine undurchdringliche Würde aus. Das Grauen schaut aus ihren gesetzten Worten hervor. „Ich habe immer noch Angst, wenn das Telefon läutet oder jemand an die Tür klopft“, sagt einer. „Die Künstler im Irak wurden nie wie Künstler behandelt“, ein anderer.

Als Roberto Ciulli mit seinem Theater an der Ruhr, schon unter hochproblematischen Bedingungen, in Bagdad gastierte, spielte man im Kulturzentrum neben dem Fernsehgelände. Das war im April 2002. Heute ist dieses Theater zerstört, wie die anderen Theater der irakischen Hauptstadt. Zerbombt und, wenn noch etwas stand nach den amerikanischen Angriffen, geplündert. Ciulli, mutiger Träumer und Diplomat, hat den Kontakt nicht abreißen lassen. Er lud irakische Theaterleute nach Deutschland ein, in einer gemeinsamen Aktion mit dem Auswärtigen Amt, dem Goethe-Institut und dem Haus der Kulturen der Welt Berlin. Hier haben sie sich versammelt, um über „zukünftige Perspektiven des irakischen Theaters“ zu sprechen.

Dscha’far as-Sa’adi, der große alte Mann des irakischen Theaters, zieht bittere Schlussfolgerungen: „Das Chaos breitet sich aus. Es gibt keine Sicherheit, und die Menschen sind nicht satt.“ Daher geht keiner abends aus, und wohin auch. Es gibt in Bagdad jetzt praktisch keine Theatervorstellungen. Wozu auch? Brauchen Menschen, die hungern, die ohne anständige medizinische Versorgung, Benzin und Strom sind und in Angst vor Terroranschlägen leben, ausgerechnet Theater?

Nicht nur, weil der Irak ein uraltes Kulturland ist, wird man es anders betrachten müssen. Das Theater für den Irak ist ein Symbol. Ein starkes, ja verzweifeltes Desiderat. Denn der Umkehrschluss lautet: Wenn die Menschen zu essen haben, wenn sie sich wieder sicher fühlen können und Arbeit haben, wird es auch wieder Theateraufführungen geben. „Man schafft es mit der Zeit immer irgendwie, die materiellen Trümmer wiederaufzubauen. Aber was ist mit den geistigen Trümmern?“, fragt Roberto Ciulli.

Der künstlerisch-intellektuelle Wiederaufbau Bagdads kann sich kaum auf Traditionen stützen, und wären sie noch so fern. Dscha’far as-Sa’adi erklärt, dass es Theater im Irak überhaupt erst seit den Zwanzigerjahren gab. Die Entwicklungszeit war unglaublich kurz – so lang wie bald darauf die über dreißigjährige Tyrannei der Baath-Partei und Saddam Husseins. Die Diktatur hat allerdings Theater gebaut und finanziert: reine Unterhaltungsbühnen und Staatskunstapparate. Noch ein Jahr vor dem Krieg hatte ein patriotisches Rührstück aus Saddams Feder Premiere in Bagdad, mit drei Regisseuren. Und noch heute sprechen die in Berlin versammelten irakischen Theatermänner mit Stolz und Trotz von einer Brecht-Aufführung („Der gute Mensch von Sezuan“), die im Jahre 1985 gemeinsam von mehreren privaten Theatergruppen gestemmt wurde. Viel mehr gab es nicht. Hinzu kam das zehnjährige Embargo. Und dann der Krieg. Man wisse, sagt Muhieddin Zangene, Dramaturg und Autor aus Bagdad, dass Bibliotheken und Theater auf Befehl Saddams zerstört wurden. Eine gezielte Gewalttat gegen das eigene Volk, die an die Nazis erinnere.

Das Theater als Spiegel: Es gibt kaum junge, qualifizierte Theaterleute im Irak. Das gilt eben auch für andere Bereiche, die man vielleicht als wichtiger und dringlicher empfindet als die Schauspielkunst.

Die Männer auf dem Podium kennen sich. Kennen sich lange schon: unter Umständen, die wiederum viel erzählen über die Lage der Menschen in Bagdad. Die jüngeren Männer sind Exil-Iraker, die älteren, die ausgeharrt haben, ihre Kollegen von einst: ihre Lehrer. Sie hatten mit dem Rest- und Alibi-Theater, das es unter Saddam gab, nichts zu tun. Sie sind und waren, soweit man das in einer Diktatur sagen kann, unabhängige Künstler. Sie waren zum Schweigen verdammt. Oder zur Flucht. Immer wieder hört man das an diesem Abend: Es existiert momentan keine Infrastruktur, die das Zustandekommen einer halbwegs anständigen Theateraufführung gestattet. So formuliert es Adel Jorgis, Intendant des privaten „Theater heute“. Allen ist klar, dass ausländische Hilfe Not tut. Aber es gibt noch keine konkreten, koordinierten Initiativen. Nach Bagdad auf Gastspielreise zu gehen, ist derzeit nicht zu verantworten.

Und: Was soll man schreiben, inszenieren, spielen, wenn es wieder möglich ist? Der Ältestenrat ahnt: Es werden wohl Klassiker sein, arabische und Shakespeare zum Beispiel. Und Stücke, die lange Zeit verboten waren. Wenn das Publikum sie sehen will. Und: Die Themen der Exilanten und die Themen derer, die im Land geblieben sind, werden nicht dieselben sein. Die westliche Moderne: komplett nachzuholen.

Der Regisseur und Theaterwissenschaftler Awni Karoumi lebt seit Jahren in Berlin. Er hat maßgeblich das „Manifest“ mit verfasst, das diesem ersten offiziellen Treffen irakischer Theaterleute entsprang. Es liest sich, als müssten es viele unterschreiben, Hilfsorganisationen, neue Parteien, Wirtschaftsleute, religiöse Führer. Da steht: „Verbreitung einer Kultur der Liebe, Güte und Freiheit, Unterstützung des Selbstbewusstseins des irakischen Menschen, Verkündung von Vergebung, Toleranz und Dialog, Bestätigung der Achtung des Staates, seiner Gesetze und Verfassung“. Das ist mehr als eine Vision. Das ist ein Spielplan für die ganze Menschheit.

Ein deprimierender Abend im Haus der Kulturen. Aber nicht ohne Hoffnung.

Rüdiger Schaper

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