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Kate Millett (1934–2017) im Jahr 1979.

© picture-alliance/ dpa

Update

Zum Tod von Kate Millett: Die Aufbrecherin

Kate Millett war ein Idol der Frauenbewegung. Zum Tod der US-amerikanischen Autorin, Bildhauerin und Literaturwissenschaftlerin.

Immer dasselbe Spiel: Behalten oder mitnehmen? Seit vier Jahrzehnten behaupten sich die Bücher von Kate Millett trotzig im Regal, haben viele Umzüge überstanden und setzen Gilb an. „Sexus und Herrschaft“ wurde seit einer Ewigkeit nicht mehr aufgeschlagen, jene Bibel, die uns, die viel Jüngeren, am Glück des vaginalen Orgasmus zweifeln ließ, weil sie uns darüber aufklärte, von welch infernalischer Gewalt der Koitus ist, Zeichen der ganzen elenden patriarchalen Gesellschaft.

Ob im Militär, in der Wirtschaft oder in der Kultur, so Milletts Botschaft, überall überwölbt der symbolische Phallus das menschliche Zusammenleben, ist „Spiegelbild der institutionellen Ungleichheit zwischen Mann und Frau“. Auch „Fliegen“, Milletts autobiografische Abrechnung mit der Women’s Lib Movement steht noch da oder „Sita“, unter Freundinnen gesagt, lesbischer Bewegungsschwulst, aber irgendwann einmal gerne „gefressen“.

Nun ist Kate Millett, 1934 als Tochter einer irischen, streng katholischen Familie in Minnesota geboren, kurz vor ihrem 83. Geburtstag in Paris gestorben, und alle, die etwas jünger sind, erinnern sich kaum an ihren Namen und noch weniger an die Rolle, die sie beim Aufbruch der zweiten Frauenbewegung gespielt hat. Dass eine Abschlussarbeit wie „Sexual Politics“, 1970 an der renommierten Columbia University mit einem „magna cum laude“ ausgezeichnet, eine ganze Bewegung theoretisch fundieren würde, war Ergebnis eines libertären Frühlings, den sich Nachgeborene kaum noch vorstellen können.

Sie entlarvte Mailer und Miller als Machos

Denn das Pamphlet folgte weder akademischen Gepflogenheiten wie später die philosophisch abgesicherten Distanzgesten einer Judith Butler, noch verhehlte es den zornigen Furor, dem es entsprungen war. Die Analyse setzte sich – zeittypisch sperrig – mit dem männlichen Theoriekanon auseinander und entlarvte damals sakrosankte Literaten-Machos wie Norman Mailer oder Henry Miller. Gleichzeitig brachte es aber auch jene lange weggeschobene erste Person singular (weiblich!) in Anschlag, die Betroffenheit und kämpferische Energie vereinte und die Grundlage legte für eine engagierte Frauen- und Geschlechterforschung.

Das von Millett zusammen mit einflussreichen Kombattantinnen wie Gloria Steinem, Nancy Friedan und vielen anderen mitbegründete Konzept von Sex und Gender, also von biologisch vorgängigem und sozial gemachtem Geschlecht, hat dieser Forschungsrichtung lange als Fundament gedient, bis es wiederum im Strom dekonstruktivistischer Anstrengungen – Butler! – aufgelöst wurde. Muss frau Frau sein, um politisch einzugreifen, ist Frau ein Programm oder ist alleine schon diese Vorstellung eine genderpolitische Sackgasse? Darum dreht sich der heutige ausgetragene Streit der selbst ernannten feministischen Avantgarde.

Von Frauenquoten hielt sie nichts

Kate Millett indessen war eine, die in den neunziger Jahren unter die Räder dieses akademischen Paradigmenwechsels gekommen ist. Zehn Jahre mit einem Mann, dem japanischen Bildhauer Fumio Yoshimura, verheiratet und damit Dorn im Auge aller Vertreterinnen reiner lesbischer Kultur, persönlich wohl ziemlich streitbar und eigenwillig, hat sie von ihren apodiktischen Urteilen über das „Patriarchat“ nie abgelassen. Frauenquoten in börsennotierten Konzernen und ein im Kapitalismus angekommener Feminismus waren ihr Thema nie. Bitter hat sie 1998 im „Guardian“ über ihre Versuche berichtet, im akademischen und künstlerischen Milieu wieder Fuß zu fassen.

Verbunden blieb die Autorin, die kürzlich ihre Partnerin, die Fotografin Sophie Keir, geheiratet hatte, indessen mit der schwarzen Bürgerrechtsbewegung, und sie setzte sich nachdrücklich ein für Menschen mit Behinderung und mit Psychiatrieerfahrung. Von Letzterer hat sie in „Der Klapsmühlentrip“ ein persönliches Lied gesungen, nachdem ihre Familie sie aufgrund ihrer manisch-depressiven Attacken sie in eine geschlossene Einrichtung hat einweisen ließ. Seit 2001 war die Frauenrechtlerin UN-Delegierte für geistig und körperlich behinderte Menschen.

Sie engagierte sich für Folter- und Psychatrieopfer

Engagiert hat sich Millett auch für andere marginalisierte Gruppen, Prostituierte etwa, vor allem aber für Folteropfer. Ihr Buch „Entmenschlicht“ (dt. 1993) ist ein flammendes empathisches Plädoyer gegen die Folter: „Wenn wir uns die Folter nicht vorstellen können“, schreibt sie dort, „können wir ihr auch niemals Einhalt gebieten.“ In „Im Basement“ hat die schreckliche Geschichte der 16-jährigen Silvia Likens nacherzählt, die von ihrer Mutter zu Tode gefoltert worden war.

„I’m a farmer“, verkündete Kate Millett selbstbewusst, wenn sie in den letzten Jahren nach ihrem Beruf gefragt wurde. Ihren weit über die USA hinaus wahrgenommenen 75. Geburtstag verbrachte sie in der von ihr gegründeten Künstlerkolonie LaGrange in Poughkeepsie im Bundesstaat New York. Millett war eine Vielfachbegabte, die sich auch als Bildhauerin und Möbeldesignerin einen Namen gemacht hat. Jungen Künstlerinnen stellte sie für wenig Geld ein Atelier zur Verfügung im Tausch für Arbeit auf der Farm. Weihnachtsbäume pflanzen sie dort, ein halbwegs einträgliches Saisongeschäft.

Ich stelle mir vor, dass aus diesen vielen Weihnachtsbäumen irgendwann einmal Bücher werden, andere vielleicht als wie sie Kate Millett geschrieben hat, aber ebenso mutige und kompromisslose. Das wäre in ihrem Sinn. Milletts Bücher bleiben, obwohl sie inzwischen wieder verfügbar sind, erst einmal in meinem Regal stehen, zum Blättern zu gegebener Zeit.

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