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Young Euro Classic: Beine machen

Bei Young Euro Classic sind die besten und fröhlichsten Jugendorchester der Welt zu Gast. Jetzt ist Halbzeit, bevor es in einem Monat im Admiralspalast weitergeht.

Scharoun hätte seine Freude gehabt. Eigentlich wird seine Philharmonie viel zu selten ihrer wahren Bestimmung zugeführt, als in alle Richtungen offenes Konzerthaus, in dem jedwede Musik nach ihrer Façon erklingt und sich in Bewegung setzt: Hinein in die Weinbergsarchitektur des großen Saals, hinauf unters Zeltdach und weiter im Takt, flugs die Treppen hinunter, bis ins Foyer. Raus aus den heiligen Hallen, Freiheit für die Töne!

„Jetzt zeigen wir Euch, wie Südafrikaner einen Abgang machen“, ruft der Saxofonist, Komponist und Dirigent Tshepo Tsotetsi, hebt den Taktstock – und während die Bläser nicht aufhören, die Philharmonie zum Dancefloor zu erklären, verlassen die Streicher des MIAGI Youth Orchestra und des New Skool Orchestra den Saal. Musizierend, versteht sich; dem heimwärts strebenden Konzertbesucher soll weiter aufgespielt werden, unten vor der Foyer-Bar. Nach dem Motto, bevor Euch die Ohrwürmer plagen (zum Beispiel die bei Hochzeiten beliebte Walzermelodie aus Schostakowitsch’ Suite für Jazzorchester vom Konzertbeginn), machen wir Euch Beine. Nebenbei erbringen die Südafrikaner den Beweis, dass selbst Cellisten im Stehen spielen können. Alles eine Frage des Temperaments.

Es ist Sonntagabend, bald 23 Uhr, die erste Hälfte des 2014er Young-Euro-Classic-Jahrgangs neigt sich nach fünf Konzerten dem Ende zu. Den Veranstaltern war zunächst bange. Würde das allsommerliche Jugendorchester-Festival die Umquartierung in die Philharmonie aus dem renovierungsbedingt geschlossenen Konzerthaus gut überstehen? Ein Experiment, kostspieliger als die Veranstaltungen im Stammhaus – ausgerechnet im 15. Jahr des Jugendorchester-Festivals. Würden die Ensembles aus Frankreich, Russland, Rumänien, China und Südafrika vor halb leerem Saal spielen? Der Scharoun-Bau bietet immerhin 700 Plätze mehr als das Haus am Gendarmenmarkt.

Aber Young Euro Classic ist und bleibt Kult in Berlin. Auch dieses Jahr stimmen die Blechbläser die vertrackte Festivalhymne mit variierendem Humor an (und das Nationale Jugendorchester aus Rumänien ist so verwegen, die YEC-Fanfare gleich ganz den Streichern zu überlassen). Und auch dieses Jahr spielen die Gäste vor vollen Rängen. Die Auswahl für den neuen Ort war klug zusammengestellt, stellte sie doch die immense Bandbreite der Jugendorchester erneut unter Beweis, vom musikalischen Nachwuchswunder aus Rumänien bis zur hochpolitischen GuteLaune-Attacke der Südafrikaner. Auch die Verlaufskurve war clever angelegt, von Ernst bis zu den heiteren Südafrikanern, als Cliffhanger für Teil 2 des Festivals im August im Admiralspalast.

Zum seriösen Auftakt hatte man aus Anlass von 100 Jahre Weltkrieg mit dem Orchestre des Jeunes und dem All-Russian Youth Orchestra Ensembles aus damals erzverfeindeten Ländern eingeladen. Die einen betörten mit Eleganz, die anderen mit Einfühlsamkeit. Folgten die Rumänen, der Höhepunkt der Philharmonie-Abende. Patin Jenny Schily ruft in Erinnerung, dass es sich um das beste Orchester des Landes handelt. Schon 2012, beim ersten YEC-Auftritt des Nationalen Jugendorchesters, war die Rede davon.

Und es scheint auch zu stimmen. Allein das ausdifferenzierte Klangfarbenspektrum der Musiker unter Leitung von Cristian Mandeal sucht Seinesgleichen. Diesmal haben die Rumänen unter anderem Tschaikowsky Pathétique und Ravels „Rapsodie espagnole“ mitgebracht, Richard Strauss’ Schleiertanz aus „Salome“ und als Zugabe die Tritsch-Tratsch-Polka. Allein wie Ravel aus dem Nichts herbeiweht! Die Bläsersolisten! Unverwechselbar das klare, schlanke, mal laszive, mal metallisch glänzend, immer wendige Timbre des Orchesters, das sich nicht zuletzt von der Melancholie, der Süße und dem Überschwang der Jugend nährt. Russische Seele, Wiener Schmäh, k.u.k.-Tradition – man kann förmlich hören, wo Rumänien auf der Musiklandkarte verortet ist.

Young Euro Classic bekennt sich zu einem erweiterten Musikbegriff, der den Klassikbetrieb gleichsam von innen aufbricht. Hier die Weltklasse der Philharmoniker, dort die Blockbuster-Stars oder Jazzformationen, im Scharounbau findet das sonst getrennt voneinander statt. Beim Sommerfestival fallen die Schranken.

Etwa, wenn das Orchester des Zentralkonservatoriums Peking – das Chinas musikalische Jugendelite versammelt – vor Beethovens 3. Klavierkonzert und Richard Strauss’ schwergewichtigem „Heldenleben“ für den humoresken Höhepunkt der ersten Festivalhälfte sorgt. Mit Tan Duns „Symphonic Poem On Three Notes“, einem Geburtstaggeschenk für Placido Domingo, das frei nach dem Vornamen des Tenors auf den drei Tönen A-H-C (La-Si-Do) basiert. Die Geigen quietschen wie Gummireifen, die Bläser pusten in ihre Mundstücke, Autofelgen mutieren zu symphonischem Schlagwerk, es wird gesungen, geraunt, gestampft. Die hoch disziplinierten jungen Chinesen lassen sich vom Elan ihres Dirigenten Yongyan Hu anstecken – um gleich darauf einen makellosen Beethoven im Geiste Mozarts und einen kraftvollen Strauss zu präsentieren. Pathos liegt ihnen. Wenn es persönlich wird, solistisch oder kammermusikalisch, trauen sie sich nicht aus der Reserve.

Beim anschließenden Publikumsfest am Samstag sind die Südafrikaner schon da. Jubeln den Chinesen zu, versammeln sich zur Blitz-Jamsession auf der Treppe. Rhythm is it!, samt interkontinentaler Verbrüderung fürs Handyfoto. Am nächsten Tag rocken die Afrikaner auch den Saal, mit einer wilden, wenn auch recht gefällig arrangierten Mischung aus Jazz, Filmmusik, Minimal Music, Kwaito und anderen afrikanischen Musikstilen. Jeder Schluss ein Peitschenhieb, aber dann geht es immer noch weiter. Diese Musik hört nie auf. Wie gesagt, im August frönt Young Euro Classic vor allem der leichteren Muse.

Infos und Tickets für Young Euro Classic vom 8. - 17. 8. im Admiralspalast: www.young-euro-classic.de

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