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Präsenz und Aura. Käthe Reichel auf der Leipziger Buchmesse, 2007.

© dapd

Zum Tod der Schauspielerin Käthe Reichel: Vom Gretchen bis zur großen Muhme

Seitdem sie jung an Brechts Berliner Ensemble reüssierte, umgab Käthe Reichel eine leichte Aura der neueren Theatergeschichte. Nun ist die Schauspielerin im Alter von 86 Jahren in Berlin gestorben.

Sie galt schon lange als lebende oder gar überlebende „Legende“. Was ja zumeist nur eine abgeschmackte Formel ist. Aber die Theater- und Filmschauspielerin Käthe Reichel zog sehr früh allerlei Augenmerk auf sich. Die gebürtige Berlinerin geriet ohne Schauspielausbildung nach einer kauffraulichen Lehre auf die Bühne und schnell, 1950 mit gerade 24 Jahren an Bertolt Brechts Berliner Ensemble, das damals noch im Deutschen Theater Berlin spielte. Brecht besetzte die kleine blonde und noch etwas piepsige Käthe gleich als Grete in seiner „Urfaust“-Inszenierung von 1952. Von den Proben dazu gibt es heute noch das rare Dokument eines Achtmillimeterfilms des jungen Studenten Hans Jürgen Syberberg.

Auch in seinem nachfolgenden „Kaukasischen Kreidekreis“ und im „Guten Menschen von Sezuan“ spielte Käthe Reichel weiter mit bei Brecht. Und bedeutete für den dann 1956 verstorbenen, rund 30 Jahre älteren Dichter noch mehr. Neben der dramaturgischen Mitarbeiterin Isot Kilian war Käthe Reichel wohl die letzte der zahlreichen Geliebten des großen BB.

Seitdem umgab sie eine leichte Aura der neueren Theatergeschichte. Für alle jedenfalls, die zu Mauer-Zeiten nicht in Ostdeutschland lebten und regelmäßig im Deutschen Theater verkehrten, das bald und bis zuletzt Reichels Stammhaus war, für alle auch, die nicht so oft DEFA-Filme sahen, glich es einer gelinden Sensation: als Käthe Reichel 1982, im Sommer vor 30 Jahren, bei den Salzburger Festspielen plötzlich in der Besetzung einer Uraufführung von Peter Handke auftauchte. Reichel gab in Handkes sonderbar epischem Spiel „Über die Dörfer“ die alte Frau, eine meist stumm kauernde, dann aber auch wieder seherisch aufatmende, aussprechende Figur – mit heller Stimme und wie von weither. „Brechts Geliebte!“, raunte es unter Kundigen im Publikum, so, als hätte sie nicht auch ohne den Segen des Macho-Poeten ihr eigenes Sagen.

Tatsächlich war sie, klein von Wuchs und immer ein bisschen dünn von Stimme, nicht auf den Mund gefallen. In vielen Inszenierungen vor allem ihres späteren Lieblingsregisseurs, des Anfang dieses Jahres verstorbenen Thomas Langhoff hat sie gespielt – auch im DDR-Kino und Fernsehen. So war sie 1973 dabei in der berühmten „Legende von Paul und Paula“, gab als Hauptdarstellerin die „Muhme Mehle“ 1980 in Langhoffs Fernsehfilm oder wirkte nach der Wende 1997 mit in der Strittmatter-TV-Verfilmung „Der Laden“. Doch obwohl sie bis zuletzt eine überzeugte Sozialistin und einigermaßen treue DDR-Staatskünstlerin war, sparte sie nicht mit Kritik. Sie gehörte 1976 zu den Mitunterzeichnern des Protests gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns und trat am 4. November 1989 auf dem Berliner Alexanderplatz neben ihrem neuen Idol Heiner Müller und ihrer Freundin Christa Wolf bei der Großdemo gegen das erstarrt zerfallenden SED-System. Zuletzt hoffte sie auf den Venezuelaner Hugo Chavez und meinte: „Der Sozialismus kehrt wieder!“ Nun ist sie mit 86 Jahren in Berlin gestorben.

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