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Kultur: Zappelphilipps Zapping-Zirkus - Veranstaltung an der Berliner Volksbühne zieht eine Strafanzeige nach sich

"Drei, zwo, eins, ab!" Schlingensief schreitet die Treppe herunter, lässig wie ein Rudi Carell.

"Drei, zwo, eins, ab!" Schlingensief schreitet die Treppe herunter, lässig wie ein Rudi Carell. Dazu orgelt showgerechter Happy-Sound. Das Publikum tröpfelt derweil langsam auf die Plätze. "Hat das jetzt schon angefangen?", fragt einer. Vielleicht hat das Stück auch draußen begonnen, wo Mannschaftswagen der Polizei als willkommene Requisiten herumstehen. Christoph Schlingensief hat - nach dem Start in Hamburg (vgl. Tsp vom 5. 10.) - zum "2. Internationalen Kameradschaftsabend" mit echten Rechtsradikalen geladen. Weil nebenan im "Grünen Salon" aber eine Talkshow mit jüdischen Gästen läuft, sei man "präventiv vor Ort", erklärt ein Polizist.

Drinnen verheißt "Schlinge": "Jeder nur eine Minute!" Alexander Kluge wird nun unablässig Interviews führen, für die Fernsehausstrahlung am 10. Dezember auf Vox. Die Akteure dürfen alle mal was in die Kamera sagen, aber eben nur eine Minute lang, dann schlägt unerbittlich der Gong. Zwischendurch sind sie hinter der Bühne "im Lager". Das sei "der prototypische Aufenthaltsort des zukünftigen Menschen", heißt es. Später wird auch das Publikum ins "Lager" hinüberwechseln. Vorher aber spielen die Gäste sich selber. Molly Luft, die Hure mit den "dicksten Titten Berlins", darf sich ein wenig ausziehen, ein studiogebräunter Stripper auch.

Striptease scheint das heimliche Motto des Abends. Ein älterer Herr erzählt, dass er eine Broschüre gegen die Wehrmachtsausstellung verfasst hat, und erntet dafür ein Pfeifkonzert. Benjamin von Stuckrad-Barre spielt lasziv mit einer Plastikblume und liest aus der "Super-Illu" vor. Nur Rainer Langhans sagt gar nichts, obwohl das Publikum brüllt: "Rainer, sag mal was!" Dann die Neu-Rechten: Bernd Rabehl versteht man unter den einsetzenden Buhrufen kaum, Horst Mahler setzt Imperative: "Wacht auf! Die Wirklichkeit ist anders!" Ein Meir-Mendelssohn-Schauspieler, der mal behauptet und mal leugnet, der echte Schänder des Bubis-Grabs zu sein, fordert erfolglos auf, ihm das Unwort "Saujude" nachzusprechen.

Alles verläuft im Grunde absolut vorhersehbar, nur vermag der wohlinszenierte Skandal nicht zu zünden, weil er zu sehr gewollt ist. Irgendwann, Regine Hildebrandt spricht gerade von Brandenburg und Rüdiger Nehberg kündigt gleichzeitig eine Naturschutz-Aktion an, liegt über der Bühne die Projektion eines Fernsehbildes. Da möchte man die versammelten Medienzombies am liebsten ausschalten, aber Schlingensief zappt gnadenlos weiter im Minutentakt. Das ist es, was dieses Theater von der permanenten Talkshow unterscheidet: Man kann es nicht abschalten.

Das Schweigen des Ex-Kommunarden wird da zum lautesten Moment, das bloße Nichts-Sagen zum Akt der Verweigerung: So konservativ ist das Theater des Christoph Schlingensief inzwischen geworden. Die Jüdische Gemeinde zu Berlin hat nach dem Abend übrigens gegen Schlingensief und Kluge Strafanzeige erstattet. Nach Angaben des Gemeindevorsitzenden Andreas Nachama muss die Staatsanwaltschaft nun prüfen, welcher Straftatbestand vorliegt: "Es wird wohl auf Volksverhetzung hinauslaufen."

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