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Kultur: Zivildienst: No, Sir!

Wenn Sebastian Müller den Kriegsdienst verweigern will, braucht er einfach nur ein Formular aus dem Internet herunterzuladen. Diese Möglichkeit steht auch den anderen, knapp 175 000 Männern frei, die jedes Jahr "No, Sir!

Wenn Sebastian Müller den Kriegsdienst verweigern will, braucht er einfach nur ein Formular aus dem Internet herunterzuladen. Diese Möglichkeit steht auch den anderen, knapp 175 000 Männern frei, die jedes Jahr "No, Sir!" sagen, wenn sie zum Dienst in die Kaserne gerufen werden. Sie brauchen dann nur den Namen Sebastian Müller zu überschreiben - in jenem praktischen Text, den die Deutsche Friedensgesellschaft vorbereitet hat.

Jahrhunderte zurück liegt scheinbar die Zeit, als Verweigerer noch gezwungen wurden, in einer grotesken mündlichen Verhandlung ihre "Gewissensentscheidung" zu begründen. Wie ein Gewissen tickte: Das wussten damals besonders jene Bundeswehr-Juristen, die in den berüchtigten Kommissionen saßen und Fragen stellten wie: "Sie gehen im Wald spazieren, da kommt eine Horde Russen und will ihre Freundin vergewaltigen - wie verhalten Sie sich?

In dieser Verhandlung musste man bestehen, und der Trick lautete: Notwehr ist erlaubt, Nothilfe nicht. Also etwa so: "Herr Vorsitzender, wenn die Freunde aus dem ruhmreichen Sowjetvolk mit meiner Freundin schlafen wollen, muss ich meiner Freundin die Entscheidung überlassen. Aber wenn die mir selbst an die Wäsche wollen - dann knalle ich die Schweine ab."

Hat natürlich niemand gesagt. Zu groß war die Angst, in die zweite oder gar dritte Instanz zu kommen. Und bei diesem Spiel entblödeten sich die Stahlhelme nicht, einen Mann durchfallen zu lassen, der sich weigerte, seinen Führerschein abzugeben. Denn ein Auto war ein potenzielles Tötungswerkzeug. Also antwortete jeder brav nach Schema F - was im Grunde auch nichts anderes war, als einen Vordruck aus dem Internet auszufüllen. Nur die Schreibarbeit kann man sich heute sparen.

Den ersten Verweigerern wollte der Staat noch die ganz harte Kante geben. Mit Aufgaben wie der "Neulandgewinnung" oder der "Kultivierung von Ödland" - so sah es 1957 der erste Entwurf eines Ersatzdienstgesetzes vor - sollte den vaterlandslosen "Drückebergern" das Leben so schwer wie möglich gemacht werden. Heute, 40 Jahre nach Einführung des Zivildienstes, spricht die Regierung von einer "beispiellosen Erfolgsgeschichte". Denn ohne Zivis - momentan sind es etwa 130 000 - wäre das soziale System wohl längst zusammengebrochen. Hauptamtliche Pfleger in Alten,- Pflege-, und Kinderheimen sind mindestens drei Mal so teuer - und unter Umständen nicht halb so motiviert.

1985 trat der erste Zivi seinen Dienst in der "Schwarzwaldklinik" an. Seitdem fragt kaum noch jemand: "Haben Sie gedient?" Der Zivildienstleistende ist zum Normalfall, wenn nicht zur Regel geworden. Gut die Hälfte eines Jahrgangs kann sich etwas Besseres vorstellen, als beim Bund Bier zu trinken. Seit auch die Rekruten aus den Neuen Ländern über weite Strecken an ihren Einsatzort reisen, hat sich die landläufige Meinung sogar dahin gewandelt, dass der "Bundi" das Wesen ist, das am Wochenende in Zügen herumpöbelt und der "Zivi" der liebe Junge, der Oma das Essen bringt.

Nicht alle Zivis entsprechen automatisch dem Bild des sanften, neuen Mannes, dessen Ankunft auf Erden Ende der Siebziger unmittelbar bevorzustehen schien. Auch Zivis saufen, spielen Karten, fahren schweinemäßig Auto und pinkeln im Stehen. Trotzdem sind sie der Überzeugung, etwas halbwegs Sinnvolles zu tun.

Kurioserweise haben viele Zivildienstleistende im Nachhinein nicht das Gefühl, dass ihnen die Zeit gestohlen wurde. Denn trotz der Tatsache, dass der Dienst nicht gerade freiwillig geleistet wird, hat er doch einen unabweisbaren Vorteil: Man kommt mit Lebensbereichen in Berührung, die man sonst nie kennen lernen würde. Zu sehen, wie schnell Menschen hilfebedürftig werden können und wie wichtig diese Hilfe ist - das ist eine prägende Erfahrung; nicht nur für den Arbeitersohn, sondern auch für den gut gecremten Internatsabsolventen.

Seit die Abschaffung der Wehrpflicht immer näher rückt - und damit auch die des Zivildienstes - wird allmählich klar, was das soziale Netz zu Marktbedingungen kosten würde. Und es erschallt der Ruf nach einem "sozialen Jahr". Das müssten, aus Gründen der Gerechtigkeit, dann Männer und Frauen leisten. Die Idee klingt zwar zunächst ein wenig nach "Reichsarbeitsdienst", aber diese Assoziation wäre vielleicht weniger störend als die Tatsache, dass jedes Jahr über 600 000 Menschen angelernt werden müssten - und niemand so recht wüsste, wohin mit ihnen. Es wird wohl beim sozialen Jahr auf freiwilliger Basis bleiben, das zur Zeit etwa 8000 Menschen in Deutschland leisten - überwiegend Frauen. Volkswirtschaftler nennen den Zivildienst ein "trojanisches Pferd", das einen hohen Standard im Sozialwesen etabliert hat, ohne den realen Preis dafür zu fordern. Seinen 50. Geburtstag wird der alte Gaul wohl nicht mehr erleben. Aber wir werden ihn vermissen.

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