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Kultur: Zuckendes Herz

Berlin im Zeittunnel: zur Wiederaufnahme von Götz Friedrichs „Ring“ an der Deutschen Oper

Reagan regierte, in Ost und West wuchs der Atomraketenwald, und in Berlin (West) hob sich der eiserne Vorhang, um den Blick auf die Welt nach dem Atomschlag freizugeben – an der Deutschen Oper Berlin. Das „Rheingold“ hatte Premiere. Staunend blickte das Publikum in einen Tunnel, der in endlose Weiten führte. Hier ließ Götz Friedrich die Götter Richard Wagners ihrer Dämmerung zusingen wie in einer Endlosschleife. 1984 war das. Zumindest der Tunnel, von Peter Sykora entworfen, zählt seither zur Regiegeschichte des „Ring“.

Dass noch jetzt, 24 Jahre später, in diesem Tunnel gespielt wird, dass man Friedrichs Regie live erleben kann, bis zur roten Nelke im Knopfloch des Unterweltmagnaten Alberich, wäre wohl nirgendwo sonst denkbar. Es braucht eine Stadt, die sich in ihren historischen Rissen selbst da Traditionen verschafft, wo sonst unerbittlich die Mode wechselt. Wenn man bedenkt, dass eine Inszenierung schon in einer Saison Patina ansetzen kann, ist es schon fast wieder spektakulär, wenn ein 1984er „Ring“ als 46. Aufführung wiederaufgenommen wird. Oder ist es museal? Was an der Inszenierung peinlich wirkt, wurde schon damals so empfunden: Das eurythmische Gewedel der Rheintöchter zwischen wogenden Folien wird durch Gejuchze nicht besser.

Zur Personenführung liest man in den alten Regienotizen so gute Anmerkungen, menschlich neugierig, handwerklich genau, dass sie auch auf einer heutigen Probe kein bisschen angestaubt wären. Dass etwa Loge, der listige Wotanshelfer, auch mal überrascht sein und nicht alles im Griff haben sollte. Dass Freia es auch erotisch prickelnd findet, von zwei Riesen abgeschleppt zu werden. Dass Alberich nicht nur bellt und schimpft, sondern unterm Liebesverzicht leidet. Diesen Ambivalenzen ist die aktuelle Spielleitung kaum nachgegangen. Was sich an Spannung in und zwischen den Personen ergibt, bleibt dem Talent der Darsteller überlassen. So wird die Fricka von Marina Prudenskaja in graziler Strenge zu einer der auratischsten Figuren des Abends.

Stimmlich ist ihrem dunkel gefärbten, klar gefassten Mezzosopran der Gatte durchaus gewachsen, Johan Reuter ist ein profund strömender Wotan. Doch zur Persönlichkeit wird er nicht – allein gelassen im cremeweißen Achtzigerjahre-Wotansmantel mit Speer, bleibt er ein Typ ohne Entwicklung. Sein Widersacher Alberich erholt sich nur langsam vom szenisch verunglückten Anfang. Da muss Oleg Bryjak als krabbelnder Taucher die Rheintöchter betatschen (unter denen Ulrike Helzels Wellgunde durch Textdeutlichkeit und Flexibilität auffällt), bellt und schimpft sich durchs Klischee und bleibt blass. Erst als Sklaventreiber kommt er auf Touren.

Dafür geben Clemens Biebers Loge und Burkhard Ulrichs Mime, echte Klangredner, an szenischer Präsenz mehr, als die Regie verlangt. Sie werden am Ende so gefeiert wie Reinhard Hagen als wunderbar lyrischer, verliebter Riese Fasolt – alles Sängerdarsteller, wie sie vor zwei Jahrzehnten die Ausnahme waren. Während sie szenisch unterfordert sind, trägt sie das Orchester: Nie muss jemand gegen Wagners Wogen anbrüllen. Was Dirigent Lothar Zagrosek an kammermusikalischer Genauigkeit, an vielschichtiger Zeichnung etwa in Loges erstem Auftritt gelingt, entschädigt für mangelnde Konturen zuvor. Und dass man Orchesterfarben nicht anrühren muss, sondern auch debussyfein konstruieren kann, ist vorm Abstieg in die Unterwelt zu hören.

Die freilich gehört, mit Schläuchen, Monitoren und Discoblitzen, ins Museum. Nur in Berlin ist es möglich, die Achtziger noch derart zucken zu sehen. Ein hilfloses, offenes Herz, dessen Wärme indessen bis heute spürbar ist.

Nächste Vorstellung: „Siegfried“ am 10. Januar.

Volker Hagedorn

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