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Alles, was Brecht ist. Gisela May bei einem Fernsehauftritt, 1985.

© imago/teutopress

Zum Tod von Gisela May: Muddi Courage

Sie zog den Karren - schroff, spröde, stolz: Gisela May, die große Berliner Schauspielerin und Diseuse, ist mit 92 Jahren gestorben.

Ihren Namen lasen wir in letzter Zeit selten oder gar nicht, weder in einem Berliner Schauspiel-Ensemble noch als Diseuse mit Liedern ihres Entdeckers Hanns Eisler – Gisela May war eigentlich immer irgendwie präsent, aber dann plötzlich doch nicht mehr da. Wer sein ganzes Leben lang Teil der Berliner Theaterszene ist und dabei mit Stimme, Ausdruck, Intonation und Ausstrahlung unverlöschliche und unvergessliche Abende verschenkt, der wird vermisst, ganz einfach. Und nun auch von jedem, der sie erlebte, betrauert. Denn Gisela May ist Freitagfrüh im Alter von 92 Jahren gestorben.

Erinnerungen werden wach: Man sieht plötzlich wieder, wie sie den Karren der Courage durch den Dreißigjährigen Krieg zieht. Und hört Brecht: „Das Frühjahr kommt. Wach auf, du Christ! Der Schnee schmilzt weg. Die Toten ruhen. Und was noch nicht gestorben ist, das macht sich auf die Socken nun.“ Eine Bombenrolle in einem Antikriegsstück, heute noch immer und leider wieder aktuell. Vorher hatten Therese Giehse und Helene Weigel das Stück weltberühmt gespielt, nun die May. Ganz anders. Schroff, spröde, stolz.

Die singende Schauspielerin war kaum auf bestimmte Arten der Interpretation festlegt, im Gegenteil. Ihr Talent erschöpfte sich nicht nur als Schauspielerin, sondern viele Jahre lang bei Chansonabenden, mit denen sie durch die ganze, für sie ungeteilte Welt zog. „Die May“ war für die DDR so etwas wie Katharina Witt im Sport: Botschafterin eines Landes, das mühselig um Anerkennung rang. Die Sänger Theo Adam, Peter Schreier, die Thomaner, der Dirigent Kurt Masur und der Trompeter Ludwig Güttler stehen in dieser Reihe. Vater Staat bedankte sich bei Gisela May auf seine Weise. Er gab ihr drei Mal den Nationalpreis für Kunst und Literatur und auch noch den Stern der Völkerfreundschaft, die neue Republik, in der man vor ’89 die Sängerin als „sozialistische Nachtigall“ bezeichnet hatte, hängte ihr 2004 das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse um den Hals.

Sie sang seine Lieder - und kam erst nach Brechts Tod ans Berliner Ensemble

Vielleich, nein, wahrscheinlich, trug sie schon von klein auf die Gene in sich: Als sie 1924 in Wetzlar geboren wurde, war Mutter Käte Schauspielerin und Vater Ferdinand May Schriftsteller. Mit 18 besuchte Gisela May für zwei Jahre die Schauspielschule in Leipzig, hatte Engagements an mehreren Theatern und kam 1951 ans Deutsche Theater Berlin. Eine Arbeit mit Brecht ergab sich nicht, erst als der große B. B. schon auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof lag, wechselte die Schauspielerin ans BE zu Helene Weigel – und blieb dort 30 Jahre lang.

Apropos Brecht. Da erinnerte sich Gisela May gern, dass sie ihm einmal begegnet sei und an seinem Blick gesehen habe, dass sie bei ihm nichts gewinnen konnte. „Brecht stand ja mehr auf kräftige bäuerliche Frauen, die sich nicht geschminkt haben.“ Sie, May, aber war nicht ungeschminkt und „hat sich immer schön gemacht“. Privat, als charmante, kluge, weltläufige Gesprächspartnerin. Oder in den vielen Rollen, die sie drauf hatte: Liederabende mit Brecht/Weill, Kästner, Tucholsky, Mehring, Hacks. Selbst ein Seitensprung auf die Bühne des Metropol-Theaters machte ihr großen Spaß. Es gab das Musical „Hello, Dolly!“ Old Satchmo hätte seine Freude gehabt.

Vor zehn Jahren verlieh Gisela May den von ihr gestifteten Chansonpreis beim Bundeswettbewerb Gesang der 21-jährigen Münchnerin Sophie Berner, die die Sally Bowles in „Cabaret“ spielte. „In diesem Beruf spielt Glück eine große Rolle“, sagte sie dem Nachwuchs, „aber man muss sich eine eigene Linie suchen. Und die Leidenschaft bewahren.“ Gisela May hat das getan, auch, als sie zur Kultfigur wurde – bei „Adelheid und ihre Mörder“ im Fernsehen mit Evelyn Hamann. („Sag doch nicht immer Muddi zu mir!“ - „Is recht, Muddi“).

Ihre größte Rolle spielte sie vielleicht ganz privat in dem Drama um ihren Partner, den systemkritischen Philosophen Wolfgang Harich. Die DDR verfolgte ihn bis in den Knast. Sie blieb an seiner Seite.

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