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Kultur: Zu Hause im Büro

Arbeitsräume und Arbeitslosigkeit: Zwei Ausstellungen suchen das Soziale in der Kunst

Der beginnende Frühling kann nicht über den sozialen Frost hinwegtäuschen. Wer in Deutschland keine Arbeit hat, muss fürchten, niemals wieder in ein festes Arbeitsverhältnis zu gelangen. Wer Arbeit hat, muss Angst haben, sie zu verlieren. Die Krise dominiert den gesellschaftlichen Diskurs, sie ist tief ins Bewusstsein der Gesellschaft eingedrungen. Auch der Kunstschaffende kommt nicht umhin, sich mit der sozialen Wirklichkeit auseinander zu setzen. Erlebt die Kunst eine Hinwendung zu sozialen und politischen Themen?

Zwei Ausstellungen in Berlin geben auf diese Frage recht unterschiedliche Antworten. Die Kreuzberger Galerie NGBK hat sich in den letzten Jahren mehrfach mit dem Faktor Arbeit beschäftigt. Nun widmet man sich mit der Ausstellung „Office Hours – Strukturwandel der Arbeitswelten“ dem Büro, das die Fabrik als Arbeitsplatz der Massen abgelöst hat. Die Ausstellungsmacherinnen Annette Tietenberg und Ute Ziegler nehmen eine provokant affirmative Haltung ein. Das Büro ist bei ihnen nicht der Ort, an dem Menschen beim Verrichten sinnloser Tätigkeiten ihre körperliche und seelische Gesundheit lassen. Es geht den Kuratorinnen darum zu zeigen, was in den Büros von heute anders ist als vor zwanzig Jahren. Ute Ziegler ist auch Geschäftsführerin der „Gesellschaft für bessere Möbel“.

Die Arbeit des Berliner Künstlers Thorsten Streichardt plädiert für den spielerischen Umgang mit dem Arbeitsplatz. Streichardt hat einen Schreibtisch mit Papierbasteleien zugestellt und findet, dass es „befriedigend sein kann, wenn man einen Aktenordner zurück ins Regal stellt“. Auf die Frage, welche tatsächliche Büroerfahrung er habe, antwortet der 37-Jährige, dass seine Mutter „sehr gerne“ dort arbeite. Vielleicht arbeitet sie in einem Büro, das von Marc Krusin gestaltet wurde. Der Mailänder Designer präsentiert eine „Office-Lounge“ aus fürchterlichen Kunststoffmöbeln „zum informellen Gespräch oder Kaffeetrinken“. Die Lounge im Büro erfüllt somit genau die gleiche Funktion wie die Lounge auf einem Flughafen.

Die Kuratorinnen haben erkannt, dass die wohnlich gestaltete Arbeitswelt der Maximierung der so genannten „Office-Performance“ dient – der Anhebung der Arbeitsleistung der Angestellten. Auszusetzen sei daran nichts, denn „man kann die Büros ja nicht abschaffen, man kann sie nur verbessern“, so Ziegler. Dass ein Arbeitsplatz auch ein Ort der Entwürdigung sein kann, macht die Diaprojektion von Volker Albus deutlich. Der Professor für Produkt-Design hat Arbeitstische in Hotelzimmern rund um den Globus fotografiert. Schrecklich ist nicht nur, wie hässlich diese Arbeitsnischen gestaltet sind, sondern vor allem, dass sie überall auf der Welt nahezu identisch aussehen.

Der affirmativen Position von „Office Hours“ steht der ironische Blick des Berliner Künstlers Peter Kees entgegen. Der Sozialplastiker, wie er sich in Anlehnung an Joseph Beuys bezeichnet, hat die Installation „PSÜV Service-Point für Humankapital“ geschaffen. Er hat einen Geldautomaten aus einer Bank in einen Computerterminal verwandelt. Dort kann man mehr als hundert Fragen beantworten, bei deren Zusammenstellung Kees sich vom Hartz-IV-Fragebogen und von der Schufa-Auskunft inspirieren ließ: „Haben Sie jemals Sozialleistungen bezogen? Stehen Sie in ärztlicher Behandlung? Wie viele Kreditkarten besitzen Sie?“ Am Ende erhält man eine Punktzahl, die einen als „gesellschaftsfähig“ oder „nicht gesellschaftsfähig“ ausweist. Kees drückt einem dann den entsprechenden Stempel auf die Stirn.

Die Erkenntnis des 39-Jährigen, dass die Ökonomisierung der Lebensverhältnisse total wird, ist wenig originell. Dennoch gelingt es Kees, ihr eine anschauliche Form zu geben. Der Künstler berichtet stolz, dass bei der Eröffnung ein ehemaliger TÜV-Mitarbeiter den Test für real gehalten habe.

Sein Werk soll dazu beitragen, „dass die Menschen alternative Netzwerke bilden“. Das mag ebenso naiv sein wie der Ansatz, dass in der überspitzten Abbildung der Realität schon die Denunziation liege. Wie politisch kann Kunst überhaupt sein, die nicht im öffentlichen Raum interveniert, sondern im schützenden Hafen der Galerie stattfindet? Am Ende ist Kees’ Anspruch, mit Kunst die soziale Realität verändern zu können, ebenso überheblich wie der kühle Designerblick von „Office Hours“. Kunst ist letztendlich nur „minimale Arbeit am Zeitgeist“, wie Hans Haacke, der Meister politischer Installationskunst, es formuliert hat.

„Office-Hours“, NGBK, Oranienstr. 25, bis 25. Mai, tgl. 12 bis 18.30 Uhr. – Den „PSÜV-Test“ kann man im Atelier von Peter Kees machen. Belforter Str. 9, Prenzlauer Berg, vorher anrufen: 0170-1278136.

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