zum Hauptinhalt
In Aktion: Dirigent Kirill Karabits und das I, Culture Orchestra.

© Kai Bienert

Young Euro Classic: I, Culture Orchestra: Und ewig lockt die armenische Kurzoboe

Das I, Culture Orchestra gibt sein Debüt bei Young Euro Classic. Die Musiker aus Osteuropa setzen sich über politische Implikationen hinweg und sorgen mit ihrer Stückeauswahl für lohnende Entdeckungen.

Ein unpassenderes Stück, so könnte man meinen, hätte sich das I, Culture Orchestra wohl kaum für sein Debüt beim Young Euro Classic Festival aussuchen können: Schließlich feiert Leoš Janámeks 1918 entstandene Rhapsodie „Taras Bulba“ eine Heldengestalt, die es sich so ziemlich mit allen Volksgruppen, Religionsrichtungen und politischen Gruppierungen unter den aus der Ukraine, Polen, Moldau, Georgien, Weißrussland, Aserbaidschan und Armenien stammenden Musikern verdirbt: Taras Bulba, der eine auf verschiedenen historischen Gestalten zurückgehende Erfindung des russischen Dichters Nikolai Gogol ist, kämpft nämlich ebenso gegen die katholischen Polen wie gegen den muslimischen Sultan, um schließlich auf dem Scheiterhaufen seine Vision eines von den Kosaken angeführten großrussischen Reiches in die Welt hinauszuposaunen.

Aber genau dieses Wissen um die Hintergründe verdoppelt noch einmal das Vergnügen, mitzuerleben, wie selbstverständlich sich die jungen Musiker über alle politischen Implikationen hinwegsetzen und das Stück als das begreifen, was ihm sein Überleben gesichert hat – nämlich als spannende, gut gemachte Musik, in der sich starke emotionale Konflikte in eindrucksvoller Weise zu einem gemeinsamen hymnischen Schluss auflösen. Um damit glaubhaft zu wirken, bedarf es weniger Gesinnung als Handwerk. Und darüber verfügt das von Kirill Karabits geleitete Ensemble in jedem Fall. Besonders überzeugt das Orchester mit dem homogenen, stets sauberen und warmen Klang jeder seiner Stimmgruppen. Auch einzelnen Solisten wie dem Englischhorn gelingen ausdrucksvolle, innige Passagen. Bisweilen würde man Karabits Musikern jedoch noch ein wenig mehr Mut zu rhythmischer Zuspitzung wünschen.

Dramatische Soli der Duduik-Solisten

Dies gilt sogar für die 1975 entstandene dritte Symphonie des armenischen Komponisten Avet Terterian – ein halbstündiges auskomponiertes Requiem für den Bruder des Komponisten, das mit einer sehr ausgedehnten Solopassage der Schlagzeuger beginnt. Diese gestalten die Musiker sehr präzise und energiegeladen, doch es fehlt noch das letzte Quäntchen Wut und Verzweiflung, das die Passage nach einem in seiner Trauer gegen Stühle, Wände und Türen hämmernden Menschen klingen lassen könnte. Eine lohnende Entdeckung für das deutsche Publikum bleibt das fast lakonisch aus verschiedenen lose verbundenen Ideen zusammengesetzte Stück allemal: Faszinierend sind die flüsternden Passagen der gedämpften Posaunen, die fast physisch spürbaren Windgeräusche der Streicher und erst recht die dramatischen Klagen, welche die beiden hervorragenden Duduk-Solisten auf ihren traditionellen armenischen Kurzoboen ausstoßen.

Grenzbereich zwischen Lust und Humor

Ein wenig in den Hintergrund tritt das Orchester dann beim Auftritt des Pianisten Alexander Gawrylyuk: Elektrisiert über den Flügel gebeugt, so dass die Nasenspitze oft dicht über den Tasten schwebt, legt der Ukrainer im Konzertsaal ein beeindruckendes Plädoyer für Sergej Rachmaninows „Rhapsodie über ein Thema von Paganini“ hin: Fast etwas Trickfilmhaftes hat es, wenn sich seine beiden Hände energiegeladen, einander ständig überkreuzend, in verblüffender Geschwindigkeit wie Tom und Jerry gegenseitig über die Tasten jagen. Trotzdem hat sein Spiel bei allem Zirzensischen und allen genau gesetzten Pointen, mit denen er das Publikum wiederholt zum kurzen Auflachen oder Grinsen bringt, nichts Oberflächliches. Sondern überzeugt auch als intelligenter Essay über den spannenden Grenzbereich von Lust und Humor.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false