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Hermann Kant im Jahr 1986.

© picture alliance / ZB

Zum Tod von Hermann Kant: Der Schriftsteller als Diener zweier Herren

Gefeiert, gefürchtet, umstritten: Der Autor und langjährige Präsident des DDR-Schriftstellerverbands Hermann Kant ist mit 90 Jahren gestorben. Ein Nachruf.

Hermann Kant ist tot - er starb am Sonntagmorgen im Alter von 90 Jahren im mecklenburgischen Neustrelitz - die "Akte Kant" geschlossen. Von der Staatssicherheit angelegt, von Kant verleugnet, von Karl Corino aufgedeckt, hat das Konvolut von 2224 Seiten in acht Bänden das Leben und Schreiben des einstigen Verbandspräsidenten der DDR-Schriftsteller mehr bestimmt, als er voraussah und als seinem literarischen Werk zu wünschen war. Sein flüssiges Talent als Autor, dem der Leser zumindest ein bleibendes Werk verdankt - den Roman seiner polnischen Kriegsgefangenschaft und antifaschistischen Besinnung, "Der Aufenthalt" (1977) - , hat selbst sein schärfster Kritiker Marcel Reich-Ranicki als sein Meisterstück anerkannt. Verfilmt wurde der Roman auch, von niemand Geringerem als Frank Beyer und Wolfgang Kohlhaase.

Auch Kants Romanerstling und Welterfolg "Die Aula" (1965), ein Rückblick auf die frühen Jahre der DDR und die Arbeiter-und-Bauernfakultät der Universität Greifswald, wird nicht aus den Bibliotheken und Literaturgeschichten verschwinden. Er wurde in Millionenauflage verbreitet, in zahlreiche Sprachen übersetzt. . Aber mit Recht mahnt einer der besten Kenner der DDR-Literatur, Manfred Jäger, im Kritischen Lexikon der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur: "Nur wer einem naiven Realismus-Begriff anhängt, wird ,Die Aula' noch so lesen können, als lasse sich daraus entnehmen, wie es in der frühen DDR ,wirklich' gewesen ist". Dafür hält man sich - gewissermaßen als Gegengift - besser an Uwe Johnsons postum erschienenen Erstling "Ingrid Babendererde".

War Kant "zu feige, die Wahrheit über die Verhältnisse in der DDR zu schreiben", wie nicht nur Reich-Ranicki ihm unterstellte? Eher war er zu fanatisch, wie er 1997 im Gespräch mit Günter Gaus einräumte. Der 1926 in Hamburg geborene Sohn eines Gärtners und gelernte Elektriker - die Familie zog 1940 nach Parchim - trat nach seiner Rückkehr aus Kriegsgefangenschaft und Antifa-Schulung 1949 in die SED ein, studierte nach dem Abitur 1952 Germanistik und wurde Assistent an der Humboldt Universität bei Alfred Kantorowicz. Der wollte schon bemerkt haben, dass Kant ihn im Parteiauftrag bespitzelte. Kant hat das ebenso bestritten wie seine Stasi-Registrierung als "IM Martin".

Sein Amt als DDR-Verbandspräsident verstand Kant als Parteiauftrag

Als angehender Journalist redigierte er eine Studentenzeitung und schrieb als fester freier Mitarbeiter fürs "Neue Deutschland". Sein Erstling als Erzähler, "Ein bisschen Südsee", erschien 1962. Drei Jahre später begann mit der "Aula" sein Aufstieg in die erste Liga der DDR-Literatur, der ihn als Nachfolger von Anna Seghers 1978 an die Spitze des Schriftstellerverbands führte. Zumindest kokettiert hat er mit noch höheren Ehren, wenn er in seiner Autobiografie Heinrich Bölls scherzhaften Rat, nie PEN-Präsident zu werden, so beiläufig zitiert, dass man ahnt: Er hätte sich auch dazu noch bitten lassen.

Hermann Kant auf einem Foto von 1986, in seiner Zeit als Präsident des DDR-Schriftstellerverbands, vor einem Plakat mit Schriftstellerin Anna Seghers

© imago/Werner Schulze

An Mut bis Übermut und bissiger Kritik ließ Kant es im Meinungsstreit nie fehlen, weder beim Klassenfeind noch beim Parteifreund, dem "Bücherminister" Klaus Höpcke. Ihm trotzte er mit einer Rücktrittsdrohung die Genehmigung einer Nachauflage für Erich Loests Roman "Es geht seinen Gang oder Mühen in unserer Ebene" ab. Mit seinem Freund Stephan Hermlin und Rückendeckung durch Erich Honecker setzte er 1981 gegen Widerstände in der SED die "Berliner Begegnung zur Friedensförderung" mit Autoren der Bundesrepublik durch, bei der auch kritische Autoren der DDR zu Wort kamen. Seine eigene Erzählung "Bronzezeit" (1988) nannte Heiner Müller die "schärfste DDR-Satire seit Jahren". Sein Amt als Verbandspräsident verstand Kant - wie das ZK der SED, dem er von Amts wegen angehörte - dennoch als Parteiauftrag, an der staatlichen Planung und Lenkung der Literaturproduktion mitzuwirken. Wer dafür das Unwort Zensur gebrauchen wollte, dem hielt er entgegen, dass man sich auf diese Weise nicht "Sorgen um unsere Kulturpolitik" mache, sondern sie nicht wolle.

1979 schloss Kant neun Autoren aus dem Schriftstellerverband aus, darunter Stefan Heym

Mit diesem Diktum trat er auf dem Berliner "Tribunal" des Verbands 1979 gegen neun Kollegen auf, die er als "Herrschaften" schmähte - darunter Adolf Endler und Stefan Heym - und rechtfertigte so den Ausschluss der Neun. Und sich selbst rechtfertigte er auch: Als Doppeladvokat für Staat und Verband müsse er seinen Kollegen "den Staat plausibel machen, dem Staat die Kollegen". Aber "wer zween Herren dienen will, kriegt es mit der Herren zween zu tun". Da könne es wie in Loests Fall schon einmal vorkommen, dass der Minister, "der das Unbuch als Buch gelten lassen und also drucken soll", mit ihm, seinem Advokaten nicht zufrieden sei.

Was Kant dabei nicht zu Bewusstsein kam: dass man als Schriftsteller gar keinem Herrn zu dienen hat und dass Politiker nicht über die Veröffentlichung eines Buchs entscheiden sollten. Ebenso wenig war ihm der selbstherrliche Unterton seines Bescheids an die "Herrschaften" bewusst. Der Verband, so beteuerte er, werde "demokratisch regiert, und dabei soll es bleiben". Es blieb aber doch nicht dabei, und erst nach dem Ende der DDR hielt Kant auch eine andere Haltung für denkbar: Auseinandersetzung ja, Ausschlüsse nein. Angeblich hatte ihm SED-Bezirkschef Konrad Naumann für diesen Fall jedoch mit der Auflösung des Berliner Verbands gedroht.

Den Opfern von Hermann Kants Verbandstätigkeit wird Nachsicht schwerfallen

Ob er sich da an das Motto seines Romans "Der Aufenthalt" erinnerte? Es stammt von Brecht: "So bildet sich der Mensch / Indem er ja sagt, indem er nein sagt / Indem er schlägt, in dem er geschlagen wird / Indem er sich hier gesellt, in dem er sich dort gesellt / So bildet sich der Mensch, indem er sich ändert / Und so entsteht sein Bild in uns / Indem er uns gleicht und indem er uns nicht gleicht". Vielleicht eignet sich Brechts Ratschlag an die Nachgeborenen in seinem gleichnamigem Gedicht ebenfalls für den Blick auf Hermann Kant: Dass man seines Leben und Werks "mit Nachsicht" gedenken möge. Den Opfern seiner Verbandstätigkeit, die er auch nachträglich nicht als solche benennen mochte, wird das allerdings schwerfallen. Dass er Reiner Kunze zum Abschied aus der DDR "Kommt Zeit, vergeht Unrat" nachrief, hat er wenigstens in einem Nebensatz bedauert und sich im Gespräch mit Günter Gaus immerhin eines "Formulierium tremens" und einer "entsetzlichen Beredsamkeit" bezichtigt.

Die Beredsamkeit hat ihn zu oft verführt. Nicht nur in seinen Polemiken gegen Freund und Feind, sondern auch noch in den ausufernden Selbstrechtfertigungsschriften, in der Autobiografie "Abspann" und den späten Romanen von "Kormoran" (1991) bis "Kino" (2005) und "Kennung" (2010). Leider trifft auf sie nicht zu, was er dem "Neuen Deutschland" 1991 mit seiner Überlastung als Funktionär erklärte: "Natürlich fehlen mir die ungeschriebenen Bücher, zumal sie, wer wollte es bezweifeln, meine besten geworden wären." Bescheidener klang sein später Wunsch, "dass ich jenseits von allem anderen Gut und Böse hin und wieder gesagt kriege, Schuft magst du ja gewesen sein, aber schreiben kannst du ganz ordentlich! Das reicht mir!" Ja doch.

Hannes Schwenger

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