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Boris Pahor wurde 1913 geboren und war als politischer Häftling in den KZs der Nazis.

© picture alliance / dpa

Boris Pahor im Literaturhaus: Zeuge des Schreckens

Erzählen gegen das Vergessen, ohne Umschweife, ohne Unterbrechung: Der 103-jährige slowenische Schriftsteller und Lager-Überlebende Boris Pahor im Literaturhaus.

Der Mann legt auch mit 103 Jahren noch Zeugnis von den Schrecken des kurzen 20. Jahrhunderts ab. Als Boris Pahor, einer der wichtigsten Schriftsteller Sloweniens, sich am vergangenen Samstagabend auf die Bühne des Berliner Literaturhauses manövriert, geht er über die andächtige Spannung des Publikums hinweg. Er nimmt einen Schluck von seinem Espresso, ruft auf Deutsch „Schönen guten Abend!“ und beginnt ohne Umschweife zu erzählen. Er sagt, was er will und was er sagen muss, solange er noch kann.

1913 wurde er im damals österreichisch-ungarischen Triest geboren, wo er heute noch im Vorort Prosecco lebt. Nach dem Ersten Weltkrieg fielen die Stadt und ihr Hinterland bis zu den Julischen Alpen Italien zu. Pahors Jugendjahre waren von der faschistischen „Italianisierung“ der 1920er Jahre geprägt: Die slowenische Sprache und Kultur wurden verboten, Terrorisierung und Vertreibung der slowenischstämmigen Bevölkerung folgten. Auf diesen Aspekt kommt Pahor in seinem Werk und bei dieser Veranstaltung des Festivals „Stadt Land Buch“ immer wieder mit Nachdruck zurück. Und auf die Lager: Als Pahor 1943 aus Padua, wo er italienische Literatur studiert hatte, nach Triest zurückkehrte, blieb ihm kaum Zeit, sich der slowenischen Befreiungsfront anzuschließen, so schnell wurde er er als „Politischer“ deportiert: Er überlebte Dachau, Natzweiler und Dora-Mittelbau. 1945 wurde er in Bergen-Belsen befreit.

Anschreiben gegen das Vergessen

Umgehend begann er zu schreiben. Anzuschreiben gegen das Vergessen, gegen die Unsagbarkeit, gegen den Widerstand des menschlichen Bewusstseins, das Grauen zu erfassen. 1967 erschien „Nekropolis“, sein bis heute wichtigstes Werk im Original: Ein ehemaliger Häftling besucht ein Konzentrationslager nach vielen Jahren als Tourist. Er arbeitet sich durch die Schichten der Erinnerung, um die Geschichten auszugraben, die nicht vergessen werden dürfen. Doch setzt die Erzählung immer wieder neu auf der Ebene der Gegenwart an, in der die Lager-Erfahrung schon ins Unbegreifliche gerückt ist.

Der Moderator des Abends, der Berliner Altphilologe Thomas Poiss, betont, aus der Einsicht in die Schwäche des menschlichen Bewusstseins, habe Pahor eine Poetik entwickelt, die sich immer wieder von der „Inkommensurabilität“ der Erfahrung abstoße. Wofür Pahor hingegen kein Verständnis zeigt, ist die Tatsache, dass die Erzählung „Nekropolis“ gerade erst wieder im Taschenbuch neu aufgelegt wurde. Nach dem Erscheinen der Übersetzung im Berlin Verlag 2001 war sie lange vergriffen. Außerdem sind auf Deutsch im Klagenfurter Kitab Verlag noch vier weitere von Pahors Büchern erschienen.

Auch an diesem Abend in Berlin beweist Boris Pahor, dass er ein streitbarer Zeitgenosse ist. Und dass er nicht gerne unterbrochen wird. Die musikalischen Intermezzi des slowenischen Trios, die den Abend abrunden, nimmt er unwillig hin. Poiss, der Pahor seit Jahren kennt, hat wohl geahnt, was kommt. Er lächelt freundlich, während Pahor vorträgt. Beharrlich und mit einer Ausdauer, die die des Publikums bei weitem übersteigt. Einmal versucht ihn Poiss mit einem „Boris, wir werden davon sprechen“ zu unterbrechen. Keine Frage, wer hier der Zähere ist.

Boris Pahor: Nekropolis. Erzählung. Aus dem Slowenischen von Mirella Urdih-Merkù. Berlin Verlag, Berlin 2016. 280 S., 12,99 €.

Carolin Haentjes

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