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Kultur: Wunderbare Sachen sind einfach zu machen

Simon Rattle, die Berliner Philharmoniker und Nikolaus Lehnhoff triumphieren bei den Salzburger Osterfestspielen mit einem fein gewobenen „Fidelio“

Von Sybill Mahlke

Das Ideendrama steht von Anfang an unter dem Zeichen „Mir ist so wunderbar“. Wenn das Mädchen Marzelline mit diesen Worten und Tönen den Quartettkanon intoniert, der in Beethovens „Fidelio“ vier Menschen in die gleiche thematische Form bindet, dann verschwinden die Katastrophen der Handlung wie hinter einem Schleier: Jaquino liebt Marzelline, Marzelline liebt Fidelio (also die als Mann verkleidete Leonore), Leonore liebt Florestan.

Die Rührung, die von Beethovens Musik vermittelt wird, dringt aus dem Kerker eines Unrechtsstaates: „Vier Stimmen bauen ihr pures Innen auf“, sagt Ernst Bloch; ein „Wunderbar“ auf lauter Dunkelheit. Die Singspiel-Idylle, die von den familiären Verhältnissen um den angepassten Kerkermeister Rocco und seine Tochter Marzelline ausgeht, verbindet sich mit der Utopie, mit der Figur Leonore/Florestan, in der Gattenliebe und Freiheit identisch werden. Dass die Rettung aber aus einem Trompetensignal und der märchenhaften Erscheinung eines Ministers hervorgeht, den „des besten Königs Wink und Wille“ schickt, führt das Drama politischer Gefangenschaft in das Opernreich des Wunderbaren zurück.

Nikolaus Lehnhoffs Salzburger „Fidelio“-Inszenierung ist von diesem Finale her zu sehen, ohne dass die Bedrohung, von der das Werk handelt, aufgehoben würde. „Wie groß ist die Gefahr“, so lauten die ersten Worte der Leonore, die das eigene Leben riskiert, weil sie die Pflicht zu treuer Liebe fühlt. Leonore bleibt als Ideenträgerin unerotisch. Daher ist es ihr gegeben, Marzelline ein Gefühl vorzutäuschen, dass ihrer eigenen Vision von Ehe nicht unähnlich ist. Wenn sie also das in sie verliebte Mädchen in die Arme nimmt, so streichelt sie ihre eigene Empfindung, ihre Hoffnung.

Dies gehört zu den Details, die Lehnhoffs Personenführung in vielen Momenten spannend machen. Von ihm ist Revolutionäres à la Neuenfels oder Konwitschny und das, was diese Zauberkünstler der Regie anstoßen, nicht zu erwarten. Der neue „Fidelio“ der Salzburger Osterfestspiele aber ist bewegendes Theater, ohne dass darin ein Wort gesprochen würde: Der unvertonte Text findet nicht statt. Es zeigt sich, dass diese Auslassung der Libretto-Dialoge der Einheit des Ganzen nicht schadet. Anders als Mozart, dessen „Entführung“ ohne die Sprachpassagen kürzlich in München missglückte, weil das Spiel der Handlung verloren ging, schreibt Beethoven im „Fidelio“ Zustands-Szenen, die aus idealisierender Klangvorstellung kommen. Auch der Gefangenenchor ist ein solches Zustandsstück, und wer es hört, wird sich sicher sein, dass alle Eingekerkerten unschuldig sind.

Eine steile Falltreppe führt, magisch beleuchtet, in die Tiefe: Auf ihr kommen die Darsteller stumm herab, während die Musik schweigt. Raimund Bauer hat einen futuristischen Eisenbunker entworfen, dessen dicken Stahlmauern keiner entkommt. Gebrauchte Schuhe, Metapher für die Hinterlassenschaften von Häftlingen, bedecken den Bühnenboden. Marzelline, in hellem Rosé mit roten Pumps, der einzige intensive Farbfleck im Grau-Schwarz der Kostüme (Anna Eiermann) und der Bühne, bewegt sich zwischen ihnen mit kindlicher Unschuld.

Zu bewundern ist, wie der Regisseur Marzellines Arie mit Leben erfüllt, wie er sie auf einem Container liegend „ruhen“ lässt und die Arme ausbreiten, wo es ihrer Naivität um „Hoffnung“ und „Lust“ geht. Der Vater Rocco lobt das Gold und die finanzielle Sicherheit, indem er der Tochter eines seiner Geschmeide um den Hals legt, als Brautschmuck. Das häusliche Glück, das der Kerkermeister anstrebt, wird nicht ins Lächerliche gezogen. Um so größer sein Schreck, als der Gouverneur, den er mit Ehrfurcht empfängt, ihm einen Orden verleiht, um ihn zum Mord zu motivieren: „Dem Staate liegt daran.“

Alle Geretteten scheinen zunächst unter Schock zu stehen: Leonore, wenn sie sich in „namenloser Freude“ auf das Lager Florestans flüchtet, des in einer grotesken Zwangsjacke Gefesselten, ohne die erste Annäherung zu wagen, wenn sie sich vor allem Volk bis auf den Unterrock entkleidet, um ihre Kostümierung als Fidelio abzulegen. Ähnlich Pizarro, der Schreibtischtäter, wenn er sich zum Gebet des Chores „gerecht, oh Gott, ist dein Gericht“ in die Knie zwingen lässt. Schockiert nicht zuletzt die Gefangenen: Barfuß, zur Namen- und Gesichtslosigkeit gezwungen, aus der sie sich erst lösen, wenn Don Fernando sie Brüder nennt. Die sensible Regie lässt den kleinwüchsigen Sänger Thomas Quasthoff in der Rolle des Ministers aus dem Kollektiv der Ärmsten hervortreten: der introvertierte Held des Abends mit seinem Debüt als Darsteller auf einer Opernbühne, der seinem lyrischen Ton in Zukunft getrost noch mehr Theater gönnen dürfte.

Bewundernswert ist auch der Ensemblegeist dieser Aufführung, die von Angela Denoke (Leonore), Jon Villars (Florestan), Alan Held (Pizarro), Laszlo Polgár (Rocco), Juliane Banse (Marzelline) und Rainer Trost (Jaquino) mit höchster Hingabe getragen wird. Dabei gelangen Denoke und Villars an stimmliche Grenzen, die der existenziellen Wahrheit ihrer dramatischen Situation entsprechen.

1967 von Herbert von Karajan gegründet, bleiben die Salzburger Osterfestspiele auch unter der neuen musikalischen Leitung von Simon Rattle ein Angebot für finanziell Bessergestellte. Dem Publikum ist wie nirgends anderswo anzusehen, dass es sich um einen elitären Kreis von Opernfreunden handelt. Die Berliner Philharmoniker aber wissen, was sie dem „Wunderbar“ des Beethovenschen Werkes schuldig sind. Zwischen Allegro und Adagio der Ouvertüre trägt Simon Rattle die Innenspannung über lange Pausen hinweg, die Hörner und Oboen entfalten ihre Lieblichkeit wie später im schnellen Teil der Arie, den Florestan „in einer an Wahnsinn grenzenden, doch ruhigen Begeisterung“ zu singen hat.

Aus ungewohnter Stille tauchen die Musiknummern ohne Zwischentexte auf, um ihre Emotionen zu entfalten, in der moderaten Bewegung des Terzetts „Euch werde Lohn“ oder dem Allegro des Quartetts, das Pizarro mit seiner Racheglut eröffnet, Leonores Selbstoffenbarung als Höhepunkt des Dramas provozierend: Das Orchester mit dem Pulsschlag der Musik ist der eigentliche Deuter der Handlung.

An Lehnhoffs Personenregie aber ist zu erfahren, wie aus scheinbar kleinen Dingen sich eine schöne und wunderbar schlüssige Inszenierung entfalten kann.

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