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Kultur: Zeit der Zärtlichkeit

Setz deine Fahnen auf Halbmast, Erinnerung. Auf Halbmast für heute und immer.

Setz deine Fahnen auf Halbmast, Erinnerung. Auf Halbmast für heute und immer.Mit Worten von Paul Celan endet Luciano Berios neue Oper, so wie sie mit Celan-Worten begonnen hatte. Ganz sacht verlischt dann das Bühnenlicht, Nacht senkt sich über den Chor. Ein neues Musiktheater der Zärtlichkeit ist an diesem Abend geboren worden, und der Applaus des Salzburger Premierenpublikums ist mehr als höflich."Die Melodie ist das, was immer vermißt wird", hat der Komponist Hanns Eisler einmal das Hauptproblem des Publikums mit der zeitgenössischen Musik definiert. Luciano Berio, der große italienische Klangtheatermann, statt sein jüngstes Werk mit dem Maximum an Melodie aus, die einem Musiktheater möglich ist, das nicht rückwärts, sondern in die Zukunft schaut. Wie feiner Sprühregen, der nach einem heißen Sommertag die erhitzte Haut kühlt, trifft diese Musik auf das Ohr des Zuhörers - als etwas Fremdes, in Kunstwelten Geborenes, das doch so alt und so vertraut klingt.Ein Trompetenstoß, ähnlich dem Klang einer Flöte, ähnlich der Stimme, dem Brausen des Windes.Die kompositorischen Kopfgeburten der Serialisten, die auf synthetische Systeme vertrauen statt auf die Sinnlichkeit des Klangs, waren dem Italiener Luciano Berio immer zuwider. Stattdessen interessierte sich der 1925 in Ligurien geborene Organistensohn von Beginn an für die Ausdrucksmöglichkeiten natürlicher Klangerzeuger, für die menschliche Stimme, den unentdeckten Tonvorrat der Instrumente, die Geräusche der Natur. Das Lebendige war seine Sache immer, auch wenn er gleichzeitig das Wort in den Mittelpunkt seiner kompositorischen Arbeit rückte. Elementares wie Lachen, Schreien, Weinen wird bei Berio zum Stilmittel - mit dem Ziel, Natur und Kunst in der Musik zusammenzuführen.Darum summen und flüstern, zwischen, rufen und singen die Choristen in "Cronaca del Luogo" auch mal mit, mal ohne Worte, darum dominieren die Holzbläser - die nächsten Verwandten der menschlichen Stimme unter den Instrumenten - das Orchester. Sechs Flöten, sieben Klarinetten, vier Saxophone stehen in dem 50köpfigen Ensemble nur zehn Geigen gegenüber. Sie treten solistisch hervor oder verbinden sich zu fein ausbalancierten Mischungen. Dann wieder erklingen helle Glockenklänge gemeinsam mit zarten Tuba-Tönen, hohe Streicher mit leisen Bongos. Berios Musik atmet, lebt, bleibt stetig in Bewegung, auch wenn selten klare Rhythmen den Klang modellieren. Für neunzig Minuten war am Sonnabend in Salzburg die laute, schnelle Welt da draußen vergessen, als Berio auf seine Archipel der abschattierten Töne und leisen Farben lockte. Die Mauern überwachen uns stumm. Die Steine auf den Straßen erzählen keine Lügen."Cronaca de Luogo" ist nicht nur die erste Uraufführung bei einer Salzburger Festspieleröffnung, sondern auch dem Ort der Uraufführung - der legendären "Felsenreitschule" auf den steinernen Leib geschrieben. 1698 schlugen die Salzburger drei säulengeschmückte Logenreihen in die östliche Steilwand des Mönchbergs, um dem Publikum eine bessere Sicht auf die dort ebenerdig veranstalteten Pferdespektakel zu ermöglichen. Als die Salzburger Festspiele Anfang der zwanziger Jahre in dem benachbarten Festspielhaus ihre Heimstatt fanden, verwandelte Max Reinhardt die Reitschule dann in ein Schauspieltheater, in dem die Zuschauer nun von unten auf die 25 Meter hohe, 40 Meter breite Felswand mit ihren Arkaden blicken. 1948 nutzte Karajan das einmalige Ambiente dann erstmals auch für eine Opernaufführung.Der Ort, dessen Chronik Berio in seinem neuen Opernprojekt erzählt, ist eben diese Felswand. Oder besser gesagt: Die Wand erzählt ihre Geschichte selber. Denn hinter den mit Gaze verhängten Logenbögen spielen und singen unsichtbar die hervorragenden Instrumentalisten vom Klangforum Wien und die Sänger des Arnold Schönberg Chores. Von Sylvain Cambreling mit beeindruckender dirigentischer Meisterschaft und enormer Klangsensiblität koordiniert und von modernster Technik unterstützt, erwacht die wand zu klingendem Leben, kommentiert und unterstützt die Handlung, die unten auf der kahlen, "Piazza" genannten Spielfläche nicht stattfindet. Denn Berios Opern haben keine Handlung: Der Komponist will nicht Storys erzählen, sondern ein Theater der Klänge schaffen, in dessen Labyrinth sich der Zuhörer seine Geschichten selbst sucht. Darum hat ihm seine Frau Talia Pecke Berio für "Cronaca del Luogo" aus Bibeltexten, apokryphen und rabbinischen Schriften wie Versen von Celan und Marina Zwetajewa ein Libretto kompiliert, das sich über sechs Stationen zu einem monumentalen Gedicht weitet. Jemand streift durch den Wald der Namen.Zwei Szenen spielen auf bekannte Topoi an - die Belagerung Jerichos, den Turmbau zu Babel -, einige Namen lösen Wiedererkennungseffekte aus, und doch geht es Talia Pecker nicht allein um jüdische Geschichte, sondern um den "Besuch mentaler Orte und Stationen". Ernst und erhaben liest sich das Libretto mit seiner archaischen Sprache und seinen verwirrend schönen Bildern - doch auf der Bühne verging bei der Uraufführung der Text im Klang, war selbst für Zuhörer mit fundierten Italienischkenntnissen kaum ein Wort zu verstehen. Das hätte nicht zwangsläufig ein Manko sein müssen, wenn der Regisseur der Uraufführung sich ganz auf die Kraft poetischer Musiksprache Berios verlassen hätte. Dann wäre vielleicht eine zaubrische Pantomime, ein schwebendes Spiel wortloser Melismen entstanden, in dem die Töne ganz und gar die Botschaft der Buchstaben verkünden.Doch nicht Achim Freyer hatte der Salzburger Festspielchef Gerard Mortier mit der Inszenierung betraut, sondern den jungen Regisseur Claus Guth, der ihm so vielversprechend erscheint, daß er bereits jetzt schon für den kommenden Festspielsommer wieder eine Neuproduktion mit dem 35jährigen ankündigte: Glucks "Iphigenie en Tauride". Obwohl sich Guth bislang vor allem zeitgenössisches Musiktheater in Szene gesetzt hat, schien ihm das Libretto der "Cronaca" genauso rätselhaft geblieben zu sein wie dem Rezensenten. Dennoch ließ er sich nicht von der Schwerelosigkeit der Textcollage zur freien Assoziation verführen, sondern versuchte, Worten wie Regieanweisungen konkretistisch zu bebildern. Doch dabei zerbröselte die einheitliche Atmosphäre leider in viele Einzelbilder: Neben starken Momenten der Ruhe, etwa wenn Hildegard Behrens in der Rolle der Einnerungs-Erzählerin "R" neben einem Steinhaufen kauert, während die Wand in ihrem Rüêken mit tausend unsichtbaren Stimmen Undeutliches murmelt, flüchtete sich Guth immer wieder ins commediahaft Groteske, überzeichnete die Figuren wie den General (Frode Olsen) oder Nino (auch vokal zu zappelig: der Stimmakrobat David Moss) und verordnete dem Bühnenchor monotone Gruppenchoreographien à la Einar Schleef. Selbst die Querverweise auf den Holocaust erhielten keine szenische Kraft, weil sie entweder zu nebenbei gespielt wurden (wie der an KZ-Bilder gemahnende Kleiderhaufen am Bühnenrand) oder einfach handwerklich ungenügend gearbeitet waren (wie die Menschen-Vermessung mit faschistoid brüllenden Ärzten). Und noch eins hatte der Regisseur vor lauter Detailpusseligkeit vergessen. Die Wand der Felsenreitschule in seine Inszenierung mit einzubeziehen. Deshalb sprach sie dann eben für sich selber: Wecke Fragen auf in der Nacht, keiner erwidert im nächtlichen Winde. Dann kommt das Feuer und nach dem Feuer die Stimme eines langen Schweigens.

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