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Höchstgeehrt. 2006 wurde Assia Djebar als erste Staatsbürgerin der ehemaligen afrikanischen Kolonien in die Académie française aufgenommen.

© AFP

Zum Tod von Assia Djebar: Blut. Flammen. Finsternis. Schweigen

Als Friedenspreisträgerin des Deutschen Buchhandels fanden in ihr 2000 weltliterarische Statur und moralische Autorität glücklich zusammen. Jetzt ist die algerische Schriftstellerin Assia Djebar im Alter von 78 Jahren gestorben.

Von Gregor Dotzauer

In ihren frühen Romanen ging sie, wie sie sagte, noch verschleiert, obwohl sie sich in der Öffentlichkeit von jungen Jahren an unverschleiert zeigte. Assia Djebar genierte sich nur, Autobiografisches preiszugeben. Aber schon da war sie für die Selbstverleugnung verloren, die von Frauen in der arabischen Welt bis heute vielerorts erwartet wird.

Assia Djebar, 1936 als Tochter eines Französischlehrers unweit von Algier geboren, befand sich auf der Schwelle zwischen ihrer maghrebinischen Kultur und der europäischen. Französisch, die Sprache der kolonialen Unterdrückung, wurde für sie zur Sprache einer literarischen Befreiung: Als erste Algerierin durfte sie an der Pariser École Normale studieren. Die doppelte Bindung streifte sie nie ab. Als Algerien um die Unabhängigkeit rang, war sie auf Seiten der Nationalen Befreiungsfront FLN. Als das Land sie erlangte, wollte sie trotzdem nicht vom Französischen lassen – und wurde dafür (und die Freizügigkeit mancher Liebesszenen in ihren Texten) beschimpft.

Blut. Zerstörung. Schreie. Finsternis. Verlust. Flammen. Tod. Und immer wieder: Schweigen. Das sind Wörter, die einem aus ihren Büchern sofort entgegen schauen. Assia Djebar erzählte von einer Gewalt, die nicht nur ein Echo des Terrors war, mit dem in den 90er Jahren die islamische Heilsfront FIS in Algerien wütete. Ihr Blick reichte zurück bis zum ersten Algerischen Krieg Anfang des 19. Jahrhunderts. Als Friedenspreisträgerin des Deutschen Buchhandels fanden in ihr 2000 weltliterarische Statur und moralische Autorität glücklich zusammen. Ihre Écriture lebte von einem einzigartigen Gespür für das Leibhaftige, das noch vor jeder Bedeutung Liegende von Sprache. Und sie hatte die Fähigkeit, über Schweigen, Sprechen und Schreiben als eine körperliche Erfahrung zu reflektieren, die bei anderen Autoren eine rein philosophische Behauptung blieb.

Zu Hause fühlte sie sich indes im Arabischen, der „Sprache der Liebe, des Leidens und auch des Gebets“, wie sie in der Frankfurter Paulskirche erklärte. Aus der Kindheit drang überdies das Berberische zu ihr, das sie von ihrer Mutter zwar nicht erlernt, dessen Klang sie aber aufgesogen hatte. In ihm erkannte sie die „Sprache der Unbeugsamkeit“, die ein „dauerhaftes innerliches Nein hervorbringt: Es erscheint mir als Fundament meiner Persönlichkeit und meiner literarischen Dauerhaftigkeit.“ Es war ihr ein Bedürfnis, „die bleierne Stummheit der algerischen Frauen spürbar zu machen, die Unsichtbarkeit ihrer Körper“ und erinnerte sich bei dieser Gelegenheit an den Luxus, Anfang der 50er Jahre anonym durch die Straßen wandern zu können: „als Passantin, als Schauende, als verhinderter Junge“. Am Freitag ist Assia Djebar, die von 2001 an französische Literatur an der New York University lehrte und 2005 als erste Nordafrikanerin unter die 40 Unsterblichen der Académie Française aufgenommen wurde, in ihrer Wahlheimat Paris gestorben.

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